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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

<strong>Die</strong> Stellung <strong>der</strong> Bazari<br />

Wir wollen unseren didaktischen Exkurs <strong>in</strong> die Geschichte <strong>Iran</strong>s zur Kadjarenzeit abschließen mit e<strong>in</strong>er erneuten<br />

Kontrastierung e<strong>in</strong>es Zitates aus e<strong>in</strong>er Schülerarbeit mit e<strong>in</strong>er fachwissenschaftlichen Darstellung und gleichzeitig<br />

mit <strong>der</strong> <strong>in</strong>haltlichen Zuwendung zu e<strong>in</strong>em zentralen Thema, das die Politische Kultur des Landes mit ihrer <strong>in</strong>neren<br />

Struktur verb<strong>in</strong>det, das Ökonomie und »Staatsverwaltung« überklammert und <strong>in</strong> gewisser Weise auch e<strong>in</strong>e<br />

gesellschaftliche Alternative zu europäischen funktionalistischen Traditionen <strong>der</strong> Regelung des gesellschaftlichen<br />

Zusammenlebens darstellt: den Bazar.<br />

Aus Schülersicht wird, wie<strong>der</strong>um <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er für die iranische KP typischen Urteilsperspektive, die Bazarwirtschaft<br />

grundsätzlich <strong>als</strong> negativ und für die Stagnation <strong>der</strong> Entwicklung <strong>Iran</strong>s verantwortlich angesehen. Der politische<br />

und gesellschaftliche Traditionalismus <strong>der</strong> Bazari ist bekannt – und entspricht den konservativen Grunde<strong>in</strong>stellungen<br />

des europäischen Handwerks und des Kle<strong>in</strong>handels, die z.B. <strong>in</strong> Frankreich <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Hälfte des 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts e<strong>in</strong>e entscheidende politische Rolle gespielt haben. <strong>Die</strong>s lässt sich durchaus durch die gesellschaftliche<br />

Situation, <strong>in</strong> <strong>der</strong> diese Bevölkerungsgruppe lebt, begründen. Historisch wird diese Tendenz noch verstärkt durch die<br />

korporativen Elemente <strong>der</strong> Zünfte und <strong>der</strong> Orientierung am mündlichen Geschäftsverkehr, <strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Entwicklung<br />

e<strong>in</strong>es persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen den Beteiligten basiert. Erst die schriftliche Vertragsform unter<br />

rechtsstaatlicher Kontrolle – und <strong>der</strong> Möglichkeit, diese Verträge vor Gericht mit staatlicher Macht durchzusetzen –<br />

begründet größere wirtschaftliche und <strong>in</strong>dustrielle E<strong>in</strong>heiten, setzt aber die vorherige Entwicklung des Staates und<br />

zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> Ansätzen e<strong>in</strong>er Staatsgesellschaft im europäischen S<strong>in</strong>ne voraus.<br />

Dort wo diese Bed<strong>in</strong>gungen nicht gegeben s<strong>in</strong>d, werden ökonomische Handlungsformen wie auf dem Bazar<br />

im Nahen Osten und <strong>in</strong> fast allen Regionen <strong>der</strong> Peripherien und Semiperipherien notwendig und s<strong>in</strong>nvoll. Der<br />

Vorwurf im Schülerzitat, dass die Bazari den wirtschaftlichen und politischen Fortschritt beh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, mag zwar dem<br />

ersten E<strong>in</strong>druck entsprechen, ist aber nur e<strong>in</strong>e Folge <strong>der</strong> notwendigen Funktion dieses Konservativismus und se<strong>in</strong>er<br />

ausdrücklichen Wertgebundenheit, gesellschaftliche Sicherheit und Vertrauen <strong>in</strong> das Wirtschaftsgeschehen zu<br />

erzeugen, was die gegebene Herrschaftsform nicht zu sichern vermag.<br />

„E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> wichtigsten endogenen Faktoren für die Stagnation und die Unterentwicklung <strong>der</strong> iranischen Wirtschaft war <strong>der</strong><br />

Basar. Er war von Anfang an e<strong>in</strong> Platz des Handwerks, da se<strong>in</strong>e Überdachung Schutz vor Kälte, Regen und Sonne und<br />

damit bessere Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen bot. In diesen Handwerkstätten waren wegen des Mangels an den erfor<strong>der</strong>lichen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen für e<strong>in</strong>en ökonomischen Aufbau wie technisches Know-How, kultureller Fortschritt, politische Voraussetzungen,<br />

ke<strong>in</strong>e weiteren Entwicklungsmöglichkeiten gegeben. <strong>Die</strong>s wurde durch die Entstehung des Kolonialismus noch<br />

verstärkt. Es gab genügend reiche Geschäftsleute, die akkumuliertes o<strong>der</strong> totes Kapital besaßen und es ohne jegliche<br />

ökonomische Kenntnisse über die technische Zusammensetzung des Kapit<strong>als</strong> desorganisiert und irrational<br />

<strong>in</strong>vestierten.“ 254<br />

<strong>Die</strong> zuletzt angesprochenen Qualifikationsdefizite <strong>der</strong> Reichen – <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> wäre es nicht beson<strong>der</strong>s s<strong>in</strong>nvoll, schon von<br />

Kapitaleignern zu sprechen –, s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>e Übergangszeit durchaus vorhanden, aber schnell überwunden. <strong>Die</strong><br />

Kapitalverwertung, die auf e<strong>in</strong>e sichere Kapital- o<strong>der</strong> Bodenrente konzentriert ist – daher <strong>der</strong> Begriff des Rentenkapitalismus<br />

von Bobek –, ist nicht irrational, son<strong>der</strong>n unter den gegebenen volkswirtschaftlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>der</strong> fehlenden staatlichen Rechtssicherheit und <strong>der</strong> Dezentralisierung und Fragmentierung <strong>der</strong> Märkte<br />

entsprechend <strong>der</strong> herrschenden Gesellschaftsstruktur betriebswirtschaftlich durchaus s<strong>in</strong>nvoll und rational. Dass sich<br />

aus dieser Situation zwar Reichtum akkumulieren lässt, e<strong>in</strong>e kapitalistische Dynamisierung durch permanente Re-<br />

Investitionen aber verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t wird, ist durchaus richtig gesehen, aber nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> im Zitat erkennbaren Form mit<br />

moralischen Kategorien abzuwerten.<br />

<strong>Die</strong> Bazarverwaltung und die korporative Organisation <strong>der</strong> Bazari ist e<strong>in</strong>gebunden <strong>in</strong> das System <strong>der</strong><br />

religiösen Strukturierung und Ordnung <strong>der</strong> Gesellschaft, die gentilen Strukturen ebenso folgt wie dem Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong><br />

gegenseitigen Loyalitätsverpflichtungen <strong>in</strong> Klientelen, die e<strong>in</strong>erseits <strong>der</strong> Handlungsmaxime des do ut des verpflichtet<br />

ist, an<strong>der</strong>erseits nur im Rahmen e<strong>in</strong>er traditionalen Wertordnung funktionsfähig bleibt, die durch differenzierte<br />

und dezentral organisierte Hierarchien geistlicher Funktionsträger gesichert werden, die ihre Autorität we<strong>der</strong><br />

vom Staat o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er kirchlichen Hierarchie im S<strong>in</strong>ne des christlichen Katholizismus noch durch demokratische<br />

Legitimationsakte erhalten, son<strong>der</strong>n selbst <strong>in</strong> die traditionalen Klientelstrukturen e<strong>in</strong>gebunden s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong>ses Situation<br />

ist so differenziert und <strong>in</strong>teressant, dass es auch zum Verständnis <strong>der</strong> sozialen Grundlagen, auf denen sich später die<br />

Legitimation <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> entwickeln konnte, das Bazarwesen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em längeren Zitat<br />

erläutert werden soll (Weiß u.a. 1994: 47 ff.):<br />

„Größte Autorität <strong>in</strong> religiös-rechtlichen Belangen genießt – <strong>in</strong> manchen Län<strong>der</strong>n bis heute – <strong>der</strong> mufti. Se<strong>in</strong>e<br />

Aufgabe <strong>als</strong> profun<strong>der</strong> Kenner des Korans und <strong>der</strong> Hadithen, <strong>der</strong> überlieferten Aussprüche des Propheten,<br />

besteht dar<strong>in</strong>, den Gläubigen verb<strong>in</strong>dliche Auskünfte h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>er frommen Lebensführung zu erteilen<br />

und <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s wichtigen Streitfragen Rechtsgutachten, sogenannte fetwa, zu erlassen. <strong>Die</strong> Rolle <strong>der</strong><br />

Armeeführer übernahmen die emire, die <strong>der</strong> ‚M<strong>in</strong>ister‘ die wesire. Als Großwesir galt – allerd<strong>in</strong>gs nur im<br />

Osmanischen Reich <strong>der</strong> Chef <strong>der</strong> gesamten Adm<strong>in</strong>istration. Er war zugleich Siegelbewahrer und Stellvertreter<br />

254<br />

ibid.<br />

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