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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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2. Perspektiven <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung unter den Bed<strong>in</strong>gungen<br />

e<strong>in</strong>er politischen Krisensituation<br />

In <strong>Iran</strong> konkretisierte sich diese Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung auf e<strong>in</strong>e kulturelle Dichotomie, die während <strong>der</strong> Šah-Zeit<br />

def<strong>in</strong>iert wurde mit den Zuschreibungen „Nationalismus = städtisch-<strong>in</strong>dustrielle Mo<strong>der</strong>ne“ und dagegen „Islam =<br />

ruraler Traditionalismus“. <strong>Die</strong>se Zuschreibungen waren nicht nur f<strong>als</strong>ch, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft letztlich nicht<br />

durchsetzbar. <strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> verstand sich <strong>in</strong> dieser Beziehung <strong>als</strong> Paradigmenwechsel, <strong>in</strong>dem<br />

<strong>der</strong> Islam <strong>als</strong> Garant <strong>der</strong> Zeitlosigkeit <strong>der</strong> Grundwerte auch <strong>als</strong> Zeichen e<strong>in</strong>er „echten Mo<strong>der</strong>nität“ und<br />

zukunftsweisenden Entwicklung verstanden wurde. Dennoch ist das Spannungsverhältnis zwischen Islam und<br />

Nationalismus niem<strong>als</strong> e<strong>in</strong>deutig geklärt worden. <strong>Iran</strong>ische Identität wurde auch unter Khome<strong>in</strong>i nicht für e<strong>in</strong>en<br />

offenen islamischen Integralismus preisgegeben.<br />

Das ist aus sozialwissenschaftlicher Sicht nicht verwun<strong>der</strong>lich, da die <strong>Islamische</strong> Republik <strong>Iran</strong> zwar e<strong>in</strong><br />

verän<strong>der</strong>tes Politikverständnis postulierte, letztlich <strong>als</strong> »Republik« den Weg <strong>in</strong> die Verstaatlichung <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

weiter führte. <strong>Die</strong> <strong>Revolution</strong> führte e<strong>in</strong>mal zu e<strong>in</strong>er Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>in</strong>neriranischen Machtbalancen, zum an<strong>der</strong>en<br />

aber vor allem zu e<strong>in</strong>er Umwertung <strong>der</strong> gesellschaftlichen Realitäten und weniger zu ihrer tatsächlichen<br />

Verän<strong>der</strong>ung. Das tief greifende Krisenbewusstse<strong>in</strong>, dass sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich die <strong>Islamische</strong> Republik <strong>Iran</strong> heute f<strong>in</strong>det,<br />

richtet sich <strong>als</strong>o nicht gegen die fundamentalen Postulate <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong>, son<strong>der</strong>n gegen die<br />

mangelnde Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sozialen Realitäten, die mit <strong>der</strong> <strong>Revolution</strong> erwartet wurden. Dabei zeigt sich immer<br />

deutlicher, dass sich auch die <strong>Islamische</strong> Republik <strong>Iran</strong> dem zunehmend Universalisierten Modell des Nation<strong>als</strong>taates<br />

und <strong>der</strong> mit ihm verbundenen Politikoptionen zugeordnet hat. International mag das »erleichternd« – vor<br />

allem für Europa und die USA, aber auch für die UN – se<strong>in</strong>, <strong>in</strong>nergesellschaftlich evoziert es zunehmend<br />

Wi<strong>der</strong>sprüche.<br />

Während sich die Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Semiperipherien, wie im Abschnitt 2.2.2. am Beispiel <strong>der</strong> Türkei exemplifiziert<br />

wurde, <strong>in</strong> ihren »Mo<strong>der</strong>nitätsvorstellungen« an den europäischen Entwicklungs- und Staatsmodellen orientieren 164 ,<br />

kommt <strong>der</strong> traditionelle europäische Nation<strong>als</strong>taat an die Grenzen se<strong>in</strong>er Leistungsfähigkeit. In den sozioökonomischen<br />

und politischen Zentren Europa und Nordamerika werden die Konsequenzen daraus gezogen, <strong>in</strong>dem die<br />

Nation<strong>als</strong>taaten immer mehr e<strong>in</strong>bezogen werden <strong>in</strong> überstaatliche <strong>in</strong>tegrative Gebietskörperschaften wie EU o<strong>der</strong><br />

NAFTA. Der Antrieb dieser Bewegung s<strong>in</strong>d ökonomische Interessenlagen und Zielvorstellungen. Außerhalb<br />

Europas bleiben die Integrationsbewegungen, die historisch-politisch <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Kontext zu den irredentistischen<br />

Nationalbewegungen und Sammlungsbewegungen des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts stehen (Panislamismus, Panturanismus,<br />

Panslawismus u.a.), auf die ökonomische Ebene beschränkt, während Europa e<strong>in</strong>e viel weiter gehende politischgesellschaftliche<br />

Neuordnung anstrebt, die das traditionelle Staatsmodell letztlich <strong>in</strong> neuen Strukturen aufhebt. Ohne<br />

hier, ausgehend von dem verbreiteten Krisenparadigma, das konkrete »Staatsversagen« zu thematisieren, ist für<br />

unsere Untersuchung die fundamentale Ungleichzeitigkeit <strong>der</strong> staatlichen Orientierungen <strong>in</strong> den Semiperipherien,<br />

damit auch <strong>in</strong> <strong>Iran</strong>, und <strong>in</strong> den globalen sozioökonomischen Zentren von ausschlaggeben<strong>der</strong> Bedeutung, denn<br />

Ungleichzeitigkeit bedeutet ja nicht, dass diese Entwicklungen vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> unabhängig verlaufen, son<strong>der</strong>n die<br />

Interdependenzen zwischen den Regionen gew<strong>in</strong>nen gerade durch diese Ungleichzeitigkeit ihre Brisanz und<br />

Konflikthaltigkeit. Es ist daher sicher notwendig, sich an dieser Stelle noch etwas grundsätzlicher mit dem Konzept<br />

des europäischen Nation<strong>als</strong>taates und se<strong>in</strong>er historisch-gesellschaftlichen Problematik zu befassen. 165<br />

»Staat« und »Gesellschaft« s<strong>in</strong>d wi<strong>der</strong>sprüchliche Begriffe, die e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e umgangssprachliche, zum an<strong>der</strong>en<br />

e<strong>in</strong>e wissenschaftliche Bedeutung haben und gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong> wissenschaftlichen Distanz wegen ihrer mangelnden<br />

Dist<strong>in</strong>ktion problematisch ersche<strong>in</strong>en. Dass sie zumeist umgangssprachlich „verstanden“ werden, ist noch ke<strong>in</strong><br />

Erweis für ihre generelle unproblematische Verwendbarkeit. Viele zentrale philosophische Wertkategorien werden<br />

e<strong>in</strong>erseits <strong>als</strong> Tatsachen (Entitäten) wahrgenommen und <strong>als</strong> Selbstverständlichkeiten des Alltags verstanden,<br />

an<strong>der</strong>erseits verweigern sie sich <strong>als</strong> normative Kategorien und Wertnormen diesem Tatsachencharakter. „Im S<strong>in</strong>ne<br />

<strong>der</strong> historischen Sozialwissenschaften s<strong>in</strong>d »Staat« und »Gesellschaft« ke<strong>in</strong>e Entitäten; <strong>in</strong>nerhalb des menschlichen<br />

Kommunikationszusammenhanges, <strong>als</strong>o <strong>in</strong>tersubjektiv, aber durchaus. Philosophisch ist diese Position dezidierter zu<br />

fassen, wenn diese »Werte« <strong>als</strong> <strong>in</strong>stitutionelle Tatsachen beschrieben werden.“ 166<br />

164<br />

165<br />

166<br />

Es ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang bezeichnend, dass die unmittelbare Abhängigkeit von Europa im Zeitalter des Kolonialismus<br />

und Imperialismus zwar destruktiv für die sozio-ökonomischen Gegebenheiten <strong>der</strong> abhängigen Regionen waren und<br />

letztlich die »Krisensituation« <strong>in</strong> <strong>der</strong> »Dritten Welt« herbeiführten, dass aber die heutige Universalisierung des europäischen<br />

Staatsmodells, e<strong>in</strong>schließlich se<strong>in</strong>er nationalistischen Legitimation, tiefgreifen<strong>der</strong>e Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> den Gesellschaften<br />

und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Politische Kultur <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Peripherien und Semiperipherien hervorruft, <strong>als</strong> es dem Imperialismus<br />

je gelungen war. Es wäre historisch und begrifflich f<strong>als</strong>ch, wie es zeitweilig ideologiekritisch postuliert wurde, diesem<br />

Vorgang <strong>als</strong> »Neoimperialismus« zu def<strong>in</strong>ieren. <strong>Die</strong> Durchsetzung des Modells von »Staat« und »Staatsgesellschaft« ist<br />

e<strong>in</strong>e Folge <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> grundlegenden gesellschaftlichen Figurationen im Verlauf <strong>der</strong> ökonomischen »Mo<strong>der</strong>nisierung«,<br />

die die traditionalen ruralen Gesellschaftsstrukturen obsolet werden lässt.<br />

<strong>Die</strong> folgenden Ausführungen orientieren sich an den Untersuchungen zur Staatsgesellschaft <strong>in</strong> Voigt 2002:21 passim.<br />

Voigt 2002 ibid. – <strong>Die</strong>se apodiktische Formulierung kann relativiert werden, <strong>in</strong>dem im Rahmen e<strong>in</strong>er historischsozialwissenschaftlichen<br />

Reflexion festzuhalten ist, dass es s<strong>in</strong>nvoll ersche<strong>in</strong>t, die Kategorien ›Staat‹ und ›Gesellschaft‹<br />

über den Begriff <strong>der</strong> ›Figuration‹ zu verknüpfen und <strong>als</strong> Interdependenzbeziehung zu <strong>in</strong>terpretieren. Der jeweilige ›Staat‹<br />

stellt <strong>in</strong> <strong>der</strong> entsprechenden Phase <strong>der</strong> Entwicklung e<strong>in</strong>er ›Gesellschaft‹ <strong>der</strong>en Organisationsstruktur dar. Doch ist die begrifflich-semantische<br />

Konnotation <strong>der</strong> beiden Kategorien <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel an<strong>der</strong>s, so dass auch diese Aussage selbst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gefahr<br />

steht, ahistorisch und damit <strong>in</strong>adäquat gebraucht zu werden. Im Zusammenhang unserer Untersuchung birgt e<strong>in</strong>e sol-<br />

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