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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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3. <strong>Die</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>in</strong> Zeiten <strong>der</strong> <strong>Revolution</strong><br />

tatsächliche Reichweite <strong>der</strong> Herrschaftsmacht relativ unbestimmt. Das gilt auch dann, wenn <strong>der</strong> Prunk e<strong>in</strong>es<br />

höfischen Zentrums <strong>in</strong> Paris, Istanbul o<strong>der</strong> Esfahan e<strong>in</strong>e unbeschränkte Zentralmacht suggeriert und tatsächlich <strong>der</strong><br />

Monarch <strong>in</strong> den Fällen, da se<strong>in</strong>e unmittelbare Herrschaftsmacht ausgeübt wird, sich <strong>als</strong> autonom und unbeschränkt<br />

versteht und dem Untergebenen gegenüber willkürlich auftritt. Das gilt auch, e<strong>in</strong>em verbreiteten Geschichtsbild<br />

entgegenstehend, für die Zeit des europäischen Absolutismus, wobei die e<strong>in</strong>e staatsrechtliche Kategorie, nicht<br />

jedoch e<strong>in</strong>e tatsächliche Machtvollkommenheit des Zentrums bedeutet. So treffen die nachfolgenden Ausführungen<br />

phänomenologisch durchaus zu, ihre Gewichtung und Wertung betreffend die sozio-ökonomischen Folgen müssten<br />

aber im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> bisherigen Überlegungen stärker differenziert und relativiert werden.<br />

„<strong>Die</strong> Konzentration <strong>der</strong> Macht und die Zentralisation <strong>der</strong> Verwaltung am Hof verh<strong>in</strong><strong>der</strong>te jede Partizipation <strong>der</strong> Handwerker<br />

und Industriellen an <strong>der</strong> Politik. Fast alle Könige, die an die Macht gelangten, waren sehr jung und unfähig, e<strong>in</strong>e Politik zur<br />

För<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>er Rationalisierung bzw. Technisierung <strong>der</strong> Werkstätten zu betreiben. Wenn die Europäer <strong>in</strong> dieser Zeit<br />

große Leistungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>, Technik und den Naturwissenschaften vollbrachten, hielten die Mullahs <strong>als</strong> die<br />

Intellektuellen des Landes die Menschen im Unwissen. Mit e<strong>in</strong>er solchen Kultur, e<strong>in</strong>er solchen Terrorherrschaft und<br />

Regierung konnte e<strong>in</strong>e Industrie im westlichen S<strong>in</strong>ne nicht entwickelt werden, da die primitivsten Voraussetzungen für e<strong>in</strong>e<br />

wirtschaftliche Entwicklung vor allem im <strong>in</strong>dustriellen Bereich, nämlich die Freiheit, die Sicherung des Kapit<strong>als</strong> bzw. des<br />

Privateigentums fehlten. <strong>Die</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>er kulturellen Entwicklung wurde zugunsten <strong>der</strong> Interessen e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit<br />

verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t.“ 207<br />

In diesem Abschnitt lässt sich erkennen, wie <strong>der</strong> e<strong>in</strong>leitend angesprochene e<strong>in</strong>seitige und reduzierte Entwicklungsbegriff<br />

zu undifferenzierten und teilweise auch <strong>in</strong>adäquaten Beurteilungen ohne die notwendige gesellschaftliche<br />

Perspektive führt und e<strong>in</strong> an <strong>der</strong> <strong>in</strong> Europa e<strong>in</strong>setzenden Industrialisierung gemessenes eurozentrisches Weltbild<br />

aufbaut. Im Unterricht wurde dieser Aspekt diskutiert und ergänzt im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Ausführungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> vorangehenden<br />

Anmerkung. Der Gesellschaftsanalyse wird e<strong>in</strong> europäisches Modell <strong>der</strong> Sozialen Ungleichheit zu Grunde gelegt,<br />

das so für <strong>Iran</strong> nicht typisch war. <strong>Die</strong> Erwähnung <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong> »Mullahs« lässt <strong>in</strong> dieser verkürzten Perspektive<br />

e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehen<strong>der</strong>e Untersuchung <strong>der</strong> Handlungsmotive vermissen. Innergesellschaftlich wird die soziale Stellung<br />

<strong>der</strong> šiitischen Geistlichkeit von spezifisch iranischen gesellschaftlichen Figurationen und Machtbalancen bestimmt,<br />

die <strong>der</strong> traditionellen, vor<strong>in</strong>dustriellen Gesellschafts- und Herrschaftsform entsprechen. <strong>Die</strong> soziale Interessenlage<br />

<strong>der</strong> Mullahs ist daher gesellschaftlich konservativ und auf den damit verbundenen Machterhalt bezogen.<br />

<strong>Die</strong> E<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong> Safawidenepoche durch den iranistischen Historiker zeigt dabei deutlich Unterschiede<br />

zur Beurteilung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schülerarbeit. Bausani (1965: 146) beschreibt die Entwicklung <strong>der</strong> städtischen Wirtschaftsform<br />

wie folgt:<br />

„Der wirtschaftliche Fortschritt, wie er sich zu Beg<strong>in</strong>n des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts zeigte, wirkte sich auch auf die<br />

Städte und die vielfältigen mit ihnen verbundenen Erwerbszweige aus In den Quellen stoßen wir häufig auf<br />

Handwerkerzünfte (s<strong>in</strong>f, Plural asnaf), die schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> dreifachen Rangabstufung <strong>der</strong> shâgird (Lehrl<strong>in</strong>g),<br />

khalîfè (Geselle) und ustâd (Meister) bestehen und auch bereits die feierliche Meisterernennung kennen. <strong>Die</strong><br />

Tazkirat al-mulûk, e<strong>in</strong>e anonyme Quelle von 1725, beschreibt die dieser Epoche vorhergehende Zeit <strong>der</strong><br />

safawidischen Verwaltung und berichtet: „<strong>Die</strong> E<strong>in</strong>wohner jedes Stadtviertels, jedes Dorfes und alle Mitglie<strong>der</strong><br />

von Korporationen ernennen aus ihren Reihen e<strong>in</strong>en vertrauenswürdigen Mann, schreiben ihm e<strong>in</strong>e<br />

Bestätigung und setzen ihm e<strong>in</strong>e Gratifikation aus; dieses Dokument, das mit dem Siegel des naqîb<br />

(stellvertreten<strong>der</strong> Bürgermeister etwa) versehen wird, zeigen sie dem kalântar (dem Bürgermeister <strong>der</strong> Stadt)<br />

und erhalten von ihm e<strong>in</strong>e Beglaubigung (ta‘liqè) sowie e<strong>in</strong> Ehrengewand für ihre Wahl; hiermit beg<strong>in</strong>nt ihre<br />

Amtstätigkeit.“<br />

Parallelen zur europäischen Zünfteordnung <strong>der</strong> frühen Neuzeit drängen sich auf und es bedarf e<strong>in</strong>es genauen Blicks,<br />

die historisch-typischen Beson<strong>der</strong>heiten aufzuzeigen. Wie im europäischen Mittelalter handelt es sich <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> im 16.-<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>t um e<strong>in</strong>e korporativ geglie<strong>der</strong>te Gesellschaftsstruktur, <strong>in</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Schicht- und Klassenbegriffe<br />

die Lebensumstände <strong>der</strong> Menschen nicht adäquat beschreiben. 208<br />

<strong>Die</strong> Darstellung <strong>der</strong> Zünfte <strong>in</strong> dem wie<strong>der</strong>gegebenen Zitat muss vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />

europäischen Sozialordnung abweichenden »Klientelgesellschaft« (vgl. Abschnitt 4.1.) <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> gesehen werden. <strong>Die</strong><br />

Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> europäischen Gesellschaftsordnung des Mittelalters ist, dass sie sich aus e<strong>in</strong>er sozialen<br />

Überschichtung <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ung heraus entwickelt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> herrschende Adel ethnisch-kulturell,<br />

beson<strong>der</strong>s aber auch ökonomisch nicht <strong>der</strong> beherrschten ruralen Bevölkerung verbunden ist. Notwendigen<br />

geschichtlichen Differenzierungen zwischen den sich herausbildenden Machtstrukturen zwischen Kelten und<br />

Germanen <strong>in</strong> Mitteleuropa und <strong>der</strong> von <strong>der</strong> fränkisch-westgotischen E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung nicht völlig verdrängten galloromanischen<br />

Oberschicht <strong>in</strong> Frankreich sollen hier nicht weiter ausgeführt werden, da es vor allem um den<br />

Vergleich <strong>der</strong> Integrations- und Segregationsprozesse <strong>in</strong> Europa und <strong>Iran</strong> geht. Der gesellschaftliche Integrations-<br />

207<br />

Zitat aus e<strong>in</strong>em Schülerreferat. Vgl. Vorbemerkung zum Abschnitt 3.1.1.<br />

208<br />

Insofern ist das marxistische historische Gesellschaftsbild, so wichtig es geworden ist, um bisherige statisch-idealistische<br />

Gesellschaftsmodelle abzulösen, e<strong>in</strong> Produkt <strong>der</strong> gesellschaftlichen Erfahrung des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Vor allem wird e<strong>in</strong>e zu<br />

»determ<strong>in</strong>istische« Beziehung e<strong>in</strong>es sche<strong>in</strong>bar objektiven gesellschaftlichen Tatbestandes, <strong>der</strong> ungleichen Verteilung <strong>der</strong><br />

Macht und <strong>der</strong> mit ihr verbundenen, egalitären Wertvorstellungen wi<strong>der</strong>sprechenden Sozialen Ungleichheit, mit den Realitätswahrnehmungen<br />

<strong>der</strong> Menschen und <strong>der</strong> Handlungsleitung durch die <strong>Politischen</strong> Kultur vorausgesetzt. <strong>Die</strong>se Realitätsdef<strong>in</strong>itionen<br />

entsprechen nicht mehr heutigen kulturrelativistischen Realitätsvorstellungen und den Konzepten des Kulturvergleichs.<br />

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