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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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4. Diskurse <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung im Kontext <strong>der</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Iran</strong><br />

enteignet, Bewässerungskanäle angelegt und israelische Landwirtschaftsexperten e<strong>in</strong>geflogen, die den Bauern<br />

bei Ackerbau und Viehzucht behilflich waren.<br />

Abiturienten, die den <strong>Die</strong>nst mit <strong>der</strong> Waffe scheuten, mussten den <strong>Die</strong>nst <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Armee des Wissens“<br />

aufnehmen und den Analphabeten <strong>in</strong> den Dörfern Lesen und Schreiben beibr<strong>in</strong>gen. <strong>Die</strong> Grundbasis e<strong>in</strong>er<br />

florierenden Landwirtschaft sei e<strong>in</strong>e entsprechende schulische und berufliche Erziehung <strong>der</strong> Bauern, hieß die<br />

Parole.“ 504<br />

In diesem Text wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> kurzen zeitlichen Distanz <strong>der</strong> Erfolg dieser Politik zu optimistisch gesehen. Im Lande<br />

selbst war von den »Erfolgen« bis 1974 kaum etwas zu vermerken. <strong>Die</strong> nachfolgend zur Erklärung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>tretenden<br />

Krise gewählte Formulierung vom „ansteigenden Konsumbedarf“ ist nicht glücklich gewählt, auch wenn sie volkswirtschaftlich<br />

treffend se<strong>in</strong> mag, da sie e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong> höheres Konsumniveau suggeriert, das bis auf kle<strong>in</strong>e Kreise <strong>in</strong><br />

den Großstädten durchaus nicht e<strong>in</strong>getreten war. Auf dem Lande war <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Jahren die Lage katastrophal. In <strong>der</strong><br />

Region Firuzabad südöstlich von Širaz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>z Fârs gab es z.B. bis 1969 mehrfach gewalttätige Hungerrevolten,<br />

die militärisch unterdrückt und durch die Pressezensur vor <strong>der</strong> Weltöffentlichkeit geheim gehalten wurden.<br />

Auch nach 1970 gab es bis zu den großen Aufständen, die zur <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> führten, mehrfach lokale<br />

Revolten. Krisenursache war <strong>als</strong>o weniger e<strong>in</strong>e Verän<strong>der</strong>ung des Konsumverhaltens <strong>als</strong> e<strong>in</strong>e strukturelle<br />

Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> ökonomischen Austauschbeziehungen, weitere Agrarexporte vor allem von cash crops durch <strong>Iran</strong><br />

trotz gleichzeitiger Importe von Lebensmitteln und e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>seitige Konzentration <strong>der</strong> Investitionen <strong>in</strong> den<br />

Industrie- und Rüstungsbereich:<br />

„<strong>Die</strong> Rechnung schien aufzugehen; zwischen 1962 und 1974 verdoppelten sich die Ernteerträge von Getreide,<br />

Reis, Zucker und beispielsweise Tee. Seit aber Ende 1973 <strong>der</strong> Ölpreis vervierfacht wurde und das Geld <strong>in</strong>s<br />

Land strömte, konnte die Landwirtschaft nicht mehr mit dem ansteigenden Konsumbedarf mithalten. Im<br />

gleichen Zeitraum war die Bevölkerung um e<strong>in</strong>e auf fast 36 Millionen Menschen gewachsen. Damit trat e<strong>in</strong>,<br />

was <strong>der</strong> Schah durch se<strong>in</strong>e „Weiße <strong>Revolution</strong>“ hatte verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n wollen: Der <strong>Iran</strong>, Haupt<strong>in</strong>itiator des<br />

Ölkartells, ist – so fürchten jetzt Teheraner Regierungsbeamte – erpreßbar geworden. Denn neben den USA<br />

könnte nur Kanada die <strong>in</strong> den kommenden Jahren von Persien benötigten Weizenmengen liefern. <strong>Die</strong> Kanadier<br />

aber haben ihre überschüssige Ernte schon auf Jahre h<strong>in</strong>aus an an<strong>der</strong>e Staaten verkauft, die USA h<strong>in</strong>gegen<br />

beliefern vorwiegend die an chronischen Mißernten leidende UdSSR. Um sich halbwegs gegen die immer<br />

stärker werdende Monopolstellung Kanadas und <strong>der</strong> USA im Weltweizenexport zu schützen, befahl <strong>der</strong> Schah<br />

darum jetzt, die „strategische Weizenreserve“ des Landes von gegenwärtig 700.000 Tonnen auf 2 Millionen<br />

Tonnen zu erhöhen – auf e<strong>in</strong>en Vorrat für sechs Monate.<br />

Der iranische Landwirtschaftsm<strong>in</strong>ister Manssur Rouhani tat e<strong>in</strong> Übriges. Er warnte – ohne sie direkt zu nennen<br />

– die USA und Kanada davor, ihr Monopol beispielsweise durch drastische Preiserhöhungen auszureizen.<br />

„Der <strong>Iran</strong> muss e<strong>in</strong> scharfes Auge auf die Weizenmächte haben“, sagte er. „Es darf nie vorkommen, dass <strong>der</strong><br />

Weizenhandel <strong>als</strong> politisches Druckmittel benutzt werden kann.“ Etwa so, wie die Ölför<strong>der</strong>staaten die Energiekrise<br />

ausnützen und die Preise für Rohöl ständig höher schrauben.“ 505<br />

Auch hier ist wie<strong>der</strong> bezeichnend, dass die E<strong>in</strong>ordnung <strong>der</strong> Wirtschaftspolitik nach den Wahrnehmungsmustern <strong>der</strong><br />

europäischen Politik und <strong>der</strong> europäischen Weltperspektive erfolgt, wobei die europäischen Öl<strong>in</strong>teressen immer<br />

wie<strong>der</strong> <strong>als</strong> Wahrnehmungs- und Interessenfilter aufsche<strong>in</strong>en. Das trifft nicht nur auf die europäischen Berichte selbst<br />

zu, son<strong>der</strong>n auch auf die im Šah-Regime politisch <strong>in</strong>tegrierten Politiker, die weitgehend und zunehmend die<br />

europäische Politik-Rezeption übernehmen und Mo<strong>der</strong>nisierung im europäisch-ökonomischen S<strong>in</strong>ne verstehen mit<br />

<strong>der</strong> Konsequenz e<strong>in</strong>er sehr e<strong>in</strong>geschränkten Wahrnehmung <strong>der</strong> gesellschaftlichen Entwicklungen und Probleme <strong>in</strong><br />

<strong>Iran</strong> selbst. Auch dies ist e<strong>in</strong> Zeichen für die soziale Des<strong>in</strong>tegration auch <strong>der</strong> Oberschichten und die Dezentralisierung<br />

und Fragmentierung <strong>der</strong> Machtbeziehungen.<br />

Funktional wurde dieser Mo<strong>der</strong>nisierungsversuch daher we<strong>der</strong> durch den Versuch e<strong>in</strong>er mo<strong>der</strong>nen staatlichen<br />

Integration, des Aufbaus e<strong>in</strong>er effektiven Verwaltung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>der</strong> funktionalen Austauschbeziehungen<br />

<strong>der</strong> Volkswirtschaft begleitet und fundiert. <strong>Die</strong> sozialen Folgen waren dem Regime fremd und wurden<br />

wohl auch nicht explizit wahrgenommen. <strong>Die</strong> Än<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> den Sozialverhältnissen <strong>in</strong> <strong>der</strong> letzten Phase <strong>der</strong> Šah-<br />

Zeit können stichwortartig aufgeführt werden:<br />

1. <strong>Die</strong> Industrialisierung lässt Ansätze e<strong>in</strong>er dichotomen Klassenstruktur von Kapitaleignern und Industriearbeiterschaft<br />

entstehen. <strong>Die</strong>se Struktur wird jedoch nicht dom<strong>in</strong>ant für die Gesamtgesellschaft. <strong>Die</strong> neue<br />

<strong>in</strong>dustrielle Oberschicht ist weiterh<strong>in</strong> über ihre Beziehungen zum Hof e<strong>in</strong>gebunden <strong>in</strong> die alte Klientelordnung<br />

des Herrschaftsverbandes.<br />

2. <strong>Die</strong> »Weiße <strong>Revolution</strong>« bewirkt über ihre gescheiterte Bodenreform e<strong>in</strong>e Verstärkung <strong>der</strong> Landflucht, das<br />

teilweise Zerbrechen alter Loyalitäts- und Sozialbeziehungen und die damit verbundenen Bewusstse<strong>in</strong>sän<strong>der</strong>ungen,<br />

wie sie schon erläutert worden s<strong>in</strong>d. Verarmung und Verelendung werden erstm<strong>als</strong> zu subjektiv<br />

erfahrenen Lebensperspektiven und entfalten ihren sozialen Sprengstoff.<br />

3. An die Stelle e<strong>in</strong>es Integrations- o<strong>der</strong> Homogenisierungsprozesses im S<strong>in</strong>ne des nation build<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>es<br />

mo<strong>der</strong>nen Nation<strong>als</strong>taates tritt die auf den Šah und se<strong>in</strong>e persönliche Bereicherung konzentrierte Zentrali-<br />

504<br />

Aus: DER STERN, Heft 10, 28. 2. 1976, S. 165-166, a.a.O..<br />

505<br />

Ibid.<br />

229

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