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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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4. Diskurse <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung im Kontext <strong>der</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Iran</strong><br />

„Für e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> nach Shiraz zur Arbeit o<strong>der</strong> zur Schule pendelnden Dorfbewohner wurden an<strong>der</strong>e Ideen und<br />

Ideologien attraktiver: Man las heimlich marxistische Bücher, diskutierte über Demokratie und e<strong>in</strong> repräsentatives<br />

Regierungssystem. <strong>Die</strong>se Pendler erfuhren sich ökonomisch, und noch mehr politisch, <strong>als</strong><br />

unabhängig. <strong>Die</strong> weitgehend von Dr. ‘Ali Shari’ati popularisierte entgegengesetzte Interpretation des Islams,<br />

mit ihrer Ideologie <strong>der</strong> Selbstverantwortung und des Wi<strong>der</strong>standes gegen ungerechte Herrschaft, gewann an<br />

Glaubwürdigkeit. Sie war <strong>der</strong> Situation <strong>der</strong> Pendler und ihrem neuen Handlungsspielraum angemessener. Das<br />

galt umso mehr, je weiter die <strong>Revolution</strong> 485 fortschritt.“ (Hooglund 1981.)<br />

<strong>Die</strong> ökonomische Situation dieser neuen <strong>in</strong>dustriellen Mittelschicht (obwohl diese begriffliche Kategorisierung<br />

problematisch ersche<strong>in</strong>t) wird zunehmend <strong>als</strong> krisenhaft erlebt und nähert sich daher zunehmend <strong>in</strong> den letzten<br />

Jahren <strong>der</strong> Šah-Herrschaft den Lebensverhältnissen <strong>der</strong> parallel dazu entstehenden e<strong>in</strong>fachen Industriearbeiterschaft.<br />

Zum ersten Male entstand e<strong>in</strong>e Bevölkerungsschicht, die nicht nur nach europäischen Maßstäben arm war, son<strong>der</strong>n<br />

sich selbst <strong>als</strong> arm wahrnahm und von <strong>der</strong> iranischen Gesellschaft auch sozial aus den traditionellen Loyalitäts- und<br />

Solidaritätsb<strong>in</strong>dungen ausgestoßen wurde. Der große Konsens, auf den die <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> bauen konnte, war<br />

somit e<strong>in</strong>e Koalition <strong>der</strong> sozialen Verlierer <strong>der</strong> »Weißen <strong>Revolution</strong>« des Šah. <strong>Die</strong> islamische Geistlichkeit, ohneh<strong>in</strong><br />

politisch und im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Machtverschiebungen im schon charakterisierten »Klientel-Staat« <strong>in</strong> <strong>der</strong> Opposition,<br />

konnte die <strong>Revolution</strong> <strong>als</strong> Re<strong>in</strong>tegrationsangebot popularisieren und die wirksamen <strong>in</strong>tegrierenden Symbole<br />

aktualisieren.<br />

Es handelt sich <strong>als</strong>o nicht vor<strong>der</strong>gründig um e<strong>in</strong>e manipulative Funktionalisierung <strong>der</strong> islamischen Religion<br />

und ebenso wenig um e<strong>in</strong>en Machtputsch e<strong>in</strong>er konservativen Geistlichkeit, son<strong>der</strong>n die <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong><br />

entwickelte sich auf e<strong>in</strong>er breiten sozialen Basis <strong>als</strong> politische Koalition <strong>der</strong> Verlierer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Politik des <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krise<br />

bef<strong>in</strong>dlichen Šah-Regimes. <strong>Die</strong> Selbstvergewisserung dieser Koalition benötigte und nutzte die ohneh<strong>in</strong> präsenten<br />

und allgeme<strong>in</strong> akzeptierten religiösen Symbol<strong>in</strong>ventare, die den Blick auf das Trennende <strong>in</strong> den Gruppen<strong>in</strong>teressen<br />

<strong>der</strong> Koalitionäre überspielte. Doch nur die Dissonanzerfahrung zwischen Mo<strong>der</strong>nisierungsanspruch und soziökonomischem<br />

Versagen <strong>der</strong> »Weißen <strong>Revolution</strong>«, die damit verbundene Realitätsdef<strong>in</strong>ition <strong>als</strong> »Krise« und die<br />

relativ neue Selbstdef<strong>in</strong>ition <strong>als</strong> »arm« o<strong>der</strong> »verarmt« konnten diese revolutionäre Macht aufbauen und zum Erfolg<br />

führen. <strong>Die</strong> Situation bei Ausbruch <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> und ihre materiellen ökonomischen H<strong>in</strong>tergründe<br />

werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bericht <strong>der</strong> Frankfurter Rundschau von 1978 anschaulich vor Augen geführt:<br />

„<strong>Die</strong> Geistlichkeit war <strong>als</strong> e<strong>in</strong>e Komponente <strong>der</strong> revolutionären Kräfte an <strong>der</strong> Durchsetzung <strong>der</strong> ersten islamischen<br />

– Verfassung (1906) beteiligt, die dem Volk Grundrecht zusicherte. Auch heute ist die fortschrittliche<br />

Geistlichkeit e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Träger <strong>der</strong> demokratischen Opposition <strong>in</strong> <strong>Iran</strong>.... <strong>Die</strong> Demonstrationszüge fanden zum<br />

größten Teil <strong>in</strong> Industriestädten statt, wie Täbriz, Isfahan, Abadan (traditionell hoch <strong>in</strong>dustrialisierte Arbeitsstadt;<br />

<strong>in</strong> Abadan wurde ab 1909 die erste Raff<strong>in</strong>erie <strong>der</strong> Welt gebaut, seit 1911 produziert man dort Erdöl<strong>der</strong>ivate)<br />

und Schiraz. Bei allen genannten Städten handelt es sich um Handwerks- Industrie- und Arbeitszentren;<br />

nicht um religiöse Stätten.... <strong>Die</strong> Wirtschaftspolitik des Schah-Regimes sah vor, aus e<strong>in</strong>em<br />

überwiegend landwirtschaftorientierten Staat e<strong>in</strong>e Industrienation zu machen. <strong>Die</strong>ses Vorhaben ist im Ansatz<br />

gescheitert.... Vor zehn Jahren noch vermochte <strong>Iran</strong> sich selbst zu ernähren, ja sogar kle<strong>in</strong>er Mengen Agrarprodukte<br />

zu exportieren. Heute wird jedoch <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Lebensmittel importiert.... E<strong>in</strong>e zusätzliche<br />

Belastung <strong>der</strong> iranischen Wirtschaft kommt aus <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziellen Krise des Landes. <strong>Die</strong> f<strong>in</strong>anzpolitischen Pläne<br />

<strong>der</strong> Zentralbank zur Bekämpfung <strong>der</strong> Inflation (Jahresrate zwischen 20 und 40 Prozent) führen zu Geldknappheit<br />

<strong>in</strong> den Basaren, zur enormen Steigerung <strong>der</strong> Z<strong>in</strong>sen privater Geldverleiher und Börsenspekulanten<br />

und schließlich zum Bankrott <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>en und mittleren Industriezweige.... Das Erdöl, Nationalreichtum <strong>Iran</strong>s<br />

(Erdöle<strong>in</strong>kommen von 22-25 Milliarden Dollar pro Jahr) wird durch rücksichtslose Ausnutzung verschwendet,<br />

wie zum Beispiel durch den Ankauf von Waffen für mehr <strong>als</strong> 40 Milliarden Dollar <strong>in</strong>nerhalb von 7 Jahren.<br />

<strong>Die</strong>se Waffenkäufe haben e<strong>in</strong>e akute Zahlungskrise hervorgerufen, zumal die Öle<strong>in</strong>nahmen sanken, weil<br />

Großabnehmer jetzt sparen.“ 486<br />

In diesem Zusammenhang nicht weiter zu thematisieren ist die im Artikel angesprochene und politisch brisante<br />

Tatsache, dass das Scheitern <strong>der</strong> »Weißen <strong>Revolution</strong>« nicht nur – wenn auch maßgeblich – auf <strong>in</strong>nere Strukturfehler<br />

und politische Fehle<strong>in</strong>schätzungen <strong>der</strong> Šah-Regierung zurückzuführen war, son<strong>der</strong>n ebenso auf sich<br />

verschlechternde außenwirtschaftliche Verhältnisse. <strong>Die</strong> hohe Militarisierung <strong>Iran</strong>s, die sich <strong>in</strong> massiven und teuren<br />

Waffenkäufen äußerte, tat e<strong>in</strong> Übriges, diese Regierung zu diskreditieren.<br />

Unsere Darstellung soll jetzt im S<strong>in</strong>ne diskursiven Vorgehens und mit Blick auf die didaktische Relevanz<br />

dieser Diskurse zurück verweisen auf die e<strong>in</strong>gangs angesprochene Rezeption <strong>der</strong> Situation <strong>in</strong> <strong>der</strong> »Dritten Welt« und<br />

<strong>in</strong> den Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Semiperipherien, zu denen wir hier <strong>Iran</strong> zählen, durch die europäischen Medien. Dazu hilft uns<br />

exemplarisch und <strong>in</strong> Anknüpfung an die zuvor diskutierte soziale Krisensituation im <strong>Iran</strong> am Ende <strong>der</strong> siebziger<br />

Jahre e<strong>in</strong> Blick auf unsere »Medienbasis«. Typisch für die Berichterstattung im Referenzmonat April 1980 ist, dass<br />

diese Diskurse über Armut und soziale Krisen, die wir <strong>als</strong> ansonsten typisch für die »Dritte-Welt-Perspektive« <strong>in</strong><br />

Deutschland o<strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong> den tiers mondisme Westeuropas und <strong>der</strong> USA bezeichnen mussten, <strong>in</strong> Bezug auf die<br />

<strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> nicht aufgegriffen und nicht thematisiert werden. <strong>Die</strong> Diskurse, die wir <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick<br />

auf die Interpretation <strong>der</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> von zentraler Bedeutung und von erheblicher Erklärungsrelevanz<br />

485<br />

Hiermit ist noch die »Weiße <strong>Revolution</strong>« von Šah Reza geme<strong>in</strong>t. (Anm. G.V.).<br />

486<br />

1978-08-28 Frankfurter Rundschau<br />

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