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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

So verbot er den Frauen den Schleier und den Männern ihre Nationaltracht zu tragen. Selbst die Mullahs mussten sich<br />

fürchten, mit Turban und Umhang <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit aufzutreten. Reza Šah reduzierte die religiösen Feiertage und<br />

übertrug viele juristische Aufgaben, die bis dah<strong>in</strong> die Mullahs <strong>in</strong>nehatten, dem Staat.“ 578<br />

Es wird deutlich, dass Frauenpolitik hier <strong>in</strong> unmittelbarem Kontext zu Machtprozessen und <strong>der</strong> Herrschaftsdurchsetzung<br />

steht. Für die Semantik <strong>der</strong> Bekleidungsvorschriften ist auch <strong>der</strong> <strong>in</strong>terkulturelle Aspekt bemerkenswert, weil<br />

„westliche Bekleidung“ mit „westlicher Kultur“ und diese mit – anzustrebendem – Fortschritt gleichgesetzt wird. So<br />

wird verständlich, dass die traditionalen Bekleidungsvorschriften <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n Republik eben <strong>in</strong> demselben<br />

gesellschaftlichen Diskurs stehen und hier <strong>als</strong> Gegenposition zum Herrschaftsvokabular <strong>der</strong> Pahlavi-Dynastie die<br />

Tradition <strong>als</strong> „Semantik des Wi<strong>der</strong>standes“ gegen e<strong>in</strong>e <strong>als</strong> Oktroi erlebte „westliche Mo<strong>der</strong>nisierung“ verstanden<br />

wird.<br />

Der Traditionalismus des „Wächterrates“ entspr<strong>in</strong>gt <strong>der</strong> nur wenig <strong>in</strong>stitutionalisierten sozialen Stellung <strong>der</strong><br />

islamischen Geistlichkeit <strong>in</strong> <strong>Iran</strong>, <strong>in</strong> <strong>der</strong> soziales Ansehen und gesellschaftlicher E<strong>in</strong>fluss im Kern noch dem Aufbau<br />

von „Klientelen“ entspricht. Der gewonnenen Klientel muss soziale Kont<strong>in</strong>uität und Sicherheit vermittelt werden,<br />

was im Kern sozialem Traditionalismus entspricht, gleichzeitig aber auch e<strong>in</strong> Element des <strong>in</strong>neriranischen Machtprozesses<br />

ist. 579 Der „Wächterrat“ ist soziologisch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ambivalenten Situation. E<strong>in</strong>mal ist er wie eben ausgeführt<br />

e<strong>in</strong>e traditionelle soziale Gruppe, die von <strong>der</strong> Klientel <strong>der</strong> traditionellen lokalen Bevölkerung abhängig ist und<br />

<strong>in</strong>sofern auf e<strong>in</strong>er Klientel-Hierarchie aufbaut, <strong>in</strong> die auch die Pasdaran (<strong>Revolution</strong>swächter) <strong>als</strong> „Hilfsorgane“<br />

(Popitz 1978) e<strong>in</strong>gebunden s<strong>in</strong>d. An<strong>der</strong>erseits ist auch <strong>der</strong> Wächterrat zum<strong>in</strong>dest zu Lebzeiten Khome<strong>in</strong>is e<strong>in</strong><br />

Hilfsorgan <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> und <strong>als</strong> solches zu Loyalität und Herrschaftsteilhabe verpflichtet. Es mischen<br />

sich hier, typisch für die iranische Situation, strukturelle Elemente <strong>der</strong> gesellschaftlichen Mo<strong>der</strong>ne, die sich <strong>in</strong><br />

Institutionalisierungen und Hierarchisierungen (gesellschaftliche Stratigraphierung) ausdrückt, <strong>als</strong> solche aber nicht<br />

bewusst wahrgenommen wird, und ideologisches Verhaftetse<strong>in</strong> <strong>in</strong> traditionalen Realitäts-Def<strong>in</strong>itionen und -Wahrnehmungen.<br />

Es ist s<strong>in</strong>nvoll, sich an dieser Stelle den üblichen Werdegang des islamischen Geistlichen <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> vor<br />

Augen zu führen. Dabei ist es <strong>in</strong>teressant, dass hier auch auf e<strong>in</strong>en Schülertext zurückgegriffen werden kann:<br />

„Wer shiitischer Geistlicher werden will, muss Talaba (Forscher) werden. Das geschieht dadurch, dass <strong>der</strong> Studienbewerber<br />

mehrere Jahre <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Howzeh elmiyeh, e<strong>in</strong>er theologischen Hochschule lebt und dort die verschiedenen<br />

Stufen und Fächer des Studiums durchläuft. E<strong>in</strong>e Aufnahmeprüfung gibt es nicht, auch im Laufe des Studiums f<strong>in</strong>den<br />

ke<strong>in</strong>e Prüfungen statt. Es gibt we<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Abschlussprüfung noch e<strong>in</strong> Diplom.<br />

Das Studium beg<strong>in</strong>nt mit dem Erlernen von arabischer Grammatik, Syntax, Lesen und Schreiben von e<strong>in</strong>fachen Texten.<br />

Was <strong>der</strong> Student <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Semester lernt, kann und soll er im nächsten Semester selbst lehren. Er kündigt, wie alle<br />

an<strong>der</strong>en Schriftgelehrten, e<strong>in</strong>en Kurs an, den er an e<strong>in</strong>em beliebigen Ort, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Moschee, e<strong>in</strong>er Schule o<strong>der</strong> auf <strong>der</strong><br />

Straße, abhält. E<strong>in</strong> Talaba, dessen Kurse nur von wenigen Studenten besucht werden, kann jedoch nicht <strong>in</strong> höhere Ränge<br />

aufsteigen.<br />

Das ganze System <strong>der</strong> Hochschule beruht auf freiwilliger Basis. <strong>Die</strong> e<strong>in</strong>zige Kontroll<strong>in</strong>stanz s<strong>in</strong>d die Lehrer und Schüler<br />

selbst; <strong>der</strong> Staat hat auf die theologischen Hochschulen ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss. F<strong>in</strong>anziert werden die Schulen durch religiöse<br />

Abgaben, zu denen je<strong>der</strong> Gläubige verpflichtet ist.<br />

Auch für die religiöse Rangordnung gibt es ke<strong>in</strong>e festgelegten Bestimmungen, son<strong>der</strong>n es wird hier dasselbe System wie<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Hochschule praktiziert, mit dem Unterschied, dass hier <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Gläubigen über Rang und E<strong>in</strong>fluss e<strong>in</strong>es<br />

Schriftgelehrten entscheiden. Außer den Hochschulen verfügt die shiitische Religion über ke<strong>in</strong>erlei Institutionen, wie z.B.<br />

e<strong>in</strong>e Zentral<strong>in</strong>stanz wie <strong>der</strong> Papst <strong>in</strong> <strong>der</strong> katholischen Kirche.<br />

Seit dem Verschw<strong>in</strong>den des 12. Imam, des letzten legitimen Nachfolgers Mohammeds – <strong>der</strong> nach shiitischem Glauben<br />

e<strong>in</strong>es Tages wie<strong>der</strong>kehren und e<strong>in</strong> Reich <strong>der</strong> Freiheit und Gerechtigkeit errichten wird – und dessen weiteren vier<br />

Stellvertretern, die nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> noch 70 Jahre die Shiiten <strong>als</strong> Oberhaupt regierten (bis zum Jahre 940), gibt es und soll<br />

es bis zur prophezeiten Rückkehr des verschwundenen Imam Mahdi ke<strong>in</strong>e weiteren Führer mehr geben.<br />

Das System, dass die Gläubigen über die Kompetenz und die Glaubwürdigkeit <strong>der</strong> Gelehrten entscheiden, blieb bis zur<br />

Gründung <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n Republik bestehen. Erst Khome<strong>in</strong>ys Anspruch auf die weltliche Macht und die E<strong>in</strong>führung des<br />

Systems <strong>der</strong> welayate faghih, <strong>der</strong> Herrschaft <strong>der</strong> Geistlichkeit, hat es <strong>in</strong> Frage gestellt und unter <strong>der</strong> Geistlichkeit und den<br />

Gläubigen scharfe Kontroversen ausgelöst. Denn <strong>in</strong> den Augen <strong>der</strong> Shiiten bedeutet jede staatliche Macht e<strong>in</strong>e<br />

unrechtmäßige Okkupation, die nur durch die Wie<strong>der</strong>kehr des Imam Mahdi beseitigt werden kann.“ 580<br />

In <strong>der</strong> Geistlichkeit bedeutet <strong>als</strong>o gerade das <strong>als</strong> fundamentalistisch verstandene Postulat von <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit von<br />

Religion und Staat (Dîn ad-Daula) e<strong>in</strong>e Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sozialen Stellung, die funktional e<strong>in</strong>er Mo<strong>der</strong>nisierung und<br />

578<br />

Aus e<strong>in</strong>em Schülerreferat: Anne Lubowicki / Christ<strong>in</strong>e Tonscheidt, 1997: Khome<strong>in</strong>y – se<strong>in</strong> Leben, se<strong>in</strong> Werk. Geme<strong>in</strong>schaftskunde-Referat<br />

1996/97, Bismarckschule Hannover.<br />

579<br />

Vgl. die Kategorien „Ordnungssicherheit“, „Zukunftssicherheit“ und „Investitionswert e<strong>in</strong>er Gesellschaft“ bei Popitz 1978.<br />

Thesenhaft für Unterrichtszwecke zusammengefasst bei Voigt 2001c: Merksätze zu Popitz: Prozesse <strong>der</strong> Machtbildung<br />

(auch im Internet unter www.politiklehrerverband.org > Publikationen/politik unterricht aktuell 2000/Heft 1-2).<br />

580<br />

Aus e<strong>in</strong>em Schülerreferat: Anne Lubowicki / Christ<strong>in</strong>e Tonscheidt, 1997: Khome<strong>in</strong>y – se<strong>in</strong> Leben, se<strong>in</strong> Werk. Geme<strong>in</strong>schaftskunde-Referat<br />

1996/97, Bismarckschule Hannover. – Wurde schon an an<strong>der</strong>er Stelle zitiert.<br />

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