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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

nahme westlicher Ideologeme war und den rassistischen Vorstellungen des französischen Historikers Léon Calum<br />

folgten, die parallel zu lesen s<strong>in</strong>d mit den gleichzeitigen Ausbildungen e<strong>in</strong>es naiv-biologistischen Rassismus im 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> Europa mit nation<strong>als</strong>taatlichen Legitimierungsideologien zum Pangermanismus, Panslawismus<br />

o<strong>der</strong> aber im Osmanischen Reich zum Panturanismus und weiter südlich zum Panarabismus verband.<br />

In diesen Ideologemen des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts s<strong>in</strong>d bis heute noch – beliebig funktionalisierbare – Ressourcen<br />

des ethnifizierten Nationbegriffes und <strong>der</strong> ethnischen Kultur- und Abstammungsideologien zu f<strong>in</strong>den, die z.B. das<br />

deutsche Staatsbürgerschaftsrecht (begründet auf das ‚jus sangu<strong>in</strong>is‘) ebenso prägen wie verbreitete völkische<br />

Ideologien <strong>in</strong> fast allen europäischen Nationen – zunehmend eben auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei seit <strong>der</strong> Jungtürkischen<br />

<strong>Revolution</strong>.<br />

In mehrfacher H<strong>in</strong>sicht ist damit auch die jungtürkische Mo<strong>der</strong>nisierungspolitik <strong>als</strong> typische soziale Bewegung<br />

<strong>der</strong> Semiperipherie zu verstehen, bei <strong>der</strong> <strong>in</strong>adäquate – <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausprägung oft die kontextuellen sozialen und politisch-kulturellen<br />

Akzente und Verständnisse verschiebende – Übernahmen von Mo<strong>der</strong>nisierungsstrategien und<br />

Legitimationsmustern zu beobachten s<strong>in</strong>d, die dadurch von außen gesehen oft „aufgesetzt“, wenn nicht<br />

anachronistisch wirken, weil sie nicht den autochthonen, <strong>in</strong> die Krise geratenen Gesellschaftsstrukturen, son<strong>der</strong>n den<br />

Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Dependenzstrukturen des Weltsystems gehorchen, dabei zu den sozialen und politischen<br />

Teilhabeansprüchen <strong>der</strong> Bevölkerung, die sich mit <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierungshoffnung verb<strong>in</strong>den könnten, <strong>in</strong> Wi<strong>der</strong>spruch<br />

geraten und daher <strong>in</strong> dem Maße, <strong>in</strong> dem sie sich von sich segmentierende Sozialgruppen <strong>als</strong> Oktroi wahrgenommen<br />

werden, zu immer stärker zentralistischen Herrschaftsdurchsetzungen und zu immer autoritär-konservativeren<br />

Legitimierungsideologien gezwungen werden: die Mo<strong>der</strong>nisierungsprozesse schaffen sich ihre antimo<strong>der</strong>nistische<br />

Opposition selbst.<br />

Es kann im gegebenen Zusammenhang nicht diskutiert werden, dass auch die antimo<strong>der</strong>nistischen<br />

Bewegungen dort, wo sie Macht o<strong>der</strong> gar staatliche Repräsentanz gew<strong>in</strong>nen, ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e historisch undenkbare<br />

„Rückkehr <strong>in</strong> vormo<strong>der</strong>ne Zeiten“ bewirken, son<strong>der</strong>n objektiv ihrem eigenen Selbstverständnis zuwi<strong>der</strong> laufen und<br />

zwangsläufig machtgesteuerte Homogenisierungs- und damit Mo<strong>der</strong>nisierungsschübe e<strong>in</strong>leiten müssen, um <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong>ternationalen Machtbalance im Weltsystem standhalten zu können. Sehr deutlich ist das am Beispiel des <strong>Iran</strong> nach<br />

<strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong>, aber auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en konservativ-fundamentalistischen Herrschaftsordnungen wie <strong>in</strong><br />

Kuwait o<strong>der</strong> Saudi Arabien zu beobachten. <strong>Die</strong> Alternative wäre gesellschaftliche Anomie, wie sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge von<br />

Bürgerkriegen zum<strong>in</strong>dest für begrenzte Zeiträume entstehen kann – wie die Beispiele Libanon o<strong>der</strong> Bosnien zeigen<br />

–, wo <strong>der</strong> Verlust zentraler Autoritäten den radikalen Zerfall <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>in</strong> sich bekämpfende und selbst wie<strong>der</strong><br />

vom Zerfall bedrohte Loyalitätsgruppen („Gentes“, „Clans“, Familien) bedeutet, und wo die Legitimation fast<br />

ausschließlich über die Verwandtschaft erfolgt: Grundlage e<strong>in</strong>es ethnifizierten Gesellschaftsbildes.<br />

<strong>Die</strong> Parallele zur heutigen Situation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkischen Republik mit ihrem Südostanatolienkonflikt drängt sich<br />

auf; diese geht noch weiter, <strong>als</strong> es <strong>der</strong> erste Blick vermuten lässt, wenn man den Zusammenhang <strong>der</strong> Jungtürkischen<br />

Mo<strong>der</strong>nisierungs- und Zentralisierungspolitik mit dem gleichzeitigen Armenienkrieg – <strong>der</strong> mit Massakern und<br />

Massendeportationen bis nach Deir es-Zaur am Euphrat im heutigen Syrien die e<strong>in</strong>heimische armenische<br />

Bevölkerung dezimierte und <strong>der</strong> erste Völkermord dieses Jahrhun<strong>der</strong>ts gewesen ist (mit wohlwollen<strong>der</strong> technischer<br />

Beratung und Hilfe des Deutschen Reiches unter Wilhelm II, wie kürzlich aufgefundene Dokumente aus dem<br />

Auswärtigen Amt erweisen) – untersucht.<br />

Ohne hier <strong>in</strong>s E<strong>in</strong>zelne gehen zu können, sollte doch auch hier die Aufmerksamkeit auf die unlösbare<br />

Interdependenz zwischen den Verschiebungen <strong>der</strong> weltpolitischen Machtbalancen und den Deformationen <strong>der</strong><br />

staatlichen B<strong>in</strong>nenstrukturen <strong>in</strong> den peripherisierten Regionen gelenkt werden. Im Falle Armeniens ist die weltpolitische<br />

„<strong>in</strong>tervenierende Variable“ <strong>der</strong> andauernde Macht- und E<strong>in</strong>flusszonenkonflikt des Osmanischen Reiches<br />

mit dem zaristischen Russland.<br />

E<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Eigenheit dieses Konfliktes ist es, dass er zwischen zwei Län<strong>der</strong>n stattf<strong>in</strong>den, die mit dem<br />

ökonomisch-politischen Aufstieg <strong>der</strong> westeuropäischen Mächte <strong>in</strong> gleicher Weise e<strong>in</strong>em sich verstärkenden<br />

Peripherisierungsdruck ausgesetzt s<strong>in</strong>d, dem mit den überkommenen imperialen, vorstaatlichen Strukturen nicht<br />

erfolgreich zu begegnen ist, 159 und <strong>der</strong> <strong>in</strong> immer drängen<strong>der</strong>er Weise e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nergesellschaftliche Mo<strong>der</strong>nisierung<br />

erfor<strong>der</strong>lich macht.<br />

Solange aber – <strong>in</strong> beiden Län<strong>der</strong>n – ke<strong>in</strong>e soziale Trägerschaft für die notwendige Mo<strong>der</strong>nisierung entstanden<br />

ist, muss Herrschaftserhalt <strong>in</strong> traditioneller Weise entwe<strong>der</strong> durch außenpolitische Machtgew<strong>in</strong>ne, und das heißt <strong>in</strong><br />

dieser Zeit: durch gewonnene Kriege und durch territoriale Ausweitung, o<strong>der</strong> durch verstärkte <strong>in</strong>nere Oppression<br />

und ökonomische Ausbeutung erfolgen, die schnell an objektive Grenzen gelangen wird und <strong>in</strong> schon geschil<strong>der</strong>ter<br />

Weise die B<strong>in</strong>nenperipherisierung und die Marg<strong>in</strong>alisierung <strong>der</strong> Rand- und ehemaligen Ressourcengebiete e<strong>in</strong>leitet.<br />

E<strong>in</strong>e umfassen<strong>der</strong>e Verallgeme<strong>in</strong>erung sollte hier nicht erfolgen; es genügt, noch e<strong>in</strong>mal deutlich zu machen,<br />

dass die Entstehung <strong>der</strong> globalen Semiperipherien e<strong>in</strong> Prozess <strong>der</strong> abhängigen Mo<strong>der</strong>nisierung darstellt und typisch<br />

ist für die Staats- und Zivilisationsentwicklung im 19. und 20. Jahrhun<strong>der</strong>t. Es ist daher ke<strong>in</strong> Zufall, dass die<br />

gefährlichen, global destabilisierenden Konflikte und Kriege <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Fälle ihren Ursprung <strong>in</strong> den<br />

Regionen <strong>der</strong> Semiperipherien haben.<br />

159<br />

vgl. auch Bassam Tibis (1987) titelgebende These <strong>der</strong> Entwicklung „Vom Gottesreich zum Nation<strong>als</strong>taat“.<br />

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