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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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2. Perspektiven <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung unter den Bed<strong>in</strong>gungen<br />

e<strong>in</strong>er politischen Krisensituation<br />

problemorientierten Strukturierung dieses Zeitabschnitts an Hand <strong>der</strong> vorliegenden, spärlichen wissenschaftlichen<br />

Vorarbeiten, sollte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Folgekapitel gewagt und auf se<strong>in</strong>e didaktische Relevanz h<strong>in</strong> überprüft werden.<br />

Im Aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong>stoßen wi<strong>der</strong>sprüchlicher Gesellschafts- und Politikkonzeptionen und <strong>der</strong> zunehmenden<br />

E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationalisierte Konfliktlagen stellt sich für die nachfolgende Phase <strong>der</strong> tendenziellen sozialen<br />

Des<strong>in</strong>tegration und <strong>der</strong> Homogenisierungsanfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> durch verstärkten<br />

Aufbau e<strong>in</strong>es zentralen Machtapparates die Aufgabe, sozial- und politikwissenschaftliche Modellvorstellungen des<br />

Zentrum-Peripherie-Disparitäten, <strong>der</strong> Herausbildung von Staatsgesellschaften <strong>in</strong> <strong>in</strong>terdependenten Machtgleichgewichten<br />

und <strong>der</strong> sozioökonomische Fundierung von Machtressourcen und ihrer Wahrnehmung durch die betroffene<br />

Bevölkerung <strong>in</strong> den didaktischen Diskurs und die rationale fachliche Analyse mit aufzunehmen. Interdiszipl<strong>in</strong>äres<br />

Vorgehen stellt e<strong>in</strong>e adäquate und letztlich unabd<strong>in</strong>gbare Lösung dar.<br />

Der pädagogische Diskurs bestimmt die Phasen und den Aspekte <strong>der</strong> europäischen Neuzeit, welche sich mit<br />

dem Etikett „Aufklärung“ charakterisieren lassen. Paradigmatische Grundlage des pädagogischen Diskurses war die<br />

Erkenntnis <strong>der</strong> Entwicklungsfähigkeit und Entwicklungsbedürftigkeit des Menschen <strong>in</strong> biographischer Sicht, die<br />

Soziabilität begründet, wie <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die Generationenfolgen, aus denen letztlich Gesellschaft konstituiert. Der<br />

pädagogische Diskurs spielt e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle bei <strong>der</strong> Überw<strong>in</strong>dung geschlossener feudaler und<br />

absolutistisch-höfischer Gesellschaftsstrukturen und verb<strong>in</strong>det sich mit <strong>der</strong> Utopie <strong>der</strong> Aufwärtsentwicklung <strong>der</strong><br />

Menschheit.<br />

Trotz aller gesellschaftlicher Begründungen und Ziele – von Gesellschaftsfähigkeit und gesellschaftlicher<br />

Verantwortung ebenso wie Reform o<strong>der</strong> gar <strong>Revolution</strong> von Staat und Gesellschaft – ist <strong>der</strong> pädagogische Diskurs<br />

bezogen auf den Zivilisationsprozess <strong>der</strong> bürgerlichen Neuzeit e<strong>in</strong> Element <strong>der</strong> Individualisierung. <strong>Die</strong>ser Wi<strong>der</strong>spruch<br />

ist bei Jean-Jacques Rousseau fast idealtypisch nachzuweisen. 1762 veröffentlichte er se<strong>in</strong>e beiden klassischen<br />

und für unsere Überlegungen bezeichnenden Werke „Der Gesellschaftsvertrag“ (Du Contrat Sociale ou<br />

Pr<strong>in</strong>cipes du Droit Politique) und den „Emile“ <strong>als</strong> Erziehungsroman und damit <strong>als</strong> E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> den pädagogischen<br />

Diskurs. Rousseau führt die Vergesellschaftung zurück auf die natürliche Vernunft des Menschen, auf se<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>sichts- und Entscheidungsfähigkeit.<br />

<strong>Die</strong> <strong>in</strong>dividuelle Entwicklung des Menschen muss sich lösen aus den vorgegebenen gesellschaftlichen<br />

Zwangssystemen – geme<strong>in</strong>t ist bei Rousseau hier vor allem die höfische Kultur 182 –, um auf <strong>der</strong> Grundlage se<strong>in</strong>er<br />

natürlichen Befähigung und se<strong>in</strong>es natürlichen Rechtes zur Vernunft und gesellschaftlichen Handlungsfähigkeit<br />

geführt zu werden. Für Rousseau ist damit die Individualisierung – im Erkennen <strong>der</strong> volonté générale –<br />

Voraussetzung <strong>der</strong> Soziabilität, die e<strong>in</strong>er frei verantworteten <strong>in</strong>dividuellen und vernünftigen – und damit letztlich <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em S<strong>in</strong>ne auch zwangsläufigen und alternativlosen – Entscheidung entspr<strong>in</strong>gt.<br />

Gesellschafts-Fähigkeit und <strong>in</strong>dividuelles Naturrecht s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Aufklärung e<strong>in</strong>e dialektische Dichotomie, die<br />

die neuzeitliche Sozialanthropologie begründet. Auch aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Zivilisationstheorie ist <strong>der</strong> Individualisierungsaspekt<br />

des pädagogischen Diskurses <strong>als</strong> dialektischer Wi<strong>der</strong>part <strong>der</strong> Internalisierung und <strong>der</strong> „Verdrängung“<br />

zivilisatorischer Zwänge, die das Alltagsverhalten <strong>in</strong> den gegebenen kulturellen Kontexten erst „gesellschaftsfähig“<br />

machen, zu verstehen. 183<br />

Beide Prozesse s<strong>in</strong>d im Laufe dieses Jahrhun<strong>der</strong>ts an e<strong>in</strong> Ende gelangt, besser gesagt, <strong>in</strong> die Phase e<strong>in</strong>er<br />

grundsätzlichen Transformation e<strong>in</strong>getreten. Gesellschaftliche Orientierungen und Verhaltensbegründungen<br />

verschieben sich angesichts sich durchsetzen<strong>der</strong> Universalisierungsprozesse. So wird <strong>der</strong> Entwicklungsbegriff <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er klassischen („optimistischen“) und letztlich f<strong>in</strong>al gerichteter Form sowohl <strong>in</strong> gesamtgesellschaftlicher<br />

(globaler) <strong>als</strong> <strong>in</strong> <strong>in</strong>dividualpsychologischer H<strong>in</strong>sicht obsolet. Er genügt nicht mehr zur adäquaten Beschreibung<br />

heutiger gesellschaftlicher Realitäten. An die Stelle von „Entwicklung“ tritt zunehmend <strong>der</strong> Systembegriff, <strong>der</strong><br />

182<br />

183<br />

„Der Mensch wird frei geboren, und überall ist er <strong>in</strong> Ketten. Mancher hält sich für den Herrn se<strong>in</strong>er Mitmenschen und ist<br />

trotzdem mehr Sklave <strong>als</strong> sie.“ Schon dieser berühmte erste Satz des „Contrat Sociale“ zeigt, dass die von Rousseau <strong>in</strong>tendierte<br />

Befreiung nicht nur auf die unmittelbaren Herrschaftsverhältnisse, son<strong>der</strong>n mehr noch auf die Zwänge <strong>der</strong> (höfischen)<br />

Gesellschaft und die sich <strong>in</strong> dieser entwickelnden civilité zielt. Auf dieser Grundlage wird das Postulat des Naturrechtes<br />

formuliert, das gegen das gesellschaftlich gesetzte positive Recht gestellt wird; die Natur des Menschen nimmt<br />

damit im aufgeklärten Weltbild die Stelle e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>nerweltlichen Transzendenz e<strong>in</strong> und begründet e<strong>in</strong> letztlich laizistisches<br />

Weltbild. Es ist dabei auf die Untersuchungen von Elias zur civilté zu verweisen und die E<strong>in</strong>beziehung von Erasmus zu<br />

thematisieren, die Elias hervorgehoben hat. In wie weit dabei die Thematik <strong>der</strong> religiösen Reformation, <strong>der</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen<br />

von Katholizismus und Protestantismus im Zivilisationsprozess e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle gespielt hat, sei an dieser<br />

Stelle dah<strong>in</strong> gestellt, ist aber sicher e<strong>in</strong> zentrales Thema weiterer kulturvergleichen<strong>der</strong> Studien zum Verhältnis von Nahem<br />

Osten und Mitteleuropa und <strong>der</strong> Herausbildung des heutigen zentral-peripheren Weltsystems. <strong>Die</strong> daraus resultierenden<br />

<strong>in</strong>terkulturellen Diskurse werden uns gerade im Zusammenhang mit dem Postulat e<strong>in</strong>er anti-laizistischen und damit<br />

auch anti-aufklärerischen Re-Islamisierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> beschäftigen.<br />

„Man vermag die gedankliche Falle, <strong>in</strong> <strong>der</strong> man sich bei dieser statischen Fassung <strong>der</strong> beiden Begriffe ‚Individuum‘ und<br />

‚Gesellschaft‘ immer wie<strong>der</strong> von neuem verfängt, nur dann zu öffnen, wenn man sie... im Zusammenhang mit empirischen<br />

Untersuchungen so weiter entwickelt, dass sich beide Begriffe auf Prozesse beziehen. Aber diese Weiterbildung wird zunächst<br />

noch durch die außerordentliche Überzeugungskraft blockiert, die, etwa von <strong>der</strong> Renaissance an, <strong>in</strong> europäischen<br />

Gesellschaften die Selbsterfahrung <strong>der</strong> Menschen von <strong>der</strong> eigenen Vere<strong>in</strong>zelung, von <strong>der</strong> Abschließung des eigene ‚Inneren‘<br />

gegenüber allem, was ‚draußen‘ ist, besitzt.“ Elias 1990:<br />

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