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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

Unterhalt <strong>der</strong> religiösen E<strong>in</strong>richtungen. <strong>Die</strong> Gesamtsumme dieser Abgabe konnte bei <strong>der</strong> Landbevölkerung und bei<br />

Handwerkern und Bazaris zeitweilig dreiviertel <strong>der</strong> Gesamte<strong>in</strong>nahmen ausmachen. Jede Verschlechterung <strong>der</strong><br />

wirtschaftlichen Lage konnte so zu e<strong>in</strong>er weiteren Verarmung führen.<br />

E<strong>in</strong>e Darstellung des englischen Persienreisenden James Justian Morier 213 , <strong>der</strong> <strong>als</strong> Sekretär des englischen<br />

Gesandten mehrfach Anfang des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts auf dem Weg zum Hofe das Land durchquerte, zeigt wenn auch<br />

aus englischer Perspektive schlaglichtartig das Steuer- und Verwaltungssystem Persiens im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t. Er<br />

besucht den Gouverneur (Serdar) von Jerewan im damaligen Nordwestpersien.<br />

„Se<strong>in</strong>e Statthalterschaft hat er vom König, wofür er diesem e<strong>in</strong>e riesige Summe zahlt. Er verfügt über die<br />

unumschränkte Regierungsgewalt, ist Herr über Leben und Tod, und Gesetzesverletzer werden im Schnellverfahren<br />

abgeurteilt. Im Grunde genommen ist se<strong>in</strong>e Macht nur wenig ger<strong>in</strong>ger <strong>als</strong> die des Königs o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Pr<strong>in</strong>zen. Es gibt Fälle, <strong>in</strong> denen er Gewalt anwendet, wo selbst <strong>der</strong> König Zurückhaltung übt. So ist er dafür<br />

bekannt, die islamische Geistlichkeit <strong>in</strong> Jerewan sehr ger<strong>in</strong>gzuachten, er prügelt die Priester und behandelt sie<br />

mit größter Härte.<br />

<strong>Die</strong> Staatse<strong>in</strong>nahmen des Serdars belaufen sich, wie wir <strong>in</strong> Erfahrung brachten, auf 180.000 Toman, das s<strong>in</strong>d<br />

135.000 Pfund Sterl<strong>in</strong>g, e<strong>in</strong>e Summe, die weit über dem ihm von Rechts wegen Zustehenden liegt, e<strong>in</strong>e Folge<br />

von Erpressungspraktiken und <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> für Persien typischen Mittel und Methoden.<br />

Sie sollen sich wie folgt zusammensetzen:<br />

150.000 Toman Malîat, Sa<strong>der</strong>, Grundsteuern usw.<br />

12.000 Toman Importzölle<br />

6.000 Toman Pacht aus den Sal<strong>in</strong>en von Kolpi<br />

6.000 Toman Zuwendungen seitens <strong>der</strong> persischen Regierung für beson<strong>der</strong>e Ausgaben<br />

600 Toman Gehalt des Serdars vom König<br />

= 174.600 Toman<br />

Der Rest bis 180000 kommt <strong>in</strong> Form von Geschenken e<strong>in</strong> sowie durch die zahlreichen tours de bâton<br />

(unerlaubte Nebenverdienste. (G.V.)), die persischen Gouverneure so wohl zu führen wissen.“<br />

<strong>Die</strong>se Darstellung zeigt, wie wenig noch das Gewaltmonopol des Staates <strong>in</strong> Persien – <strong>in</strong> unserem Beispiel im 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t – durchgesetzt ist; die Macht <strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>zfürsten, und geht man e<strong>in</strong>e Stufe weiter nach unten, auch<br />

lokaler Grundherren, ist durch die Zentralmacht kaum e<strong>in</strong>geschränkt. <strong>Die</strong> E<strong>in</strong>nahmen werden nicht nach allgeme<strong>in</strong>gültigen<br />

Regeln, son<strong>der</strong>n nach <strong>der</strong> jeweiligen augenblicklichen Macht des lokalen Herrschers e<strong>in</strong>gehoben, wobei<br />

traditionelle Abgaben den Schwerpunkt bilden. <strong>Die</strong> Ausbeutung von Rohstoffen (Sal<strong>in</strong>en von Kolpi) wird im<br />

Pachtverfahren privilegiert und besteuert.<br />

Wirtschaftswissenschaftlich ist die angesprochene Folge <strong>der</strong> hohen Abgabenbelastung sicherlich e<strong>in</strong> Moment<br />

<strong>der</strong> ökonomischen Stagnation. Doch muss für e<strong>in</strong>e adäquate Bewertung dieser Tatsache auch im Unterricht<br />

verdeutlicht werden, dass die kapitalistische Wachstumsdynamik e<strong>in</strong>e spezifische Entwicklung <strong>der</strong> europäischen<br />

Neuzeit und ihrer <strong>Politischen</strong> Kultur ist und dass sie sich auch hier, sieht man von noch nicht voll entwickelten<br />

Vorläufern <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich herausbildenden Bürger- und Händler-Gesellschaft <strong>der</strong> frühen Neuzeit ab, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich zwar<br />

Handelskapital und <strong>in</strong> diesem auch Kapitalakkumulation – Fugger, Medici etc. – bildete, nicht jedoch im mo<strong>der</strong>nen<br />

S<strong>in</strong>ne Produktionskapital und produktive Akkumulation, die eigentlich erst dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t vorbehalten blieb.<br />

In <strong>Iran</strong> gab es e<strong>in</strong>erseits ebenfalls e<strong>in</strong>e entwickelt Handelskultur, die seit vielen Jahrhun<strong>der</strong>ten Grundlage <strong>der</strong><br />

kulturellen Entwicklung des Nahen Ostens gewesen ist, es fehlt aber noch die europäische Entwicklung zum<br />

produktiven Kapital.<br />

Handwerk und Bazarwesen waren eng sowohl auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite mit <strong>der</strong> Händlerschicht, an<strong>der</strong>erseits aber<br />

auch noch mit <strong>der</strong> agrarischen Produktion verbunden. So kann diese Gesellschaftsformation im Vergleich mit<br />

Europa e<strong>in</strong>erseits von dem reruralisierten und entmonetarisierten mittelalterlichen Mitteleuropa abgesetzt werden,<br />

das <strong>in</strong> sozio-ökonomischer H<strong>in</strong>sicht bed<strong>in</strong>gt durch die Umbrüche <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>e Regressionsphase<br />

darstellt, an<strong>der</strong>erseits aber auch nicht den neuzeitlichen Industriegesellschaften, die sich <strong>in</strong> Europa entwickelten, zur<br />

Seite gestellt werden. 214<br />

<strong>Die</strong> Geschenke<br />

Dass sich e<strong>in</strong>e Schülerarbeit explizit mit den Geschenken befasst, die <strong>der</strong> Hof von se<strong>in</strong>en Untertanen erhielt, ist<br />

e<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en Überlegung wert. <strong>Die</strong> ökonomische Bedeutung dieses Aspektes wird übertrieben, während die<br />

symbolische Bedeutung des Tributes <strong>als</strong>, nicht vorhandene Staats<strong>in</strong>stitutionen ersetzend, Legitimierungsmittel im<br />

Machtprozess wird nicht <strong>in</strong>terpretiert. Der Tribut ist e<strong>in</strong> wesentliches Element <strong>der</strong> feudalen Klientelbildung <strong>in</strong><br />

213<br />

James Justian Morier: Reisen durch Persien <strong>in</strong> den Jahren 1808 bis 1816. Hg. von Karl Klaus Walther. Berl<strong>in</strong> (DDR) 1985.<br />

214<br />

<strong>Die</strong> wechselnde Term<strong>in</strong>ologie, die diese »orientalischen« Gesellschaftsformationen bezeichnen soll und die schon im<br />

ersten Abschnitt dieser Untersuchung angesprochen wurde, zeigt die Unsicherheit <strong>der</strong> von Europa aus angelegten Maßstäbe.<br />

<strong>Die</strong> marxistische Geschichtsperspektive schwankt zwischen <strong>der</strong> Zuordnung zum Feudalismusbegriff und <strong>der</strong> wenig<br />

konkretisierten marxschen Kategorie <strong>der</strong> »asiatischen Produktionsweise«; im Bereich <strong>der</strong> eher an den Phänomenen selbst<br />

<strong>in</strong>teressierten Geographie schlägt Bobek die Kategorie des »Rentenkapitalismus« vor,<br />

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