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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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3. <strong>Die</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>in</strong> Zeiten <strong>der</strong> <strong>Revolution</strong><br />

<strong>Die</strong> Kadjaren-Dynastie<br />

<strong>Die</strong> recht ausführlichen Erläuterungen zur Kadjaren-Dynastie im Schülerreferat s<strong>in</strong>d <strong>als</strong> Abriss zunächst e<strong>in</strong>mal sehr<br />

aussagefähig. <strong>Die</strong> kritischen Anmerkungen s<strong>in</strong>d daher eher an E<strong>in</strong>zelheiten festzumachen, die für die didaktische<br />

Konzeption e<strong>in</strong>es politisch-sozialkundlichen Unterrichts über das Thema <strong>der</strong> iranischen Geschichte aufschlussreich<br />

se<strong>in</strong> können, da sie auf grundsätzlichere »Perspektivprobleme« verweisen:<br />

„Das Ende des 19. Jh. stand unter dem E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> kapitalistischen Entwicklung und <strong>der</strong>en Expansion auf dem gesamten<br />

Erdball, von denen auch <strong>der</strong> <strong>Iran</strong> nicht unberührt blieb. Obwohl auch hier e<strong>in</strong>e Steigerung <strong>der</strong> Warenproduktion zu<br />

verzeichnen war, führte die Entwicklung <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> nicht zu e<strong>in</strong>er Machtübernahme durch die Bourgeoisie. Es vollzog sich <strong>als</strong>o<br />

nicht die klassische Form des Machtwechsels wie <strong>in</strong> Europa, wo die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung um die Übernahme <strong>der</strong><br />

politischen Macht – zwischen aufkommen<strong>der</strong> Bourgeoisie und den Feudalisten – schließlich dar<strong>in</strong> endete, dass die<br />

Bourgeoisie das Monopol über die staatliche Macht übernahm.“ 231<br />

<strong>Die</strong>se Ausführungen s<strong>in</strong>d begrifflich-kategorial an <strong>der</strong> europäischen Geschichte entwickelt. Dabei zeigt sich e<strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong>fluss gesellschaftskritischer, teilweise marxistischer Theoreme. Da aber <strong>in</strong> dem Referat ke<strong>in</strong>e wi<strong>der</strong>spruchsfrei<br />

marxistische Perspektive zu erkennen ist, kann dies nur auf die Rezeption unterrichtlicher Kategorien zurückgeführt<br />

werden, die <strong>in</strong> dem, kontextuell verständlichen, Wunsch e<strong>in</strong>er »kritischen Geschichtsauffassung« begründet liegt.<br />

Der Gegensatz zwischen Feudalherren und Bourgeoisie ist selbst für Europa zu simpel annotiert; für <strong>Iran</strong> s<strong>in</strong>d<br />

diese Kategorien nicht ohne weiteres anwendbar, wie wir schon im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Safawidenzeit erläutert<br />

haben. <strong>Die</strong> horizontale Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> iranischen Gesellschaft <strong>in</strong> Klientele und Gentes etc. überlagert vertikale<br />

Klassengegensätze. <strong>Die</strong> These vom Eigentum des Landes durch den König (Šah) und die leihweise Vergabe an die<br />

Vasallen entspricht den Grundvorstellungen auch des europäischen Lehenswesens. Doch noch weit weniger <strong>als</strong> <strong>in</strong><br />

Europa, wo regionale Fürsten und Grafen und erst recht geistliche Lehensträger weitgehende Autonomie vom<br />

Kaiser bzw. König besaßen, ist das dezentrale Pr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> noch viel stärker ausgeprägt, so dass <strong>der</strong> Eigentumsvorbehalt<br />

letztlich nur die Ideologie von <strong>der</strong> Unverkäuflichkeit des Landes repräsentierte 232 und nur e<strong>in</strong> relativ<br />

ger<strong>in</strong>ger Teil des Landes effektiv <strong>der</strong> Bewirtschaftung und dem Zugriff des Hofes und se<strong>in</strong>er Vasallen unterlag.<br />

Dass dezentrale Machtzentren, ohne die Ideologie <strong>der</strong> allumfassenden Macht des Šahs zu wi<strong>der</strong>sprechen, faktisch<br />

fast ebenso autonom, aber <strong>in</strong>tern wie<strong>der</strong>um von dezentralen und des<strong>in</strong>tegrierten Peripherien begrenzt waren, zeigte<br />

schon unser zitiertes Beispiel von den E<strong>in</strong>nahmen des Gouverneurs von Jerewan Anfang des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />

„<strong>Die</strong> Begründung für diese spezifische Situation im <strong>Iran</strong> liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> historischen und ökonomischen<br />

Gegebenheiten dieses Landes. In <strong>Iran</strong> gab es ke<strong>in</strong>e feudalistische Klassenstruktur wie <strong>in</strong> Europa, son<strong>der</strong>n die so ge -<br />

nannte asiatische Produktionsweise. In dieser war das gesamte anbaufähige Land im Besitz des Staates – „Staatsland“ –<br />

und somit nicht <strong>in</strong> privater Hand, wie etwa <strong>in</strong> Europa zur Zeit des Feudalismus <strong>in</strong> den Händen des Adels. Das Land wurde<br />

lediglich an Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> königlichen Familie o<strong>der</strong> ihnen nahe stehenden Personen <strong>als</strong> „<strong>Die</strong>nstland“ vergeben.“ 233<br />

Das Problem dieser Darstellung liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> europäischen Begrifflichkeit. E<strong>in</strong>e real abgrenzbare Adelsschicht ist <strong>in</strong><br />

<strong>Iran</strong> nicht vorhanden. An ihre Stelle tritt das des<strong>in</strong>tegrierte Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von Hof und lokaler Oberschicht, die <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er wechselvollen Machtbalance stehen. Der Begriff Staat sollte besser durch Herrschaftsverband ersetzt werden,<br />

da e<strong>in</strong>e Staatsverwaltung im mo<strong>der</strong>nen S<strong>in</strong>ne noch nicht vorhanden war und bis heute noch nicht vollständig und<br />

wirkungsvoll aufgebaut werden konnte.<br />

„In den orientalischen Län<strong>der</strong>n mit asiatischer Produktionsweise, so auch <strong>in</strong> <strong>Iran</strong>, fungierte <strong>der</strong> König <strong>als</strong> Grundbesitzer. Er<br />

hatte das Monopol und die absolute ökonomische und politische Gewalt über das gesamte anbaufähige Land.“ 234<br />

In dieser verkürzten Wi<strong>der</strong>gabe e<strong>in</strong>es Abschnittes <strong>der</strong> genannten Schülerarbeit kommt e<strong>in</strong> zentrales historisches<br />

Verständnisproblem deutlich zum Vorsche<strong>in</strong>: die notwendige aber kaum je vollzogene Unterscheidung von Rechtsund<br />

Status-Positionen e<strong>in</strong>erseits, welche die »Orientalische Despotie« 235 <strong>als</strong> e<strong>in</strong>e Art Absolutismus begreifen und<br />

<strong>der</strong> realen sozi-ökonomischen Machtanalyse, die die grundsätzliche Dezentralität <strong>der</strong> Machtordnung und die Unterscheidung<br />

von (nie unangefochtener) persönlicher Autorität des Monarchen und se<strong>in</strong>er sehr e<strong>in</strong>geschränkten<br />

tatsächlichen Machtfülle, die e<strong>in</strong>gebunden war <strong>in</strong> do-ut-des-Gleichgewichte <strong>der</strong> Klientelgesellschaft <strong>Die</strong> Aussage,<br />

dass Grundbesitz mit die wichtigste Machtressource des Landes war, ist richtig. Doch ist <strong>der</strong> Grundbesitz abseits <strong>der</strong><br />

Reichweite des Hofes weitgehend dezentral wie es Bobek 236 im Zusammenhang mit se<strong>in</strong>er schon angesprochenen<br />

thodisch und didaktisch ebenfalls im genannten S<strong>in</strong>ne zu wünschen übrig lässt. <strong>Die</strong>se Texte können ebenso kontrastiv zu<br />

neueren mehrschichtig-reflexiven wissenschaftlichen Ansätzen im Unterricht kritisch ausgewertet werden.<br />

231<br />

Zitat aus e<strong>in</strong>em Schülerreferat. Vgl. Vorbemerkung zum Abschnitt 3.1.1.<br />

232<br />

In an<strong>der</strong>en theologischen Kontexten wurde das Eigentum des Herrschers letztlich <strong>als</strong> Stellvertretung für das Eigentum<br />

Gottes an se<strong>in</strong>er Schöpfung bzw. das universale Eigentum <strong>der</strong> umma verstanden. Das legitimierte auch die große Bedeutung<br />

<strong>der</strong> vaqf-Län<strong>der</strong>eien, die <strong>als</strong> »fromme Stiftungen« <strong>der</strong> Selbstverwaltung Unterlagen und sich dem zentralen Zugriff<br />

meist effektiv entziehen konnten.<br />

233<br />

234<br />

ibid.<br />

Zitat aus e<strong>in</strong>em Schülerreferat. Vgl. Vorbemerkung zum Abschnitt 3.1.1.<br />

235<br />

236<br />

Hierbei müssten religiöse Legitimationsstrukturen mit gedacht werden, die Realität nicht begründen aber e<strong>in</strong>e stabilisierende<br />

Funktion im Machtprozess e<strong>in</strong>nehmen.<br />

Bobek 1959. Vgl. auch Beckett 1957; Beckett / Gordon 1966; Beheschti 1961; Naraghi 1957.<br />

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