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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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2. Perspektiven <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung unter den Bed<strong>in</strong>gungen<br />

e<strong>in</strong>er politischen Krisensituation<br />

verbundenen grundlegenden gesellschaftlichen Wandlungen h<strong>in</strong> zur mo<strong>der</strong>nen Staatsgesellschaft und <strong>der</strong> damit<br />

verbundenen Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> grundlegenden gesellschaftlichen Figurationen greifen tief <strong>in</strong> die Identität des Menschen<br />

e<strong>in</strong>. Sie s<strong>in</strong>d notwendig und tief greifend ambivalent und kontroversen Wertungen und Deutungen unterworfen.<br />

Daher gehört die Diskussion von Zivilisationsprozessen auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Kapitel, das von <strong>der</strong> aktuellen Krisenwahrnehmung<br />

ausgeht und Krisenbewusstse<strong>in</strong> <strong>als</strong> fundamentales Paradigma <strong>der</strong> Gegenwart aufdecken will.<br />

<strong>Die</strong> Zivilisation ist am Ende o<strong>der</strong> nie tatsächlich entwickelt, wenn wir sie umgangssprachlich verstehen <strong>als</strong><br />

gesittetes, friedliches Zusammenleben mit guten Manieren... auch das war <strong>in</strong> <strong>der</strong> Phase se<strong>in</strong>er Durchsetzung e<strong>in</strong>e<br />

gewalttätige Zumutung und Homogenisierung des gesellschaftlichen Habitus. Wenn wir aber den Zivilisationsprozess<br />

begreifen <strong>als</strong> permanente Anpassung <strong>der</strong> gesellschaftlichen Verhaltensoptionen und -spielräume an die sich im<br />

sozio-ökonomischen Entwicklungsprozess vollziehende Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> gesellschaftlichen Figurationen und <strong>der</strong><br />

Machtbalancen, wenn wir erkennen, dass im <strong>in</strong>terkulturellen Vergleich Ungleichzeitigkeiten und Bee<strong>in</strong>flussungen –<br />

damit verbunden auch Abwehr! – nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> stehen und selbst wie<strong>der</strong> <strong>in</strong>terdependente Gleichgewichte herausbilden,<br />

wenn wir <strong>als</strong>o annehmen, dass die <strong>in</strong>nergesellschaftlichen Folgen aktueller Globalisierungs- und Universalisierungsprozesse,<br />

ob wir sie nun <strong>als</strong> Mo<strong>der</strong>nisierungsschübe o<strong>der</strong> Bedrohung wahrnehmen, Zivilisationsprozesse<br />

darstellen, erweist sich das fundamentale diskursive Potential, heutige Krisen mit Hilfe <strong>der</strong> Konzepte <strong>der</strong> Zivilisationstheorie<br />

verständlich machen zu können.<br />

2.2.2.2. <strong>Die</strong> Krise des mo<strong>der</strong>nen Staates, gespiegelt <strong>in</strong> den problematischen<br />

Staatsbildungsprozessen <strong>in</strong> den Semiperipherien<br />

Erklärungskonzepte für Entwicklungsprobleme, die das Phänomen <strong>der</strong> zentral-peripheren Disparitäten <strong>in</strong> den<br />

Vor<strong>der</strong>grund stellen, haben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geographie Tradition. Hier werden lokale Disparitäten, wie das Stadt-Land-<br />

Gefälle, regionale Disparitäten wie das ökonomische Süd-Nord-Gefälle <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland und<br />

globale Disparitäten, wie sie beim Thema des Vergleichs zwischen „Entwicklungslän<strong>der</strong>n“ und „Industrielän<strong>der</strong>n“<br />

auftreten, unterschieden. <strong>Die</strong> soziale und politische Dimension <strong>der</strong> zentral-peripheren Disparitäten ist e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Thematik <strong>der</strong> „Dritte-Welt“-Theorie global 155 wie <strong>in</strong>nerstaatlich 156 entwickelt worden, an<strong>der</strong>erseits <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeit <strong>als</strong><br />

e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> „Leittheorien“ für globale Fragen <strong>der</strong> Gesellschaftswissenschaften auftretende „Weltsystemtheorie“ nach<br />

Immanuel Wallerste<strong>in</strong>.<br />

Exemplarisch für die Entwicklung <strong>der</strong> Semiperipherien, <strong>in</strong> denen sich Kontakt und Konflikt des globalen<br />

zentral-peripheren Wi<strong>der</strong>spruchs abspielen und die gerade für die kritische Aufarbeitung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung<br />

exemplarischen Charakter e<strong>in</strong>nehmen kann, ist die Türkei. Im Folgenden sollen e<strong>in</strong>ige Aspekte <strong>der</strong> türkische<br />

Geschichte unter dem Aspekt e<strong>in</strong>er abhängigen und teilweise krisenhaft missglückten Mo<strong>der</strong>nisierung dargestellt<br />

werden, wie sie für die Problemgenese <strong>in</strong> den Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Semiperipherien typisch ist. Mo<strong>der</strong>nisierungsschübe und<br />

die politischen Kämpfe um die Mo<strong>der</strong>nisierung und Verwestlichung, die das Bild des Osmanischen Reiches im 19.<br />

und beg<strong>in</strong>nenden 20. Jahrhun<strong>der</strong>t prägten, s<strong>in</strong>d gerade auch <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die am Ende stehende Herausbildung<br />

e<strong>in</strong>er autoritär-zentralistischen Herrschaftsordnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkischen Republik mit offensichtlichen politischen<br />

Partizipations- und Liberalitätsdefiziten <strong>in</strong> Bezug auf ihren immanenten Prozess und Konfliktcharakter <strong>in</strong> sich<br />

verschiebenden Machtbalancen etwas genauer zu untersuchen. <strong>Die</strong>s ist auch <strong>als</strong> Parallele zur folgenden<br />

Untersuchung <strong>der</strong> Wurzeln <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> zu verstehen, die historiographisch noch viel weniger<br />

erhellt und analysiert worden ist. Durch diese Parallelisierung lassen sich sicherere E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die mögliche<br />

Charakteristik <strong>der</strong> iranischen Gesellschaft <strong>als</strong> den Semiperipherien zugehörig entwickeln und lassen sich<br />

Urteilsgrundlagen für die These herausarbeiten, dass die <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> e<strong>in</strong> typisches Ereignis <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er semiperipheren Gesellschaft ist.<br />

W. Braune beschreibt die Wende von e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>tendierten westlich-liberalen Mo<strong>der</strong>nisierungsschub <strong>als</strong><br />

Grundlage <strong>der</strong> Jungtürkischen <strong>Revolution</strong> 1908 157 zu e<strong>in</strong>er zentralistisch-autoritären Staatsideologie seit 1909<br />

– nach <strong>der</strong> gescheiterten Konterrevolution von Sultan Abdülhamid II, <strong>der</strong> dann unter Hausarrest gesetzt wurde<br />

– wie folgt: „Unter dem Druck <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Ideen im Balkan waren sie (d.h. die jungtürkischen Offiziere und<br />

Rebellen, Anm. G.V.) gezwungen, ihre mo<strong>der</strong>nen liberalen Pr<strong>in</strong>zipien schnell aufzugeben, und die<br />

unglücklichen Kriege mit dem Verlust von Tripoli an Italien und nahezu des ganzen europäischen Besitzes<br />

trieben sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en autoritären türkischen Nationalismus.“ 158<br />

Bassam Tibi weist, W. Braune folgend, auch darauf h<strong>in</strong>, dass die abstrusen Ideen des „Panturanismus“, die zunehmend<br />

– wohl <strong>als</strong> ex-post-Legitimierungen zu verstehen – die Jungtürkische Ideologie prägten, wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong>e Über-<br />

155<br />

Dependenz-Theorien, die vor allem aus Südamerika stammen und durch Senghaas <strong>in</strong> die deutsche Politologie e<strong>in</strong>geführt<br />

worden s<strong>in</strong>d.<br />

156<br />

Z.B. <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region<strong>als</strong>tudie über Tunesien von Theo Rauch.<br />

157<br />

Hervorgegangen aus dem Ittihad ve Terakki Cemiyti, dem ‚Komitee für E<strong>in</strong>heit und Fortschritt‘ <strong>der</strong> jungen Offiziere parallel<br />

zu später verbotenen verschieden Bünden und Zirkeln <strong>der</strong> Intellektuellen und Schriftsteller, gerade auch <strong>in</strong> den nichttürkischen<br />

Bevölkerungsgruppen und Regionen<br />

158<br />

Braune, W., 1980; auch <strong>als</strong> Zitat bei Bassam Tibi 1987: S. 96<br />

91

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