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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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2. Perspektiven <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung unter den Bed<strong>in</strong>gungen<br />

e<strong>in</strong>er politischen Krisensituation<br />

auch was die unmittelbaren Lernsituationen sowohl im außerschulischen wie im schulisch-<strong>in</strong>stitutionellen Bereich<br />

angeht. Zum Teil werden diese Verän<strong>der</strong>ungen von den Lehrkräften <strong>in</strong> diesem Bereich subjektiv schmerzlich<br />

empfunden, da sie alle Sicherheiten und Orientierungen, bisher bewährte Selbstverständnisse auflösen und e<strong>in</strong><br />

grundlegendes Überdenken <strong>der</strong> Berufssituation notwendig machen.<br />

Was kennzeichnet nun die gegenwärtige gesellschaftliche Situation <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die Erfahrungs- und<br />

Lebenswelt Schule und Politische Bildung? Primäre Berufserfahrung <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung Tätigen ist die<br />

Konfrontation mit dem Bedeutungsverlust des „<strong>Politischen</strong>“ und vor allem dem Legitimationsdefizit 143 <strong>der</strong> Träger<br />

politischen Handelns <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen Gesellschaft. „Bedeutungsverlust“ bedeutet jedoch durchaus nicht, dass unter<br />

funktionalen Gesichtspunkten Politik überflüssig o<strong>der</strong> Politisches Handeln obsolet geworden wäre, ganz im<br />

Gegenteil! Es handelt sich zunächst um e<strong>in</strong>en Vertrauensverlust gegenüber den politisch Handelnden, <strong>der</strong> »<strong>Politischen</strong><br />

Klasse«, <strong>der</strong> verschiedene Gründe hat. Vor<strong>der</strong>gründig wird <strong>der</strong> Vertrauensverlust von Politikern mit <strong>der</strong>en<br />

wahrgenommenen o<strong>der</strong> vermuteten charakterlichen Schwächen, mit <strong>der</strong> Erfahrung des Versagens und <strong>der</strong><br />

Unglaubwürdigkeit politischer Aussagen und Versprechen o<strong>der</strong> mit oft sehr pauschalisierten Korruptionsvorwürfen<br />

begründet. Dabei ist es <strong>in</strong>teressant, zu betonen, dass diese negativen Zuschreibungen gängige alltagspolitische Haltung<br />

auch <strong>in</strong> nahezu allen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Peripherien und Semiperipherien ist. Nur für begrenzte Zeit und strikt<br />

personenbezogen wird diese Grun<strong>der</strong>fahrung, <strong>der</strong> negativen Machtunterworfenheit, die sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zuschreibung<br />

charakterlicher Mängel bei den Mächtigen umsetzt und sche<strong>in</strong>bar <strong>als</strong> Realität bestätigen lässt, durch die<br />

Integrationswirkung suggestiver und charismatischer Herrschaftslegitimation aufgehoben, wie es unsere Zeitgeschichte<br />

bei Tito, Gandhi, Nyerere o<strong>der</strong> <strong>in</strong> unseren thematischen Kontexten eben auch Khome<strong>in</strong>i zeigten. Um<br />

dieses Phänomen adäquat verstehen zu können, ist es wichtig, zu betonen, dass das Bewusstwerden des charismatischen<br />

Charakters von Vertrauen und Legitimität e<strong>in</strong>er gewissen räumlichen o<strong>der</strong> zeitlichen Distanz bedarf. Das<br />

Charisma von Tito wurde zu Lebzeiten <strong>in</strong> Jugoslawien ebenso wenig explizit thematisiert wie das von Atatürk <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Türkei o<strong>der</strong> das von Khome<strong>in</strong>i im revolutionären <strong>Iran</strong> selbst, aber <strong>in</strong> vielen Fällen von ausländischen Beobachtern<br />

<strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>grund gestellt. In allen Fällen verb<strong>in</strong>det sich das Vertrauen auf die charismatische Befähigung und<br />

Legitimation mit <strong>der</strong> Unfähigkeit, die tragenden gesellschaftlichen Machtstrukturen zu legitimierte und tatsächliche<br />

gesellschaftlich getragene Konfliktlösungen vorzubereiten, so dass mit dem Tode <strong>der</strong> charismatischen Persönlichkeit<br />

die Krisenwahrnehmung nur umso stärker und aggressiver hervortritt. Verglichen mit dem Beispiel Jugoslawiens<br />

nach dem Tode Titos o<strong>der</strong> den tief greifenden gesellschaftlichen Zerfallsprozessen <strong>in</strong> Indien o<strong>der</strong> Indonesien 144 ist <strong>in</strong><br />

<strong>Iran</strong> <strong>der</strong> gesellschaftliche Des<strong>in</strong>tegrationsprozess weniger auffällig und problematisch. Das mag aber auch damit<br />

zusammenhängen, dass die Mo<strong>der</strong>nisierung des Staates im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Entwicklung e<strong>in</strong>es Nation<strong>als</strong>taates europäischen<br />

Musters viel weniger weit entwickelt war und vormo<strong>der</strong>ne Herrschafts- und Ordnungsstrukturen bis heute<br />

wirksam geblieben s<strong>in</strong>d.<br />

Zurück zur Krisenwahrnehmung <strong>in</strong> Europa. Wenn die negativen charakterlichen Zuschreibungen an die<br />

Politiker bzw. ganz generell an das »Personal dort oben« auch im E<strong>in</strong>zelnen zutreffen mögen, ist dies <strong>als</strong> adäquate<br />

Argumentations- und Wahrnehmungsebene und <strong>als</strong> Ansatz e<strong>in</strong>er <strong>Politischen</strong> Bildung nicht ausreichend. Alle diese<br />

Vorwürfe s<strong>in</strong>d so alt, wie es Herrschaft und Politik gibt. Es ist die Perspektive von Beherrschten, von Machtschwächeren,<br />

o<strong>der</strong> die Perspektive von Machtkonkurrenten. Der grundlegende Legitimationsverlust ist demgegenüber<br />

strukturell begründet. Auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Rezipienten, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung <strong>als</strong>o vor allem <strong>der</strong><br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, entsteht e<strong>in</strong>e grundlegende Dissonanzerfahrung zwischen <strong>der</strong> Realitätsdeutung und <strong>der</strong><br />

Normerwartung, die <strong>der</strong> durch Gesellschaft und Sozialisation vermittelten Wertordnung entspricht. Es kommt zu<br />

143<br />

Es ist notwendig, den Gebrauch des Begriffes „Legitimation“, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur und vor allem im philosophischen Kontext<br />

une<strong>in</strong>heitlich ist, zu präzisieren. Im Kontext dieser Ausführungen soll „legitimieren“ im S<strong>in</strong>ne von „rechtfertigen“ ohne<br />

weiterführende positive Wertannotation geme<strong>in</strong>t se<strong>in</strong>. Legitimationsprozesse me<strong>in</strong>en somit Prozesse, die die H<strong>in</strong>nahme<br />

von Macht- und Entscheidungsungleichgewichten bzw. e<strong>in</strong>zelner Akte <strong>der</strong> ausgeübten Herrschaft durch die Beherrschten<br />

ermöglichen, weil sie verbunden s<strong>in</strong>d mit strukturellen und erfahrbaren Vorteilen (Ordnungssicherheit, Orientierungssicherheit,<br />

Planbarkeit <strong>der</strong> eigenen Alltagszukunft, Ermöglichung von Selbstgewissheiten). Nicht geme<strong>in</strong>t ist dabei kurzfristig-opportunistisches<br />

Verhalten; ebenso wenig die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er, letztlich <strong>in</strong> transzendentale Ordnungsvorstellungen<br />

zielende affektive Zuwendung zur Herrschaftsordnung o<strong>der</strong> den Maßnahmen <strong>der</strong> Herrschaft, wie sie <strong>in</strong> religiösen o<strong>der</strong> vorstaatsgesellschaftlichen<br />

Legitimationsvorstellungen zum Ausdruck kommen. Staatlicherseits ist dies hier am grundsätzlichen<br />

Wi<strong>der</strong>spruch zwischen den alternativen Legitimationsmodellen für unseren Staat herauszuarbeiten, <strong>in</strong> dem „Verfassungstreue“<br />

gegen „Verfassungsloyalität“ zu stellen ist.<br />

144<br />

Das Beispiel Jugoslawien ist dennoch e<strong>in</strong> Son<strong>der</strong>fall, da sich hier drei Krisendeterm<strong>in</strong>anten kumulieren: erstens die Krise,<br />

die mit dem Tode <strong>der</strong> charismatischen und <strong>in</strong>tegrierenden Persönlichkeit Titos evoziert wurde, zweitens die typischen Des<strong>in</strong>tegrationsprozesse<br />

im Prozess e<strong>in</strong>es gescheiterten nation build<strong>in</strong>g <strong>in</strong> den Semiperipherien – hier <strong>der</strong> Situation <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> am<br />

Ende <strong>der</strong> Šah-Herrschaft vergleichbar – und drittens <strong>der</strong> Transformationskrise im Wechsel <strong>der</strong> sozioökonomischen und politischen<br />

Paradigmen und <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten weltpolitischen Bezüge nach dem Ende <strong>der</strong> kommunistischen Herrschaft <strong>in</strong> Ostund<br />

Südosteuropa – hier vergleichbar mit den Zerfallsprozessen und <strong>der</strong> ökonomischen Krise <strong>in</strong> Russland. An diesem Beispiel<br />

wird aber auch deutlich, dass bestimmte Krisenersche<strong>in</strong>ungen historisch-strukturell durchaus nicht zwangsläufig s<strong>in</strong>d,<br />

son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> politischen Bee<strong>in</strong>flussung und dem gesellschaftlichen Handeln <strong>in</strong> <strong>der</strong> jeweiligen konkreten Situation unterworfen<br />

s<strong>in</strong>d, wie die durchaus an<strong>der</strong>s verlaufenden Transformationsprozesse <strong>in</strong> Polen und Ungarn zeigen. Ganz deutlich wird<br />

hier: die Kategorie <strong>der</strong> »Krise« ist zunächst e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Ideologem, e<strong>in</strong>e subjektive Realitätsdeutung – <strong>als</strong> solche jedoch<br />

überaus wirkungsmächtig.<br />

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