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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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1. <strong>Die</strong> „<strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong>“ <strong>in</strong> politischen und didaktischen<br />

Kontexten: E<strong>in</strong> Problemüberblick<br />

Grass, W<strong>als</strong>er, Lenz, Wallraff, Süssk<strong>in</strong>d, Frisch, Dürrenmatt, Handke o<strong>der</strong> Enzensberger angeboten, wobei <strong>der</strong><br />

letztgenannte beson<strong>der</strong>s hoch im Kurs steht. Selbst an Zeitungskiosken ist e<strong>in</strong>e Anthologie mit<br />

deutschsprachigen Kurzgeschichten zu f<strong>in</strong>den, die Touradj Rahnema unter dem Titel <strong>der</strong> Böll-Erzählung<br />

»Me<strong>in</strong> trauriges Gesicht« im größten Paperback-Verlag des Landes herausgebracht hat. Viel gefragt s<strong>in</strong>d auch<br />

deutsche Philosophen: Hegel, Benjam<strong>in</strong>, Marcuse, Heidegger und Nietzsche, dessen »Zarathustra« jetzt zum<br />

ersten Mal <strong>in</strong>s Persische übersetzt wurde, werden nicht nur von den fliegenden Händlern an <strong>der</strong> Azadi-Straße,<br />

son<strong>der</strong>n selbst <strong>in</strong> ausgesprochen frommen Buchhandlungen angeboten.“ 26<br />

Damit wird die Schlüsselrolle <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Kommunikation und <strong>der</strong> Medienverbreitung für die gültige o<strong>der</strong><br />

kontroverse politische Situationsdef<strong>in</strong>ition offensichtlich, die auch für die <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> e<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong>ternational oft nicht deutlich genug gesehene Rolle gespielt hat, ist doch die revolutionäre Situationsdef<strong>in</strong>ition <strong>in</strong><br />

<strong>Iran</strong> nicht alle<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerstaatlich und <strong>in</strong>nergesellschaftlich zu verstehen, son<strong>der</strong>n auch im Kontext des <strong>in</strong>ternationalen<br />

Diskurses über die Legitimationsdefizite des Šah-Regimes, bei dem vor allem auch iranische Immigranten <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik Deutschland (Nirumand 1966) und iranische und deutsche Wissenschaftler, die sich mit <strong>der</strong><br />

Gesellschaft <strong>Iran</strong>s befassten (Massarat 1980, Irnberger 1977), e<strong>in</strong>e gewichtige Rolle gespielt haben. Auch die<br />

publizistische Aufbereitung <strong>der</strong> ehemaligen »Šah-Euphorie« <strong>der</strong> <strong>der</strong> »Regenbogenpresse« wich zusehends e<strong>in</strong>er<br />

kritischen Grundhaltung (Blank 1979), <strong>der</strong> auch kritische Unterrichtsmaterialien folgten (Kr<strong>in</strong>k 1977 für das NDR-<br />

Schulfernsehen!).<br />

Schon 1970 wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er im Übrigen an den gesellschaftlich-politischen Entwicklungen nicht beson<strong>der</strong>s<br />

<strong>in</strong>teressierten studentischen kulturgeographischen Felduntersuchung, die vom Geographischen Institut <strong>der</strong><br />

Technischen Universität Hannover betreut wurde, die Entwicklungsperspektive außerhalb des eigentlichen Industrialisierungssektors<br />

ausgesprochen pessimistisch e<strong>in</strong>geschätzt:<br />

„<strong>Die</strong>se Vorhaben und Entwicklungen werden sich über kurz o<strong>der</strong> lang auf die landwirtschaftliche Struktur des<br />

Untersuchungsgebietes auswirken, und zwar <strong>in</strong> folgen<strong>der</strong> Weise:<br />

a. <strong>Die</strong> Industrialisierung verän<strong>der</strong>t die Bedarfsstrukturen und för<strong>der</strong>t die Marktorientierung auch <strong>der</strong> Landwirtschaft,<br />

die sich dem Trend zu qualitativ hochwertigen und spezialisierten Produkten nicht verschließen<br />

kann.<br />

b. <strong>Die</strong> wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht e<strong>in</strong>e gewisse Kapital<strong>in</strong>tensivierung des landwirtschaftlichen<br />

Produktionssektors, was sich z.B. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er verstärkten Mechanisierung und <strong>in</strong> verbesserten Bewässerungssystemen<br />

nie<strong>der</strong>schlägt.<br />

c. <strong>Die</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Sozi<strong>als</strong>truktur durch bessere Bildungschancen, höheres und differenzierteres E<strong>in</strong>kommen,<br />

dazu e<strong>in</strong> verstärkter Umgang mit mo<strong>der</strong>nen Techniken und die Folgen <strong>der</strong> Landreform, dies alles<br />

wird <strong>in</strong> den nächsten Jahren und Jahrzehnten das Bild <strong>der</strong> Agrarlandschaft grundlegend än<strong>der</strong>n. Neue Anbaumethoden<br />

und Feldstrukturen werden sich durchsetzen, bessere Verkehrsverb<strong>in</strong>dungen, sowie neue<br />

Siedlungsstrukturen werden mit Sicherheit entstehen.<br />

Ansätze dazu konnten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> Städte und <strong>der</strong> stadtnahen Regionen, die <strong>der</strong> Entwicklung<br />

grundsätzlich vorauseilen und <strong>in</strong> den landwirtschaftlichen Schwerpunkten (Marvdasht), die staatlicherseits<br />

geför<strong>der</strong>t worden s<strong>in</strong>d, beobachtet werden. Es ergibt sich dabei die Frage, ob diese Entwicklung schnell vor<br />

sich gehen kann, so dass e<strong>in</strong>e wirtschaftliche Besserung (Struktur- und F<strong>in</strong>anzän<strong>der</strong>ung) wirksam werden<br />

kann, o<strong>der</strong> ob die Entwicklung die Regierung „e<strong>in</strong>holt“ und, an<strong>der</strong>en Entwicklungslän<strong>der</strong>n ähnlich, so zu<br />

revolutionären Umstürzen o<strong>der</strong> regionalistischer Anarchie führen könnte. [Hervorhebung von G.V.]<br />

Bei <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen Adm<strong>in</strong>istration, die e<strong>in</strong>seitig und dem Neuen wenig aufgeschlossen ist, meist nur die<br />

Interessen e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Teheraner Oberschicht vertritt und relativ wenig Beziehungen zu den Problemen hat,<br />

ist diese Frage nicht e<strong>in</strong>mal abwegig.“ (Eilers, Wilfried, 1970: 87.)<br />

In dem Versuch, aus <strong>der</strong> Ambivalenz <strong>der</strong> Wahrnehmungen gewisse zulässige, wenn auch vorläufige, Urteile<br />

abzuleiten und abzusichern, mag auch die persönliche Erfahrungsperspektive jenseits <strong>der</strong> wissenschaftlich-systematischen<br />

Empirik mit e<strong>in</strong>bezogen werden. Bei Studienaufenthalten <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>der</strong> zu Ende gehenden Šah-Herrschaft <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> ersten Hälfte <strong>der</strong> Siebziger Jahre konnte <strong>der</strong> Verfasser selbst die zunehmende Wi<strong>der</strong>standsbereitschaft großer<br />

Teile <strong>der</strong> Bevölkerung – wenn auch noch unterdrückt durch traditionelle Loyalitäten (Hooglund 1981: 261) und<br />

durch berechtigte Angst vor Bespitzelung, Denunziation und den Geheimdienstterror <strong>der</strong> SAVAK 27 (Irnberger<br />

1977) – beobachten; »bekennende« Anhänger des Šah-Regimes hat er zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Untersuchungsgebieten<br />

<strong>in</strong> Fârs, Širaz und Zentraliran, vor allem auch im ländlichen Raum, nicht getroffen. Gesellschaftliche Des<strong>in</strong>tegration<br />

26<br />

Peter Schütt: Im Gefängnis schreibt es sich am leichtesten Bericht zur Lage <strong>der</strong> Schriftsteller im <strong>Iran</strong>: Trotz <strong>der</strong> Rushdie-<br />

Affäre herrscht ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e kulturelle Wüste. DIE ZEIT, Nr. 40, 30.09.94, S. 71, Feuilleton.<br />

27<br />

Es war erschütternd, von persischen Studenten <strong>in</strong> Tehran 1970 zu erfahren, dass legale wissenschaftliche Arbeit sogar <strong>in</strong><br />

staatlich gewünschten und geför<strong>der</strong>ten Bereichen <strong>der</strong> Agrartechnologie nur unter E<strong>in</strong>satz von Beziehungen, durch Bestechung,<br />

»subversive Aktivität« und letztlich durch <strong>Die</strong>bstahl <strong>der</strong> notwendigen Dokumente und Informationen möglich war<br />

– das Misstrauen war allgegenwärtig und verh<strong>in</strong><strong>der</strong>te jede vertrauensvolle Kommunikation über den Rahmen <strong>der</strong> familiären<br />

B<strong>in</strong>dungen h<strong>in</strong>aus! <strong>Die</strong>s lässt <strong>in</strong> <strong>der</strong> gesellschaftlichen Beurteilung auf Interdependenzen auf <strong>in</strong>formeller Ebene schließen,<br />

die charakteristisch s<strong>in</strong>d für spezifische Übergangsgesellschaften <strong>der</strong> Semiperipherien. <strong>Die</strong>s näher zu untersuchen,<br />

wäre e<strong>in</strong> noch zu erschließendes Feld <strong>in</strong> figurationssoziologischer H<strong>in</strong>sicht.<br />

25

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