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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

erbärmlichen Unwissenheit stagnieren ließ. <strong>Die</strong> Spiegelfechtereien e<strong>in</strong>er parlamentarischen Demokratie<br />

mussten <strong>als</strong> fadensche<strong>in</strong>ige Täuschung für jene Mächte herhalten, die direkten Nutzen aus dieser Situation<br />

zogen.“ (Scholl-Latour 1983: 100-102. – Hervorhebungen von G.V.)<br />

Dass die „Kurden, Bakhtiaren und Kaschgai“ <strong>in</strong> ihren Regionen gerade nicht aufständische Stämme, son<strong>der</strong>n die<br />

traditionell machtstärkeren Gruppen gegenüber <strong>der</strong> ansässigen Bauerngesellschaft waren, führt die Beurteilung des<br />

Autors ad absurdum. Er setzt das Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Staates und e<strong>in</strong>er Staatsgesellschaft voraus, die erst, im Zuge<br />

<strong>der</strong> Inkorporation des <strong>Iran</strong> <strong>in</strong> die Weltökonomie <strong>als</strong> – letztlich gescheiterter – Staatenbildungsprozess begonnen<br />

wurde.<br />

Schon <strong>der</strong> klassische arabische Autor Ibn Khaldun (1332-1406), <strong>der</strong> erste noch heute lesenswerte arabische<br />

Gesellschaftswissenschaftler, baut se<strong>in</strong>e Geschichtskonzeption auf dem antagonistischen Wi<strong>der</strong>spruch zwischen<br />

Bedu<strong>in</strong>entum und Bauerngesellschaft auf, den er <strong>als</strong> notwendig für den historischen Prozess versteht (Khaldun 1951:<br />

128 u.a.; dargestellt bei Irabi 1989: 34-62; Hourani 1992: 17-21, 143-148; Bianca 1975: 15-17, 63-67, 159-170 /<br />

Auszüge aus den Muqaddimah).<br />

Es wäre ahistorisch, das Modell e<strong>in</strong>es homogenisierten Nation<strong>als</strong>taates <strong>als</strong> Beurteilungsmuster an die iranische<br />

Geschichte anzulegen. So werden <strong>in</strong> nomadischer Lebensform organisierte Sozialgruppen entwe<strong>der</strong> zu aufständischen<br />

Stämmen, zu Räuberbanden und Wegelagerern o<strong>der</strong>, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em häufig vollzogenen Perspektivwechsel, <strong>der</strong> aus<br />

westlicher Wahrnehmung heraus politisch motiviert ist, zu Freiheitskämpfern. Welche Gruppendef<strong>in</strong>ition sich dann<br />

im Laufe <strong>der</strong> staatlichen Inkorporation durch teilweise brutale Homogenisierungspolitik – Kulturreformen, zentrale<br />

Gesetzgebung, Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols und schließlich Durchsetzung e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen<br />

Nation<strong>als</strong>prache, Prozesse die z.B. Spanien nach <strong>der</strong> Reconquista o<strong>der</strong> Frankreich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit des Absolutismus<br />

durchgemacht haben, wie sie im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t vor allem <strong>in</strong> typischer Ausprägung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei durch Atatürk<br />

vollzogen wurden (Voigt 1994: 8-10, 1996a) – durchsetzt, hängt von Art und Erfolg <strong>der</strong> Herausbildung e<strong>in</strong>er<br />

Staatsgesellschaft ab.<br />

Da die <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> gerade auch e<strong>in</strong>e Reaktion auf e<strong>in</strong>en missglückten Homogenisierungsund<br />

Integrationsversuch bei <strong>der</strong> Herausbildung e<strong>in</strong>er Staatsgesellschaft war, ist e<strong>in</strong>e Beurteilung <strong>der</strong> Geschichte<br />

gerade unter diesem Wahrnehmungsmuster <strong>in</strong>adäquat und irreführend. Das kann aber mit Hilfe von Texten wie<br />

denen von Scholl-Latour gut herausgearbeitet und belegt werden. Dabei hilft die vorausgegangene Aufarbeitung <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong>nerfachlichen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung um die immanenten Stereotypen des Orientalismus. In Stichworten ist <strong>als</strong><br />

Résumé zusammenzufassen:<br />

1. Journalistische Quellen über den Orient stehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gefahr, unreflektiert Wahrnehmungsmuster aus<br />

<strong>der</strong> eigenen <strong>Politischen</strong> Kultur zu verwenden, ohne <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage zu se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e adäquate analytische<br />

Distanzebene zu erreichen.<br />

<strong>Die</strong>se Wahrnehmungsmuster s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuellen Dispositionen des jeweiligen Beobachters, daher auch<br />

nicht mit ethisch-moralischen Kategorien zu messen und zu kritisieren. Das hat wesentliche didaktische<br />

Konsequenzen, da Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler Kritik <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>als</strong> moralische E<strong>in</strong>wendung verstehen und<br />

handhaben.<br />

2. Mangelnde journalistische Fähigkeit zum Perspektivwechsel und zu selbstreferentiell-kritischer<br />

Wahrnehmung verursachen an<strong>der</strong>erseits e<strong>in</strong>e Übere<strong>in</strong>stimmung mit den Wahrnehmungserwartung <strong>der</strong><br />

Leser, ermöglichen daher sche<strong>in</strong>bare Empathie des Lesers mit dem dargestellten <strong>Gegenstand</strong>, <strong>in</strong> Wirklichkeit<br />

aber nur mit <strong>der</strong> Realitätswahrnehmung des Journalisten selbst.<br />

Für die didaktische Umsetzung im Politikunterricht besteht daher das Problem, dass die For<strong>der</strong>ung<br />

selbstbezüglichen und selbstreferentiellen distanzierten Denkens nicht nur <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die Quellen zu<br />

erarbeiten ist, son<strong>der</strong>n an die eigene Quellenrezeption und die eigenen Lehr- und Lernprozesse zu stellen ist.<br />

3. <strong>Die</strong> Wahrnehmungserwartungen gegenüber dem ›Fremden‹, dem ›Exotischen‹, s<strong>in</strong>d Teil des Repertoires<br />

an Bedeutungs- und Def<strong>in</strong>itionsmustern <strong>der</strong> eigenen <strong>Politischen</strong> Kultur.<br />

Jede stereotype Fremdwahrnehmung bezieht ihre Muster und Potentiale aus <strong>der</strong> eigenen Biographie, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

sich Realerfahrungen, Interessenlagen und im Sozialisations- und Enkulturationsprozess <strong>in</strong>ternalisierte<br />

Deutungsmuster und Realitätsdef<strong>in</strong>itionen <strong>der</strong> eigenen <strong>Politischen</strong> Kultur untrennbar verschränken. Pr<strong>in</strong>zipiell<br />

s<strong>in</strong>d Fremd- und Exotikwahrnehmungen emotional ambivalent und situativ gebunden. <strong>Die</strong>s wird <strong>in</strong> den<br />

erwähnten Untersuchungen von Said zum Orientalismus auch für die wissenschaftliche Wahrnehmung belegt,<br />

für die Alltagswahrnehmung f<strong>in</strong>den sich entsprechende Untersuchungen und Quellen u.a. bei Bitterli (1982:<br />

180-186, 367-380) o<strong>der</strong> Fohrbeck/Wiesand (1983: <strong>in</strong>sgesamt): Fasz<strong>in</strong>ation, romantische Zuwendung und<br />

›Sehnsucht nach dem Exotischen‹ und ›Ursprünglichen‹ schlägt <strong>in</strong> <strong>der</strong> eigenen Alltagswelt schnell um <strong>in</strong><br />

Aggression, Ablehnung und Abwertung des Fremden <strong>als</strong> ›M<strong>in</strong><strong>der</strong>wertigen‹. <strong>Die</strong> sozialpsychologischen<br />

H<strong>in</strong>tergründe dieser Ambivalenzen s<strong>in</strong>d im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Faschismusforschung und <strong>der</strong> Arbeiten<br />

über den Autoritären Charakter für die mitteleuropäische Gesellschaft recht sorgfältig untersucht u.a. von<br />

Adorno 1973; Gottschalch 1977: 35; Schuon-Wiehl 1973: 78-79; vgl. auch Voigt 1993a: 57-50 zu den<br />

didaktischen Konsequenzen.<br />

4. Der kritische Diskurs setzt zunächst <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Wissenschaften selbst an, wie z.B. <strong>in</strong> den Arbeiten über<br />

den Orientalismus. <strong>Die</strong> Rezeption dieses Diskurses <strong>in</strong> <strong>der</strong> politischen Öffentlichkeit und <strong>der</strong> Fachdidaktik<br />

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