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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

Zusammenhang mit <strong>der</strong> Diskussion des Diskurses über den ›Kulturrelativismus‹ e<strong>in</strong>gehen<strong>der</strong> zu behandeln se<strong>in</strong>.<br />

Tilgner beschreibt nun die Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> weiter:<br />

„Zuerst unbeachtet, dann verschwiegen und schließlich diskrim<strong>in</strong>iert hatten sich die Massen erhoben, e<strong>in</strong>en<br />

<strong>der</strong> brut<strong>als</strong>ten Repressionsapparate <strong>der</strong> Gegenwart paralysiert und schließlich zerschlagen. Es ist noch<br />

unmöglich, die islamische Opposition <strong>in</strong> e<strong>in</strong>deutige Begriffe zu fassen und zu bewerten, es sei denn, man erklärt<br />

sich bereit, von Mullah-Diktatur zu sprechen o<strong>der</strong> wichtige Aspekte und Ziele <strong>der</strong> Bewegung unberücksichtigt<br />

zu lassen. Zu wenig ist bisher bekannt über die unterschiedlichen Triebkräfte.<br />

Zur Zeit spricht aber alles dafür, dass sich ke<strong>in</strong>e Mullah-Diktatur etabliert, son<strong>der</strong>t sich die Mehrheit <strong>der</strong><br />

Bevölkerung mit ihren religiösen Führern aus den mittelalterlichen Zuständen befreien wird, <strong>in</strong> die sie die<br />

Pahlawi-Dynastie versetzt hatte.“ (Tilgner 1979: 7.)<br />

<strong>Die</strong>se Prognose hat sich nicht <strong>als</strong> richtig erwiesen. Auch <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> selbst verän<strong>der</strong>te sich die E<strong>in</strong>schätzung und<br />

Akzeptanz <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n Republik im Laufe <strong>der</strong> nächsten Jahre sehr deutlich. Doch bis heute stimmen Beobachter<br />

aus <strong>Iran</strong> weitgehend darüber übere<strong>in</strong>, 37 dass die grundlegende Entscheidung für e<strong>in</strong>e <strong>Islamische</strong> Republik von e<strong>in</strong>er<br />

breiten Mehrheit getragen wird und damit auch nach ›westlichen‹ Maßstäben demokratisch legitimiert ist. 38 So<br />

verweist Tilgner zu Recht auf e<strong>in</strong>en zentralen Wi<strong>der</strong>spruch <strong>in</strong> <strong>der</strong> ›westlichen‹ Beurteilung <strong>Iran</strong>s, <strong>der</strong> auch <strong>der</strong><br />

weiteren didaktischen Analyse zu Grunde gelegt werden muss:<br />

„Wenn die Medien im Westen die Opposition gegen e<strong>in</strong>en von mult<strong>in</strong>ationalen Konzernen verordneten Weg<br />

<strong>der</strong> Industrialisierung <strong>als</strong> e<strong>in</strong>en Kampf mit mittelalterlichen Zielen diffamiert, ist das erschreckend genug,<br />

wenn aber die gleichen Kräfte, die e<strong>in</strong>en <strong>der</strong> blutrünstigsten Diktatoren dieser Zeit zu e<strong>in</strong>em aufgeklärten<br />

Monarchen aufgebaut hatten, plötzlich die Menschenrechte zu e<strong>in</strong>es ihrer Hauptanliegen erklären und vor<br />

e<strong>in</strong>er islamischen Gerichtsbarkeit warnen, die noch nicht e<strong>in</strong>mal konkret angekündigt wurde, ist Vorsicht<br />

geboten.“ (Tilgner 1979: 7.)<br />

Umso deutlicher <strong>der</strong> Umschwung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schätzungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge auch <strong>der</strong> fundamentalen Enttäuschung <strong>der</strong><br />

demokratischen und sozialistischen iranischen (Exil-)<strong>Revolution</strong>äre, die den Charakter <strong>der</strong> sozial ganz an<strong>der</strong>s<br />

verorteten <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> verkannt und f<strong>als</strong>ch e<strong>in</strong>geschätzt, zum<strong>in</strong>dest aber sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hoffnung auf<br />

eigene politische Mitwirkungs- und E<strong>in</strong>wirkungspotentiale getäuscht hatten (Nirumand 1985).<br />

<strong>Die</strong> wi<strong>der</strong>sprüchlichen Aussagen zum Charakter <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> und <strong>der</strong> relativ schnelle<br />

Wechsel <strong>der</strong> Beurteilungsperspektiven for<strong>der</strong>n den bewussten Übergang von <strong>der</strong> historischen und zeitgeschichtlichen<br />

Deskription zur analytischen ›Distanzebene‹. <strong>Die</strong>s ist e<strong>in</strong>e zentrale For<strong>der</strong>ung auch für die politische und<br />

gesellschaftswissenschaftliche Fachdidaktik und den auf sie aufbauenden Politikunterricht, <strong>der</strong> ke<strong>in</strong>eswegs auf e<strong>in</strong>er<br />

deskriptiven Ebene verharren darf. Das zeigt zugleich die Schwächen <strong>der</strong> re<strong>in</strong>en Historiographie auf, die oft nicht <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Lage ist, reflexive und selbstbezügliche gesellschaftswissenschaftliche Theoriekonzepte – z.B. im Kontext <strong>der</strong><br />

Figurationssoziologie o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zivilisationstheorie nach Elias – adäquat aufzunehmen und historiographisch<br />

e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den. 39<br />

Der ›naive‹ Glaube an die E<strong>in</strong>deutigkeit politischer Ereignisse und Prozesse und die Möglichkeit ihrer def<strong>in</strong>itiven<br />

Beurteilung und Bewertung ist aus <strong>der</strong> Sicht von Politologie und Soziologie ebenso wie aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong><br />

Erkenntnistheorie <strong>der</strong> Wissenschaften und <strong>der</strong> Kulturwissenschaften endgültig aufgegeben. Sehr grundsätzliche<br />

Überlegungen zum Charakter und zur Wahrnehmung von »Realitäten« s<strong>in</strong>d heute Voraussetzung rationaler wissenschaftlicher<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung. Das bedeutet, dass sozialwissenschaftliches Arbeiten immer gleichzeitig Arbeit an,<br />

mit und über Kommunikations- und Rezeptionssituationen und den ihnen zugeordneten Medien und Institutionen<br />

se<strong>in</strong> muss, dass »Realität« <strong>als</strong>o immer <strong>als</strong> vermittelte und wahrgenommene Realität <strong>Gegenstand</strong> wissenschaftlicher<br />

Reflexion ist. 40<br />

<strong>Die</strong> Dialektik zwischen objektiver Kommunikation 41 und Bedeutung (S<strong>in</strong>n) ist sozialwissenschaftlich lange<br />

Zeit kaum thematisiert worden. <strong>Die</strong> philosophische Problematik des Verstehens ist evident, da Verständnis e<strong>in</strong>e<br />

»Metakategorie« ist, die letztlich holistischen Realitätskonzepten entspricht. Versuche e<strong>in</strong>er relativen Objektivierung<br />

des Problemkreises erfolgen über die Begriffe Zeichen und Symbol, <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> Semiotik. Im umfassen<strong>der</strong>en<br />

Rahmen hat diese Problematik heute die Kulturwissenschaft aufgegriffen, die sich damit <strong>in</strong> immer engerer<br />

37<br />

Ich beziehe mich hier auf persönliche Gespräche auch mit oppositionellen <strong>Iran</strong>ern, die im Exil leben, und auf journalistische<br />

Berichte, ohne repräsentative Daten zugrunde legen zu können.<br />

38<br />

28<br />

Dass dies für das Selbstverständnis <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n Republik durchaus problematisch ist, zeigt sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tatsache, dass<br />

Mehrheitsentscheidungen nach dem Staatsmodell <strong>Iran</strong>s ke<strong>in</strong>e Souveränität des Volkes voraussetzen o<strong>der</strong> begründen. „<strong>Die</strong><br />

Imame und Fogaha s<strong>in</strong>d verpflichtet, von den Regierungs<strong>in</strong>stitutionen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise Gebrauch zu machen, dass die Gesetze<br />

Gottes verwirklicht werden (Hervorhebung G.V.) und e<strong>in</strong>e gerechte islamische Ordnung entsteht... Sie s<strong>in</strong>d beauftragt,<br />

diese Aufgabe zu erfüllen. <strong>Die</strong> Statthalterschaft des Fagih ist se<strong>in</strong>e Mission.“ Chome<strong>in</strong>i 1983: 66.<br />

39<br />

Vgl. den Diskussionsbeitrag von Voigt (1996d) zu e<strong>in</strong>er historiographischen Rezension von Imanuel Geiss über das figurationssoziologische<br />

Werk von Kürşat-Ahlers (1994) „Zur frühen Staatenbildung von Steppenvölkern“.<br />

40<br />

Das gilt im übertragenen S<strong>in</strong>ne natürlich auch für die Fachdidaktik und den Politikunterricht!<br />

41<br />

Im S<strong>in</strong>ne des Behaviorismus ist dieses <strong>als</strong> <strong>in</strong>put-output System und <strong>als</strong> Signal-Verhalten-Relation zu beschreiben. Weitere<br />

Diskussion dieses Ansatzes führt zu den Forschungen zur künstlichen Intelligenz (AI).

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