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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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6. „Post Scriptum“:<br />

E<strong>in</strong>ige notwendige persönliche Nachbemerkungen<br />

<strong>als</strong> Anregung zur Reflexion <strong>in</strong> Fachdidaktik wie Fachwissenschaft<br />

Oskar Negt sagt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview <strong>in</strong> <strong>der</strong> WOZ vom 8.1.2004 Grundsätzliches zur Krise <strong>der</strong> Schule beziehungsweise<br />

<strong>der</strong> Pädagogik <strong>in</strong> unserer Gesellschaft. <strong>Die</strong>se Anmerkungen s<strong>in</strong>d auch heute noch gleichermaßen<br />

gültig und bezeichnen e<strong>in</strong>e verfestigte pädagogische Situation. <strong>Die</strong>se Ausführungen s<strong>in</strong>d Grundlage <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schätzung,<br />

dass die auf pädagogisch-didaktische Innovationen ausgerichteten Ergebnisse unserer Studie über die<br />

<strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>der</strong>zeit wohl kaum e<strong>in</strong>e Chance haben <strong>als</strong> geschlossene Unterrichtsprojekte im<br />

<strong>der</strong>zeitigen Schulcurriculum verwirklicht zu werden. <strong>Die</strong>se Kritik soll aus me<strong>in</strong>er persönlichen Erfahrung heraus<br />

anschließend noch zugespitzt und ausformuliert werden.<br />

»<strong>Die</strong> meisten Politiker s<strong>in</strong>d im festen Glauben, dass wir die gegenwärtigen Probleme lösen können, wenn wir<br />

das Schulsystem straffen und die Selektion erhöhen (Hervorhebung G.V.). Das ist e<strong>in</strong> ausgesprochenes<br />

Ohnmachtsverhalten. … <strong>Die</strong> Politiker wollen die wirklichen Probleme nicht sehen. Sie trommeln für Evaluation,<br />

Leitbil<strong>der</strong>, Straffung und Monitor<strong>in</strong>g (Hervorhebung G.V.). Das ist e<strong>in</strong>e Realitätsverleugnung und<br />

Realitätsverdrängung. Alle diese Bildungsevaluationen erwecken den Ansche<strong>in</strong>, dass wir besser qualifizierte<br />

Arbeitskräfte bekommen, wenn wir unsere Schulen rationalisieren. Aber wenn Evaluationen die e<strong>in</strong>zige<br />

Grundlage für e<strong>in</strong> Rank<strong>in</strong>g bilden, ist das Uns<strong>in</strong>n. Das ist das Problem <strong>der</strong> quantitativen Bewertung: Bestimmte<br />

emotionale Entwicklungen von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, <strong>als</strong>o wo sie stehen, was die Kommunikation und ihr Selbstwertgefühl<br />

betrifft, welche Ausdrucksmöglichkeiten sie für Wut und Aggression haben und so weiter, kann man<br />

nur durch <strong>in</strong>tensive Beobachtung und sehr ausführliche Beschreibung festhalten. … Man sagt, die Leute<br />

könnten nicht richtig lesen. <strong>Die</strong> Politik müsste jedoch vor allem qualitative Untersuchungen zu den Strukturproblemen<br />

<strong>der</strong> Schule zur Kenntnis nehmen. Ganze Bibliotheken stehen voll mit solchen Untersuchungen,<br />

aber die Politiker lesen sie nicht. Wenn Sie mit e<strong>in</strong>em Politiker über »kulturelle Erosionskrise« reden, dann<br />

sagt <strong>der</strong>: »Da ist doch alles stabil, wo ist das Problem?« … Wenn man genau h<strong>in</strong>schaut, dann sieht man, dass<br />

die Krise des Schulsystems mit <strong>der</strong> heutigen Form des Kapitalismus zu tun hat. Wenn man sich wie die meisten<br />

Politiker damit zufrieden gibt, zu sagen: «Das ist nun mal so», dann kann man ja nur bestimmte Rationalisierungsmaßnahmen<br />

im Kopf haben, statt das System zu än<strong>der</strong>n. … Bildung ist Orientierungswissen fürs<br />

Leben. Sie ermöglicht den Menschen, sich auch <strong>in</strong> Situationen bedrohter Identität zurechtzuf<strong>in</strong>den, <strong>als</strong>o quasi<br />

die Arbeitslosigkeit zu verarbeiten. Menschen, die sich bilden, haben e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Weltblick. Das Schlimme<br />

<strong>der</strong> gegenwärtigen Gesellschaft ist die Entwertung <strong>der</strong> Arbeitslosen. Wenn Sie arbeitslos s<strong>in</strong>d, brechen die<br />

Raum- und Zeitkoord<strong>in</strong>aten zusammen. <strong>Die</strong> Erträglichkeit von Arbeitslosenschicksalen nimmt <strong>in</strong> dem Masse<br />

zu, <strong>in</strong> dem Bildungsprozesse nicht e<strong>in</strong>fach verne<strong>in</strong>t, son<strong>der</strong>n <strong>als</strong> gesellschaftliche anerkannt werden. … Was<br />

ich e<strong>in</strong>e drohende «Bildungskatastrophe» nenne, ist die Ausrichtung des Schulsystems an Werten, für die es<br />

ke<strong>in</strong>e Basis mehr gibt. <strong>Die</strong> Jugendlichen werden nicht auf die Realität vorbereitet. <strong>Die</strong> Krise ist gesellschaftlich,<br />

die Lösung aber sollen die Individuen alle<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>den. Wers nicht schafft, ist selber schuld, heißt es.<br />

Lei<strong>der</strong> gibt es ke<strong>in</strong>en Bildungswert des Elends: Bei denen, die von dieser Gesellschaft schlecht behandelt<br />

werden, wachsen we<strong>der</strong> das Protestpotenzial noch die Wut. <strong>Die</strong> Abgekoppelten s<strong>in</strong>d depressiv. <strong>Die</strong> Hoffnung,<br />

dass es e<strong>in</strong>es Tages besser geht, ist immer <strong>in</strong>dividuell. Es fehlt an kollektiver Organisation. <strong>Die</strong> Gewerkschaften<br />

müssten die ausgeglie<strong>der</strong>ten Menschen organisieren«.<br />

Unser Unterrichtsentwurf folgt den Prämissen <strong>der</strong> didaktisch-curricularen Studie über die <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Iran</strong> und postuliert e<strong>in</strong>e Schule genau im Wi<strong>der</strong>spruch zur Evaluation, zu Leitbil<strong>der</strong>n, Straffung und Monitor<strong>in</strong>g<br />

Unsere Untersuchungsergebnisse auf <strong>der</strong> Basis von Vorstellungen zum offenen Unterricht, zum Projektlernen<br />

und e<strong>in</strong>em Curriculum <strong>der</strong> Exemplarität, das aus <strong>der</strong> konkreten Situation <strong>der</strong> Schule und <strong>der</strong> Lerngruppe heraus zu<br />

gestalten ist und die Lehrkräfte ebenso wie die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler selbst <strong>in</strong> die Verantwortung für das<br />

<strong>in</strong>dividuelle wie geme<strong>in</strong>same Lernen nimmt, entwickeln e<strong>in</strong>e Alternative zum heutigen Schulbetrieb und <strong>der</strong><br />

heutigen Schulpolitik, wurzeln aber tief <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tradition <strong>der</strong> Reformpädagogik, die schon über hun<strong>der</strong>t Jahre für e<strong>in</strong><br />

neues pädagogisches Verständnis – und damit für e<strong>in</strong>e verän<strong>der</strong>te Gesellschaft – kämpft und bezieht sich auf<br />

hochrangige Wissenschaftler <strong>der</strong> pädagogischen Fakultät wie Negt, Hilligen, von Hentig, Klafki, aber auch Fachwissenschaftlern<br />

<strong>der</strong> Pädagogik <strong>der</strong> Gesellschaftswissenschaften wie Bernhard Claußen, E.-A. Roloff, Schramke und<br />

nicht zuletzt Wulf Schmidt-Wulffen..<br />

Nach Fertigstellung dieser didaktischen Studie über die Probleme, die mit dem Thema „<strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>Iran</strong>“ <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> schulischen Vermittlungskontexte verbunden s<strong>in</strong>d, sowie um daraus verallgeme<strong>in</strong>erungsfähige<br />

Schlussfolgerungen zum Anstoß e<strong>in</strong>es möglichen Paradigmenwandels <strong>in</strong> <strong>der</strong> Didaktik ziehen zu können, ergibt die<br />

kritische Nachschau Probleme, die nicht vorhergesehen waren und die weit über die üblichen Aktualitätsdifferenzen<br />

zwischen Beg<strong>in</strong>n und Abschluss <strong>der</strong> Arbeit h<strong>in</strong>ausgehen.<br />

In den letzten Jahren fand <strong>in</strong> den Schulen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bildungspolitik und <strong>in</strong> <strong>der</strong> öffentlichen Diskussion um den<br />

gesellschaftlichen Stellenwert des Lernens und <strong>der</strong> Erziehung e<strong>in</strong>e Entwicklung statt, die gegenüber den Reformvorstellungen<br />

und -ansätzen <strong>der</strong> 70er und 80er Jahre be<strong>in</strong>ahe e<strong>in</strong>e „Kehrtwende“ bedeuten.<br />

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