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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

sierung <strong>der</strong> Kapitalverflechtungen, die ideologisch mit den Schlagworten <strong>der</strong> »Weißen <strong>Revolution</strong>« und e<strong>in</strong>em<br />

propagandistischen iranischen Nationalismus 506 legitimiert werden.<br />

4. Durch das Infrage Stellen traditioneller gesellschaftlicher B<strong>in</strong>dekräfte und die Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> realen<br />

sozioökonomischen Lage e<strong>in</strong>es großen Teils <strong>der</strong> iranischen Bevölkerung, ist auf die Gesamtgesellschaft bezogen,<br />

das Ende <strong>der</strong> Šah-Zeit <strong>als</strong> Phase starker gesellschaftlicher Des<strong>in</strong>tegration zu werten.<br />

Politikwissenschaftlich bietet sich hier e<strong>in</strong> Vergleich mit den Gesellschaftsmodellen <strong>der</strong> »Dritte-Welt«-Theorien an,<br />

wobei strukturelle Übere<strong>in</strong>stimmungen ebenso aufzuzeigen s<strong>in</strong>d wie Unterschiede <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>ordnung und<br />

Bewertung. <strong>Die</strong>ser Ansatz ist auch deshalb e<strong>in</strong> notwendiger Schritt <strong>der</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> iranischen<br />

Entwicklung, da die damit herangezogenen Erklärungsmuster sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit die Rezeption <strong>der</strong><br />

Ereignisse bee<strong>in</strong>flussen, <strong>als</strong> auch durch die Tatsache, dass die »Dritte-Welt«-Theorien zu den grundlegenden<br />

Problemfel<strong>der</strong>n des Politik- und Erdkundeunterrichts und <strong>der</strong>en Didaktik gehören.<br />

Auffällig ist für die Šah-Zeit im Zwanzigsten Jahrhun<strong>der</strong>t, dass sich die sozi<strong>als</strong>trukturelle und ökonomische<br />

Ausprägung <strong>der</strong> iranischen Herrschaft immer mehr den Modellen <strong>der</strong> kritischen »Dritte-Welt«-Theorien (neuere<br />

Imperialismustheorien, Dependenztheorie 507 ) annähert, <strong>in</strong>dem sich e<strong>in</strong> politisch und ökonomisch westorientierter<br />

»Brückenkopf« herausbildet, dessen Zentrum <strong>der</strong> Šah und se<strong>in</strong>e Familie, se<strong>in</strong> Klientelgruppe ist. Es entsteht auch die<br />

von Sunkel für Südamerika beschriebene Doppelteilung <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>in</strong> soziale Schichten und »mo<strong>der</strong>ne« bzw.<br />

»traditionale« Ausrichtung. Im üblichen Verständnis – <strong>als</strong>o auch vorzugsweise im Unterricht – wird die Entstehung<br />

dieser Dependenzen und ihrer <strong>in</strong>neren des<strong>in</strong>tegrativen Repräsentation auf die Geschichte des Kolonialismus und<br />

Neokolonialismus zurückgeführt.<br />

Obwohl diese Begründung für e<strong>in</strong>en wesentlichen Teil <strong>der</strong> »Dritte-Welt«-Thematik aussagefähig und<br />

h<strong>in</strong>reichend erklärungsmächtig ist, muss gerade mit Blick auf <strong>Iran</strong> e<strong>in</strong>e Differenzierung und Erweiterung <strong>der</strong><br />

theoretischen Konzepte vorgenommen werden. <strong>Die</strong> Dependenztheorien betonen die ökonomischen Ungleichgewichte,<br />

die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weltwirtschaft auch unter dem heutigen Zeichen <strong>der</strong> Globalisierung unbezweifelbar vorhanden<br />

s<strong>in</strong>d und zu politisch-ökonomischer Abhängigkeit führen können. Gerade aber e<strong>in</strong>e heutige kritische Globalisierungstheorie<br />

<strong>in</strong>sistiert auf e<strong>in</strong>e Differenzierung <strong>der</strong> dichotomen Weltvorstellungen <strong>der</strong> »Dritte-Welt«-Theorie.<br />

Das soll im nächsten Kapitel im Zusammenhang mit den Globaliserungs-Diskursen noch näher erörtert werden. In<br />

Bezug auf die Thematik <strong>der</strong> Sozialen Ungleichheit ist vor allem die materielle Ausrichtung dieser Ansätze differenzierungsbedürftig,<br />

da es sich auch und wesentlich um Bewusstse<strong>in</strong>sphänomene handelt.<br />

<strong>Die</strong> Inkorporationsprozesse, denen <strong>Iran</strong> seit dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t unterworfen ist, ohne dass das Land e<strong>in</strong>e<br />

Kolonialherrschaft zu erdulden hatte, verlaufen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ambivalenten Beziehung von ökonomischen Interessen und<br />

Kulturkontakt. Wesentliche politische Entwicklungen fokussieren sich <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen Stereotypen, bei denen <strong>in</strong><br />

<strong>Iran</strong> die Geschichte des Antiamerkanismus im Vor<strong>der</strong>grund steht und durch die Wahrnehmung <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong> USA<br />

nach dem 1. Weltkrieg, bei <strong>der</strong> Absetzung von Šah Reza dem Älteren und vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mossadegh-Affäre 1951<br />

<strong>als</strong> iranfe<strong>in</strong>dlich und kulturarrogant gestützt wird. <strong>Die</strong>se Überlegungen sollen e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis darauf geben, dass<br />

gerade die Vorgeschichte <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> e<strong>in</strong>e diskursive und differenzierende Erweiterung <strong>der</strong><br />

Theoriekonzepte <strong>der</strong> »Dritte-Welt«-Theorien notwendig macht z.B. durch die bewusste E<strong>in</strong>beziehung von<br />

Erklärungsansätzen aus <strong>der</strong> Zivilisationstheorie o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Weltsystemtheorie nach Immanuel Wallerste<strong>in</strong>.<br />

4.1.6. Didaktische Schlussfolgerungen zum<br />

»Schlüsselproblem Soziale Ungleichheit«<br />

<strong>Die</strong> sichere Selbstverständnis, mit <strong>der</strong> die »fortschrittliche« Politikdidaktik aus dem Selbstverständnis <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Soziologie heraus und geleitet von im Ansatz egalitären gesellschaftlichen Leitbil<strong>der</strong>n und Politikkonzepten <strong>in</strong> den<br />

siebziger Jahren das Thema Soziale Ungleichheit aktualisierte und <strong>als</strong> Kernbestandteil des Politikunterrichts<br />

festschreiben wollte, ist heute vor den gewandelten gesellschaftlichen Situationen und Selbstverständnissen verloren<br />

gegangen. 508 E<strong>in</strong> Grund dafür, dass dieser »Optimismus« verloren gehen konnte war, dass er weniger distanziertsoziologisch<br />

<strong>als</strong> ethisch fundiert war. <strong>Die</strong> didaktische Perspektive g<strong>in</strong>g davon aus, dass die ethische Norm <strong>der</strong><br />

Gerechtigkeit e<strong>in</strong>en hohen Gültigkeitswert <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Kultur Mitteleuropas hätte und<br />

506<br />

Typisch für diese Politik war die 2500-Jahrfeier <strong>Iran</strong>s <strong>in</strong> Persepolis, die mit enormen Prunk und Aufwand und vielen <strong>in</strong>ternationalen<br />

Staatsgästen gefeiert wurde. Zur nationalen Integration trug diese Feier wohl kaum bei, eher zur Machtdemonstration<br />

gegenüber den arabischen Nachbarlän<strong>der</strong>n. Der Bevölkerung, die wie gesagt zunehmend mit neuen Armutserfahrungen<br />

konfrontiert wurde, erschien diese Feier teilweise <strong>als</strong> unglaubliche Provokation.<br />

507<br />

Vgl. unsere e<strong>in</strong>gehen<strong>der</strong>en Ausführungen zur »Dritte-Welt«-Didaktik im Abschnitt 3.4, <strong>in</strong>sb. 3.4.2 passim.<br />

508<br />

Wem dieses Insistieren auf dem Problembereich Soziale Ungleichheit <strong>als</strong> zentralem Erfahrungs- und Bedeutungswert<br />

gesellschaftlicher Wahrnehmung anachronistisch ersche<strong>in</strong>t, tröste sich mit e<strong>in</strong>em Zitat von Geörgy Dalos, das <strong>der</strong> Verfasser<br />

weniger nostalgisch <strong>als</strong> optimistisch-hoffnungsvoll versteht:<br />

Aussichten: <strong>Die</strong> entschlossenen Anhänger <strong>der</strong> Ordnung, / mehr braucht es nicht, / um die Welt <strong>in</strong> Trümmer zu stürzen. /<br />

Nur e<strong>in</strong>ige alte Anarchisten / suchen mit zitternden Köpfen / unter den Ru<strong>in</strong>en nach e<strong>in</strong> paar Ste<strong>in</strong>en, / die zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> passen.<br />

(Geörgy Dalos, 1979: Me<strong>in</strong>e Lage <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage. Gedichte und Geschichten. Berl<strong>in</strong> 1979. Zitiert nach Krippendorff,<br />

Staat und Krieg. 1985: 437).<br />

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