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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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4. Diskurse <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung im Kontext <strong>der</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Iran</strong><br />

sicht« <strong>der</strong> Ereignisse zu vermitteln. Doch gerade dieser Versuch muss im Mittelpunkt e<strong>in</strong>er didaktischen Vermittlung<br />

stehen: Empathie ermöglichen.<br />

Zunächst wird aber <strong>der</strong> von Kippenberg aufgezeigte Zusammenhang selbst noch rätselhafter, wenn er den<br />

Kontext zu den traditionellen iranischen ‘Ašura-Ritualen und ihrer religiösen S<strong>in</strong>ngebung im Hoseyn-Mythos – den<br />

an an<strong>der</strong>er Stelle Hooglund (1981:257-276) ethnographisch-soziologisch untersucht hat – herstellt:<br />

E<strong>in</strong> UPI-Foto vom 24.12.1978 (...) wurde von <strong>der</strong> Agentur folgen<strong>der</strong>maßen kommentiert: „Demonstranten<br />

zeigen e<strong>in</strong> Stück Kleidung, das angeblich von e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> 13 Personen getragen worden war, die wie berichtet<br />

am 24.12. von Truppen erschossen wurden.“<br />

E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es UPI-Foto vom 31.1.1979 (...) wird mit folgenden Worten erläutert: „E<strong>in</strong> Demonstrant zeigt se<strong>in</strong>e<br />

blutigen Hände, nachdem Armeetruppen am 31.1., am Vorabend <strong>der</strong> Rückkehr des Ayatollah Khome<strong>in</strong>i nach<br />

fünfzehnjährigem Exil, das Feuer auf Massen eröffneten, die gegen e<strong>in</strong>e massive Militärdemonstration <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Teheraner Innenstadt protestierten.“<br />

Für beide Handlungen gibt es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ta’ziyah-Literatur zahlreiche Vorbil<strong>der</strong>. So spricht Sak<strong>in</strong>ah, die Tochter<br />

Hoseyns, zu ihrem Bru<strong>der</strong> ‘Ali Akbar, <strong>als</strong> dieser se<strong>in</strong>en Kampf für e<strong>in</strong>en Augenblick unterbricht: „O, möge Sak<strong>in</strong>ah<br />

e<strong>in</strong> Lösegeld für dieses Hemd se<strong>in</strong> und e<strong>in</strong> Opfer für de<strong>in</strong> Versprechen. De<strong>in</strong> Hemd ist ganz befleckt mit dem Blute<br />

de<strong>in</strong>es Hauptes“ (Pelly: 1879, 1, 300). Insbeson<strong>der</strong>e wird das Leichentuch <strong>als</strong> Symbol des endgültigen Sieges über<br />

den Gegner verstanden. Es ist das Ehrenkleid, das <strong>der</strong> Märtyrer an Stelle des Hochzeitskleides anzieht. „Das<br />

Leichentuch wird zum Ehrenkleid des Hochzeitsfestes“. 557 Bei genauerer Betrachtung des Fotos wird deutlich, dass<br />

es sich auch hier um das blutbefleckte Leichentuch handelt. <strong>Die</strong>jenigen, die es so demonstrativ zeigen, übernehmen<br />

<strong>in</strong> den Worten Shari‘atis die Rolle von Zaynab und verbreiten die Botschaft des vergossenen Blutes.<br />

„Auch die Symbolik <strong>der</strong> blutigen bzw. mit Henna rot gefärbten Hände bezieht sich auf diese apokalyptische<br />

Logik. Eigentlich gehört es zu den Hochzeitsbräuchen, sich die Hände mit Henna rot zu färben. Doch wird<br />

dieses Hochzeitssymbol auch auf die Interpretation <strong>der</strong> Kerbala-Ereignisse übertragen. Entsprechend heißt es<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ta’ziyah: ‚Für die Märtyrer ist das Henna <strong>der</strong> Lebensfreude das Blut‘“ (Generet: 1946, 80f.).<br />

E<strong>in</strong> weiteres UPI-Foto (...), das am 6.12.1979, <strong>als</strong>o nach dem Sturz des Schah-Regimes, aufgenommen wurde,<br />

ist folgen<strong>der</strong>maßen kommentiert: „Demonstranten, die symbolisch weiße Hemden tragen, welche Leichentücher<br />

darstellen – das Zeichen <strong>der</strong> Bereitschaft, für den Islam zu sterben –, rufen antiamerikanische Losungen<br />

vor <strong>der</strong> besetzten US-Botschaft hier am 6.12., wo die 50 Geiseln seit 33 Tagen festgehalten werden.“ Auf den<br />

Leichentüchern lesen wir: „Wir s<strong>in</strong>d zum Shahadat (Zeugnis/Märtyrertod) gekommen“ (Kippenberg 1981:<br />

254-255; Zitate und Literaturverweise bei Kippenberg).<br />

<strong>Die</strong> hohe Emotionalisierung <strong>der</strong> Demonstrations- und Kampfsituation <strong>in</strong> Tehran und <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en iranischen Städten<br />

f<strong>in</strong>det ihr Spiegelbild beim europäischen Leser und Beobachter <strong>in</strong> heftigen, größtenteils negativen und abwehrenden<br />

Affekten angesichts <strong>der</strong> sche<strong>in</strong>bar so »unzivilisierten« Verhaltensweisen <strong>der</strong> iranischen Volksmassen.<br />

Es wird zu e<strong>in</strong>em Problem für die Didaktik <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung, diesen hohen Affektstandard e<strong>in</strong>zugrenzen<br />

und rational zu kontrollieren. <strong>Die</strong> »naive« Distanz <strong>der</strong> affektiven Ablehnung, die psychologisch sicherlich<br />

Selbstschutz und Abwehr zugleich ist, muss durch den Aufbau rationaler und auflösbarer Distanzierungen<br />

aufgehoben werden. Dazu genügt es nicht, Kenntnisse über die historisch-religiösen und sozialpsychologischen<br />

H<strong>in</strong>tergründe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>Iran</strong>s zu vermitteln, son<strong>der</strong>n es muss zum<strong>in</strong>dest ansatzweise die Verständnisebene<br />

für e<strong>in</strong>e »Innensicht« <strong>der</strong> iranischen Situation geschaffen werden.<br />

Das verlangt Konkretheit und Exemplarität. Schauen wir uns die Demonstrationszüge zum Jahrestag <strong>der</strong><br />

<strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> noch e<strong>in</strong>mal genauer an, wie sie <strong>in</strong> den deutschen Tageszeitungen beschrieben<br />

worden s<strong>in</strong>d und behalten wir dabei im Auge, dass diese »Gedenkdemonstrationen« e<strong>in</strong>e mehrfach gebrochene<br />

Funktionalität und S<strong>in</strong>ngebung erhalten: zum e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung an die hochgradige Symbolisierung und<br />

Ritualisierung <strong>der</strong> erfolgreichen revolutionären Straßenkämpfe <strong>in</strong> Tehran <strong>in</strong> den Jahren zuvor, die an die (von<br />

Kippenberg und Hooglund geschil<strong>der</strong>te) Tradition <strong>der</strong> religiösen, hochritualisierten Straßenkämpfe <strong>der</strong> traditionellen<br />

Prozessionen im Trauermonat Moharram anknüpfen konnten und von ihnen die symbolische Sprache und das<br />

rituelle Ausdruckspotential erhielten, zum An<strong>der</strong>n die notwendige situative und kontextuelle Umdeutung <strong>der</strong><br />

S<strong>in</strong>nvermittlung, die jetzt <strong>der</strong> Stabilisierung <strong>der</strong> Macht, <strong>der</strong> gesellschaftlichen Integration diente, die den Aspekt <strong>der</strong><br />

Projektivität aggressiver Stereotypen gegenüber äußeren Fe<strong>in</strong>dbil<strong>der</strong>n nur umso näher legt.<br />

4.4.2. Sich überlagernde Frauen-Diskurse:<br />

Ansätze e<strong>in</strong>er didaktischen Reflexion<br />

4.4.2.1. Realitätsebenen, Wahrnehmung und didaktische Diskurs-Voraussetzungen<br />

Im vorangegangenen Abschnitt konnte gezeigt werden, dass <strong>der</strong> „Frauen-Diskurs“ auch für die Rezeption <strong>der</strong><br />

Ereignisse <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>e hervorragende Rolle spielt. Gerade die dabei<br />

vermittelten Bil<strong>der</strong> – Märtyrer und im schwarzen Tschador demonstrierende Frauen – s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e stabile und wertende<br />

Codierung, die weit über e<strong>in</strong>e rationale Betrachtung <strong>der</strong> zeitgeschichtlichen Ereignisse h<strong>in</strong>ausgeht.<br />

557<br />

Generet, R.H. de, 1946: Le Martyre d’Ali Akbar. Bibliothèque de la Fac. de Philos. et Lettres de l’Univ. Liège. Fasc. 95.<br />

Liège/Paris, 94f., Z. 582.<br />

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