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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

„Obgleich unter dem Schah-Regime zwei Jahrzehnte lang ke<strong>in</strong>erlei oppositionelle Organisationen und demokratische<br />

Tätigkeiten zugelassen waren, blieben während dieser ganzen Zeit die religiösen Stätten, auch die<br />

Moscheen, weitestgehend unangetastet. Sie stellen <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> e<strong>in</strong>en wichtigen Sammelpunkt und e<strong>in</strong> Kommunikationszentrum<br />

für die Bevölkerung dar. <strong>Die</strong>se Tatsache muss <strong>als</strong> e<strong>in</strong> entscheiden<strong>der</strong> Grund für die Übernahme<br />

<strong>der</strong> Führung <strong>der</strong> Volksbewegung durch den islamischen Klerus betrachtet werden.“ (Behrawan 1980: 121).<br />

Kippenberg wendet sich jedoch gegen diese These, <strong>in</strong>dem er auf e<strong>in</strong>e tiefere Verankerung dieser religiösen<br />

Realitätsdeutungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> persischen Alltagskultur verweist und ihren traditionell handlungsleitenden Charakter<br />

hervorhebt:<br />

„Was Behrawan hier beschreibt, wäre e<strong>in</strong>e Pseudomorphose zu nennen: Unter dem Druck des Schah-Regimes<br />

konnte sich die politische Opposition nur <strong>in</strong> religiöser Form äußern. Dass jedoch auch noch nach dem Wegfall<br />

dieses Druckes die Opposition sich religiöser Traditionen versichert, spricht schlagend gegen diese These. <strong>Die</strong><br />

Bedeutung <strong>der</strong> shi‘itischen Traditionen für das soziale Handeln wird daher e<strong>in</strong> Stück systematischer konzipiert<br />

werden müssen. Damit ist auch e<strong>in</strong> methodologisches Element im Spiel, das A. Mac<strong>in</strong>tyre (1967) <strong>in</strong> dem<br />

Aufsatz »A Mistake about Causality <strong>in</strong> Social Science« glänzend dargestellt hat. Er legt – me<strong>in</strong>es Erachtens<br />

überzeugend – dar, dass das Verhältnis von »Glaube« (belief) und »Handeln« (action) nicht äußerlich und<br />

kont<strong>in</strong>gent ist. <strong>Die</strong> beiden Bereiche können nicht <strong>als</strong> separate D<strong>in</strong>ge angesehen werden, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Verhältnis<br />

<strong>der</strong> Kausalität zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> stehen. Vielmehr s<strong>in</strong>d sie <strong>in</strong>nerlich und konzeptionell aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> bezogen. <strong>Die</strong><br />

Erklärung von Handlungen kann folglich nicht dem Kausalitätsschema folgen, son<strong>der</strong>n muss sich auf die Wahl<br />

<strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> Handlung, das heißt des »belief«, stützen.“ (Kippenberg 1981: 218-219)<br />

Beide Aspekte sche<strong>in</strong>en jedoch jeweils für sich genommen nicht ausreichend zur Erklärung des spezifischen<br />

Charakters <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong>. Es wäre s<strong>in</strong>nvoll, die beiden Ansätze <strong>als</strong> <strong>in</strong>terdependente o<strong>der</strong> sogar<br />

dialektisch mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verknüpfte Seiten e<strong>in</strong>er umfassen<strong>der</strong>en Beurteilung zu werten. Nur so ist es zu verstehen,<br />

wie e<strong>in</strong>e, wenn auch temporäre, soziale Integration unter dem Symbolbestand <strong>der</strong> islamischen Tradition erreicht<br />

werden konnte. Fachlich richtiger wäre jedoch e<strong>in</strong> Zugang, <strong>der</strong> figurationssoziologische Perspektiven mit e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gt,<br />

die im konkreten Falle vor allem das Argument <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>grund rücken, da die offensichtlichen Verschiebungen<br />

<strong>der</strong> Machtbalancen Bündnisse zwischen sozialen Gruppen erfor<strong>der</strong>lich machen, die sich – im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> erst<br />

erfolgenden Herausbildung <strong>der</strong> Gruppenidentität unter dem äußeren Druck <strong>der</strong> Infragestellung traditioneller<br />

Machtpositionen, <strong>als</strong>o auch im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternen Homogenisierung – über die Religion def<strong>in</strong>ieren. <strong>Die</strong>s führt die<br />

im vorangegangenen Zitat angesprochene Problematik <strong>der</strong> sozialen Kausalitäten (nach Mac<strong>in</strong>tyre) weiter und rückt<br />

sie sachlich zurecht.<br />

Auch die nächste exemplarische Phase <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> trägt ihren eigenen Charakter. Mit <strong>der</strong><br />

Etablierung <strong>der</strong> Herrschaft <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n Republik beg<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong> Prozess <strong>der</strong> zwangsläufigen Institutionalisierung<br />

<strong>der</strong> Macht und <strong>der</strong> Aufbau e<strong>in</strong>er strukturierten Herrschaftsordnung. <strong>Die</strong>se Vorgänge s<strong>in</strong>d sozialwissenschaftlich <strong>in</strong><br />

verschiedenen <strong>Revolution</strong>stheorien diskutiert und verallgeme<strong>in</strong>ert worden, die im Rahmen dieser Untersuchung<br />

nicht weiter diskutiert werden sollen. Es wird zu zeigen se<strong>in</strong>, dass nicht <strong>der</strong> im klassischen S<strong>in</strong>ne revolutionäre<br />

Charakter 396 <strong>der</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> das Beson<strong>der</strong>e und Bezeichnende ist, son<strong>der</strong>n die noch genauer zu analysierende<br />

Vielschichtigkeit <strong>der</strong> Kontexte, die Interdependenzen und Machtbalancen, die sowohl das »E<strong>in</strong>malige« des Fallbeispiels<br />

wie auch se<strong>in</strong>e »exemplarische Bedeutung« ausmachen, was gerade nicht <strong>als</strong> diametraler Gegensatz<br />

son<strong>der</strong>n <strong>als</strong> dialektische Beziehung zu verstehen ist. 397<br />

Es sei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Ansatz die Parallele zur Dialektik von Individualisierung und Globalisierung<br />

angesprochen, welcher für die didaktische Analyse zentrale Bedeutung zuzumessen ist und die z.B. Cas Wouters<br />

(1994) folgen<strong>der</strong>maßen charakterisiert: „In den westlichen Gesellschaften haben die <strong>in</strong>neren Differenzierungs- und<br />

Integrationsprozesse sowie die Konkurrenz- und Verflechtungstendenzen auf dem Weg zu e<strong>in</strong>er globalen Integration<br />

e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Form des Statuswettbewerbs: e<strong>in</strong>en Wettbewerb <strong>der</strong> Selbstregulierung o<strong>der</strong> des Affektmanagements<br />

stimuliert und verstärkt. Der jeweilige <strong>in</strong>dividuelle Stil <strong>der</strong> Selbstregulierung hat im Kampf um Status und Macht <strong>als</strong><br />

e<strong>in</strong> Kriterium <strong>der</strong> Rangordnung an Bedeutung gewonnen. Dagegen überwiegen <strong>in</strong> den meisten Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Dritten<br />

Welt Statusmerkmale wie Herkunft und Reichtum, die sich auf Gruppen beziehen und auf <strong>der</strong>en Nähe zu den<br />

Zentren <strong>der</strong> Macht... <strong>Die</strong>se Zwänge zur Identifikation und Individualisierung, zu Konformität und Profilierung,<br />

gehen wie die zwei Seiten e<strong>in</strong>es Januskopfes aus e<strong>in</strong> und demselben Prozess <strong>der</strong> Zivilisation hervor. Aus diesen<br />

Zusammenhängen wird ersichtlich, wie wichtig es ist, <strong>in</strong> Gleichgewichten zu denken. Denn oft genug wird e<strong>in</strong>e<br />

kulturkritische Diagnose, welche die diktierten Muster <strong>der</strong> fortschreitenden E<strong>in</strong>schränkung von Selbstbestimmungsmöglichkeiten<br />

verzeichnet, e<strong>in</strong>er Individualisierungdiagnose gegenübergestellt, die, wie auch immer formuliert, die<br />

gewachsene <strong>in</strong>dividuelle Freiheit betont. Freilich s<strong>in</strong>d die beiden mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verschränkten Diagnosen gleichermaßen<br />

e<strong>in</strong>seitig: diktierte Muster und Freiheitsträume spiegeln e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> wie Ängste und Passionen, Schreckensbil<strong>der</strong><br />

und Ideale. Jene Verschränkung macht aber jeden Versuch e<strong>in</strong>er Bewertung des Gesamtprozesses zu e<strong>in</strong>em<br />

allenfalls ambivalenten Balanceakt. Immer mehr Erfahrungen, Interpretationen und Ideale s<strong>in</strong>d selbst ambivalent<br />

geworden. Im Prozess <strong>der</strong> Informalisierung vollzieht sich e<strong>in</strong>e ›kontrollierte Dekontrolle‹ des sozialen Verkehrsund<br />

des Gefühlslebens; aber wo genau liegen <strong>der</strong>en Grenzen?“<br />

396<br />

Vgl. Fußnote zu Kapitel 1.<br />

397<br />

Vgl. dazu u.a. auch: Claußen 1993: 55-76.<br />

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