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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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3. <strong>Die</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>in</strong> Zeiten <strong>der</strong> <strong>Revolution</strong><br />

Der Verlauf <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen zeitlich zu umreißenden »Angelpunkten« <strong>in</strong><br />

ihrem Charakter, ihrer gesellschaftlich-kulturellen Funktionalität und <strong>in</strong> ihren <strong>in</strong>ternationalen Kontexten,<br />

aber auch <strong>in</strong> dem erkennbaren Wandel des so zu beschreibenden Charakters zwischen 1978 und 1990 – dem<br />

Jahr des Zweiten Golfkrieges, <strong>in</strong> dem <strong>Iran</strong> aus dem Brennpunkt des öffentlichen Interesses verschwand und<br />

wie<strong>der</strong> (mit Ausnahme für die traumatisierten USA) zu e<strong>in</strong>em »normalen« Staat <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> weltpolitischen<br />

und weltökonomischen Interdependenzentwicklungen wurde – zu beschreiben und zu beurteilen.<br />

3.2.3. Phasen <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong><br />

<strong>Die</strong> erste und bezeichnende Phase <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> liegt zwischen dem <strong>in</strong>nenpolitischen<br />

Zusammenbruch des Šah-Regimes und <strong>der</strong> Ausrufung <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n Republik nach <strong>der</strong> triumphalen Rückkehr<br />

von Ayatollah Khome<strong>in</strong>i 393 aus dem französischen Exil. <strong>Die</strong>ser Abschnitt ist se<strong>in</strong>er Bedeutung nach <strong>in</strong>nen- und<br />

gesellschaftspolitisch dom<strong>in</strong>iert und <strong>als</strong> e<strong>in</strong>e gesellschaftliche Integrationsphase zu charakterisieren. Wesentliche<br />

traditionelle Elemente <strong>der</strong> iranischen wie <strong>der</strong> ši’itisch-islamischen Kultur werden <strong>als</strong> Agens und Legitimation<br />

formalisierten und ritualisierten Alltagsverhaltens des Wi<strong>der</strong>standes und des Protestes <strong>in</strong> Wert gesetzt und<br />

potentialisisiert. Deutlich zeigen lässt sich die Ambivalenz und Funktionalisierbarkeit von Bewusstse<strong>in</strong>s<strong>in</strong>halten und<br />

Glaubens<strong>in</strong>stitutionen, wie es Kippenberg (1981: 243-248) und Hooglund (1981: 258-259), auf die schon mehrfach<br />

verwiesen Freud, <strong>in</strong> ihren Aufsätzen zu den ’Ašura-Ritualen 394 und <strong>der</strong> politisch-gesellschaftlichen Funktionalisierbarkeit<br />

des Husse<strong>in</strong>-Martyriums erörtern, <strong>in</strong>dem sie klar herausarbeiten, dass nicht religiöser Glaube <strong>als</strong> solcher<br />

<strong>als</strong> politisches Handeln bewirkendes Agens auftritt, son<strong>der</strong>n dass gesellschaftliche Notwendigkeiten – <strong>in</strong> <strong>der</strong> konkreten<br />

gesellschaftlich-historischen Situation – sich religiöser und mythologischer Ausdrucksformen bedienen. 395<br />

„Akademische Kreise erklärten den Erfolg <strong>der</strong> iranischen <strong>Revolution</strong> häufig mit <strong>der</strong> enormen Bedeutung <strong>der</strong><br />

ši’itischen Religion und <strong>der</strong> ši’itischen Rituale. Dabei geraten die <strong>Iran</strong>er zu Menschen, die fast <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv dem<br />

Ruf <strong>der</strong> religiösen <strong>Revolution</strong> folgten und sich be<strong>in</strong>ahe wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reflexhandlung <strong>als</strong> Märtyrer anboten.<br />

Ganz beson<strong>der</strong>s die ‘Ašuhra-Rituale des Jahres 1978 mit ihren Klagen über den Tod Hoseyns sollen die <strong>Iran</strong>er<br />

zu revolutionärem Handeln getrieben haben. Durch die Teilnahme an den traditionellen ‘Ašuhra-Ritualen<br />

seien so starke Emotionen erregt worden, dass die Menschen fast automatisch <strong>in</strong> die <strong>Revolution</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gezogen<br />

wurden. <strong>Die</strong> Wandlung <strong>der</strong> <strong>Iran</strong>er zu e<strong>in</strong>er Nation revolutionären Aktivisten verdanke sich dabei<br />

ausschließlich dem ši’itischen Weltbild und Ritual. Gegen e<strong>in</strong>e solche re<strong>in</strong> kulturelle Interpretation bestehen<br />

jedoch erhebliche E<strong>in</strong>wände. Vor allem beteiligten sich auch nicht-ši’itische <strong>Iran</strong>er an <strong>der</strong> <strong>Revolution</strong> – ja, es<br />

gab eigentlich ke<strong>in</strong>e religiöse, tribale o<strong>der</strong> ethnische M<strong>in</strong>orität, die nicht ihren Beitrag zur <strong>Revolution</strong> geleistet<br />

hat. Als ich 1979 die kurdische Stadt Mahabad besuchte, erhielt ich detaillierte Angaben über revolutionäre<br />

Aktivitäten unter sunnitischen Kurden. Etwa 180 Personen sollen alle<strong>in</strong> im Gebiet von Mahabad während <strong>der</strong><br />

<strong>Revolution</strong> getötet worden se<strong>in</strong>. In Širaz beteiligten sich Angehörige <strong>der</strong> großen jüdischen M<strong>in</strong>orität an<br />

Aufmärschen und Kundgebungen. Sie waren häufig <strong>in</strong> eigenen Gruppen organisiert und riefen ihre eigenen<br />

Slogans. <strong>Die</strong>se E<strong>in</strong>heit aller religiöser Gruppen kam <strong>in</strong> <strong>der</strong> Parole zum Ausdruck: »Mosalman, Yahudi,<br />

Masihi: Begu marg bar šah!« (»Moslem, Jude, Christ – rufe ‚Tod dem Schah!‘«). Aus allen Teilen des Landes<br />

wurde durch Mundpropaganda, über die Presse sowie das Radio und das Fernsehen von <strong>der</strong>artigen<br />

revolutionären Aktivitäten unter faktisch allen religiösen, ethnischen und tribalen Gruppen – darunter auch<br />

vielen sunnitischen – berichtet. Es waren <strong>als</strong>o ke<strong>in</strong>eswegs nur Ši’iten an <strong>der</strong> <strong>Revolution</strong> beteiligt, und es war<br />

auch nicht ausschließlich die ši’itische Ideologie, die das revolutionäre Handeln vorantrieb: Auch nichtreligiöse<br />

L<strong>in</strong>ke, Liberale und Nationalisten verschiedener politischer Richtungen wurden aktiv. Und selbst<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> ši’itischen Geme<strong>in</strong>schaft verhielt man sich dem Islam und <strong>der</strong> Politik gegenüber nicht<br />

e<strong>in</strong>heitlich. E<strong>in</strong>ige Ši’iten nahmen an <strong>der</strong> <strong>Revolution</strong> überhaupt nicht teil, an<strong>der</strong>e wi<strong>der</strong>setzten sich sogar<br />

vehement den revolutionären Entwicklungen. Im Dorf, <strong>in</strong> dem ich während <strong>der</strong> <strong>Revolution</strong> me<strong>in</strong>e Feldforschungen<br />

durchführte, hielten sich ganze Gruppen aus dem Konflikt heraus: Bauern, die politische Elite,<br />

Opiumschmuggler und Polizisten verhielten sich im allgeme<strong>in</strong>en entwe<strong>der</strong> ruhig o<strong>der</strong> versuchten sogar –<br />

häufig mit sehr brutalen Methoden –, die Bewegung zu unterdrücken. Und diese Leute empfanden sich selbst<br />

durchaus <strong>als</strong> ebenso gute, wenn nicht bessere, Moslems <strong>als</strong> die Teilnehmer an <strong>der</strong> <strong>Revolution</strong>“ (Hooglund<br />

1981: 258<br />

Dass dieses Primat religiöser Legitimierungen sozialer und politischer For<strong>der</strong>ungen e<strong>in</strong>en durchaus realen<br />

sozi<strong>als</strong>trukturellen H<strong>in</strong>tergrund hat, stellt A. H. Behrawan so dar:<br />

393<br />

In <strong>der</strong> vorliegenden Arbeit wird Ayatollah Khome<strong>in</strong>i immer <strong>in</strong> dieser Schreibweise erwähnt; auch die zitierten Quellen<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem e<strong>in</strong>en Punkt »korrigiert« worden, um e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Dokumentation und Indizierung zu ermöglichen.<br />

394<br />

Am ’Ašura-Tag wurde Husse<strong>in</strong>, <strong>der</strong> jüngere Sohn von ’Alî, des Schwiegersohns und vierten Nachfolgers (‚Kalif‘) des<br />

Propheten, Muhammad, von se<strong>in</strong>en Gegnern, <strong>der</strong> Mekkaner Oligarchie <strong>der</strong> Omayyaden unter ihrem Anführer Mu’awiyya,<br />

bei Kerbala nachts im Schlaf <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Feldlager überfallen und zusammen mit se<strong>in</strong>en Generälen getötet. Nach arabischem<br />

Kriegsethos wurden sie soh<strong>in</strong> ermordet. <strong>Die</strong> Ši’â, die ›Partei des ’Alî‹, leitet ihre Legitimation aus e<strong>in</strong>er Prophetennachfolge<br />

über die Familienzugehörigkeit <strong>der</strong> ›Imame‹ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachfolge von ’Alî und Husse<strong>in</strong> ab. Der ’Ašura-Tag wird <strong>als</strong> Trauer-<br />

und Bußtag zu e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> wichtigsten Gedenk- und Feiertage <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ši’â, die Staatsreligion <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> ist.<br />

395<br />

Hooglund 1981: 258.<br />

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