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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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1. <strong>Die</strong> „<strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong>“ <strong>in</strong> politischen und didaktischen<br />

Kontexten: E<strong>in</strong> Problemüberblick<br />

herrscht e<strong>in</strong> eher unbedarfter historischer Umgang mit <strong>der</strong> Kategorie Nation vor, wie es e<strong>in</strong> Textbeispiel von<br />

He<strong>in</strong>rich August W<strong>in</strong>kler <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Spiegel-Essay (1998) zum Holocaust und se<strong>in</strong>er Auswirkungen auf die deutsche<br />

Nation<strong>als</strong>taatlichkeit deutlich macht:<br />

„<strong>Die</strong> Deutschen, so lautete die unausgesprochene und dennoch tröstliche Botschaft, konnten von dem Fluch<br />

erlöst werden, <strong>der</strong> auf ihrer katastrophalen, auf Auschwitz zulaufenden Geschichte lastete. Sie mussten<br />

aufhören, sich <strong>als</strong> e<strong>in</strong>e Nation zu fühlen, und sich statt dessen bemühen, gute Europäer und Weltbürger zu<br />

se<strong>in</strong>. Dass nur die Westdeutschen, nicht aber die Ostdeutschen diese Chance hatten, störte die<br />

altbundesdeutsche L<strong>in</strong>ke nicht. <strong>Die</strong> These, die Teilung sei die Strafe für Auschwitz, war zu ihrer Lebenslüge<br />

geworden.“ 135<br />

Dabei übersieht W<strong>in</strong>kler völlig, dass <strong>als</strong> Konsequenz aus Auschwitz e<strong>in</strong> durchaus prononcierter Ant<strong>in</strong>ationalismus<br />

o<strong>der</strong> auch Internationalismus – <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> »Altl<strong>in</strong>ken« <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachfolge von Rosa Luxemburg durchaus e<strong>in</strong>e<br />

ehrenwerte Tradition hat – vertreten werden kann, <strong>der</strong> nicht primär die <strong>in</strong>s Metaphysische streifende<br />

Kollektivschuldfrage zum Motiv hat, son<strong>der</strong>n die nüchterne Erkenntnis, dass e<strong>in</strong>erseits die Kategorie und das<br />

ideologische »Konstrukt Nation« e<strong>in</strong>e wichtige historische Funktion im Homogenisierungsprozess bei <strong>der</strong><br />

Entstehung <strong>der</strong> Staatsgesellschaft und des mo<strong>der</strong>nen Territori<strong>als</strong>taates zu übernehmen hatte und sich mit dieser<br />

überlebt hat, und dass an<strong>der</strong>erseits generell seit <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts das Festhalten am<br />

»Nationenkonzept« destruktive und gegenüber e<strong>in</strong>er neuen notwendigen gesellschaftlichen Mo<strong>der</strong>nisierungsphase<br />

dysfunktionale Qualitäten angenommen hatte, die letztlich tatsächlich e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Ursachen für den<br />

Nation<strong>als</strong>ozialismus und den Holocaust waren. Demgegenüber ist für W<strong>in</strong>kler die Nation e<strong>in</strong>e so selbstverständliche<br />

Größe, dass er für fundamentale Skepsis dem Nationenkonzept gegenüber nur undifferenzierten und <strong>in</strong> den<br />

Begründungen wenig treffenden Hohn übrig hat.<br />

„Nun ist Deutschland aber seit 1990 wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Nation<strong>als</strong>taat, wenn auch ke<strong>in</strong> klassischer, souveräner<br />

Nation<strong>als</strong>taat nach Art des Deutschen Reiches, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> europäisch und atlantisch fest e<strong>in</strong>gebundener,<br />

mith<strong>in</strong> postklassischer Nation<strong>als</strong>taat wie an<strong>der</strong>e Mitgliedstaaten <strong>der</strong> EU auch. <strong>Die</strong> westdeutschen<br />

Intellektuellen <strong>in</strong>des, die fest davon überzeugt waren, dass sie die Sache mit <strong>der</strong> Nation endgültig h<strong>in</strong>ter sich<br />

hätten, haben sich von diesem Schock bis heute nicht erholt. Fast könnte man me<strong>in</strong>en, an die Stelle des<br />

alliierten Vorbehalts <strong>in</strong> bezug auf Deutschland <strong>als</strong> Ganzes, <strong>der</strong> bis zum 3. Oktober 1990 galt, sei seitdem <strong>der</strong><br />

entsprechende <strong>in</strong>tellektuelle Vorbehalt getreten.<br />

Wäre es nicht doch an <strong>der</strong> Zeit, von dem e<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en e<strong>in</strong> erläuterndes Wort zu hören – etwa zu jener<br />

These von <strong>der</strong> ‚B<strong>in</strong>ationalisierung‘ Deutschlands, die <strong>in</strong> den siebziger Jahren Karriere zu machen begann, o<strong>der</strong><br />

zu <strong>der</strong> Behauptung, nicht <strong>der</strong> Nation<strong>als</strong>taat, son<strong>der</strong>n die Mehrstaatlichkeit sei von jeher die angemessene<br />

politische Existenzform <strong>der</strong> Deutschen gewesen?“ (ibid.)<br />

<strong>Die</strong> gefor<strong>der</strong>ten erläuternden Worte liefert die historische Soziologie und Zivilisationstheorie und die<br />

Weltsystemtheorie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Arbeit <strong>in</strong> den wissenschaftlichen Konzepten von Norbert Elias und Immanuel Wallerste<strong>in</strong><br />

implizite. Doch werden die relativierenden Ergebnisse von den öffentlichen Diskursen über die<br />

Nation<strong>als</strong>taatlichkeit, die entwe<strong>der</strong> ahistorisch-systemtheoretisch o<strong>der</strong> <strong>als</strong> ethische Diskurse geführt werden, nicht<br />

h<strong>in</strong>reichend rezipiert. Gerade die ernst zu nehmende Publizistik, zu <strong>der</strong> auch <strong>der</strong> Spiegel gehört, habe hier deutliche<br />

Wahrnehmungs- und Argumentationslücken.<br />

Erörtert man nun die konkreten Probleme des Nationenkonzeptes so s<strong>in</strong>d verschiedene Fragen zu<br />

differenzieren: die Frage nach dem Inhalt und <strong>der</strong> Bedeutung des Begriffes <strong>der</strong> Nation, die Frage nach den<br />

räumlichen und sozialen Grenzen dessen, was <strong>als</strong> Nation zu bezeichnen ist – <strong>als</strong>o die Dist<strong>in</strong>ktivität <strong>der</strong> Kategorie –,<br />

und schließlich die Frage nach <strong>der</strong> historischen Dynamik und Genese des Nationenkonzeptes. Hier können nur<br />

e<strong>in</strong>ige Aspekte beispielhaft dafür angesprochen werden.<br />

Zeitgeschichtlich lässt sich die Problematik <strong>der</strong> Begriffsbeziehung von Nation und Staat recht gut am Beispiel<br />

<strong>der</strong> deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg und <strong>der</strong> Frage nach den deutschsprachigen Regionen jenseits<br />

<strong>der</strong> »deutschen Grenzen« darstellen. Wallerste<strong>in</strong> diskutiert zunächst den Staats- und Gesellschaftsbegriff zur Zeit<br />

<strong>der</strong> deutschen Teilung:<br />

„Lassen Sie mich die e<strong>in</strong>fache Frage stellen, wo die deutsche Gesellschaft sich bef<strong>in</strong>det? Bef<strong>in</strong>det sie sich<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> gegenwärtigen Grenzen <strong>der</strong> Bundesrepublik? <strong>Die</strong> offizielle Antwort sche<strong>in</strong>t zu se<strong>in</strong>, dass es<br />

heutzutage »zwei deutsche Staaten« gibt, |aber nur »e<strong>in</strong> Volk«. So sche<strong>in</strong>t die e<strong>in</strong>e »Nation« o<strong>der</strong> das e<strong>in</strong>e<br />

»Volk«, wenigstens von e<strong>in</strong>igen, so def<strong>in</strong>iert zu se<strong>in</strong>, dass beide sowohl die Personen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

wie die <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR umfassen.“ (Wallerste<strong>in</strong> 1995: S. 80/81.)<br />

135<br />

W<strong>in</strong>kler, He<strong>in</strong>rich August, 1998: Lesarten <strong>der</strong> Sühne. Holocaust und deutsche Nation<strong>als</strong>taatlichkeit. DER SPIEGEL, Heft<br />

35, 24.08.1998. S. 180-181. – Auch <strong>in</strong> den weiteren Kontexten <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Diskursfel<strong>der</strong> führt dieser Aufsatz weiter<br />

durch se<strong>in</strong>e schon im Titel angesprochene E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Beziehung von Wertkonflikten und Nationalismus <strong>als</strong> Transmissionsideologie<br />

<strong>der</strong> Staatenbildung. <strong>Die</strong>ser fruchtbare Ansatz kann am Beispiel von <strong>Iran</strong> auch auf die entsprechende Funktionalisierung<br />

des Islam übertragen werden. Auch für die didaktische Arbeit f<strong>in</strong>det sich hier<strong>in</strong> e<strong>in</strong> fruchtbarer Ansatz. <strong>Die</strong><br />

notwendigen kritischen E<strong>in</strong>wände gegen die Schlussfolgerungen von W<strong>in</strong>kler, dem es nicht gel<strong>in</strong>gt, die Potentiale se<strong>in</strong>er<br />

Problemstellung kritisch-distanziert auszuführen, werden nachfolgend noch angesprochen.<br />

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