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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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2. Perspektiven <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung unter den Bed<strong>in</strong>gungen<br />

e<strong>in</strong>er politischen Krisensituation<br />

Analyse nur schwer erschließt. Dass Nationalmythen ganz bewusst im Interesse <strong>der</strong> jeweiligen Herrschaft<br />

konstruiert und durchgesetzt werden können, zeigen die europäischen Nationalmythen vor allem des 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts. E<strong>in</strong> Beispiel ist <strong>der</strong> Kossovo-Mythos <strong>der</strong> Serben, <strong>der</strong> erst im Zerfallsprozess Jugoslawiens durch<br />

aktuelle Machtkonflikte neu konzipiert und im Bürgerkrieg funktionalisiert worden ist.“ [Voigt 2002:22-23 170 ]. Dazu<br />

schreibt Wiegenste<strong>in</strong> [1998] im Katalog zur Berl<strong>in</strong>er Ausstellung über europäische Nationalmythen:<br />

„Von Opfern son<strong>der</strong> Zahl künden die Bil<strong>der</strong> weiß Gott, <strong>der</strong> aus dem Französischen <strong>als</strong> ‚Solidargeme<strong>in</strong>schaft‘<br />

mo<strong>der</strong>n übersetzte Term<strong>in</strong>us würde hierzulande wohl eher ‚Schicks<strong>als</strong>geme<strong>in</strong>schaft‘ heißen und hätte damit<br />

se<strong>in</strong>e Unschuld verloren. Was so schlecht gar nicht wäre. Denn diese ‚Mythen‘ waren nur <strong>in</strong>soweit<br />

‚unschuldig‘, <strong>als</strong> ihre Erf<strong>in</strong><strong>der</strong>, Intellektuelle zumeist: Historiker, Pamphletisten, Künstler, 171 sich im Recht<br />

wähnten, wenn sie sich die geschichtlichen o<strong>der</strong> legendären Ereignisse herauspicken (auf fünf für jedes Land<br />

haben sich die Katalogautoren gee<strong>in</strong>igt: Gerechtigkeit schafft Frieden), die den eigenen nationalen Anspruch<br />

begründen sollten und den an<strong>der</strong>er Nationen abzuweisen geeignet waren. Der ‚Kult <strong>der</strong> Geschichte‘ und <strong>der</strong><br />

‚Kult <strong>der</strong> Nation‘ seien unzertrennlich, schreiben die Historiker Etienne François und Hagen Schulz <strong>in</strong> ihrem<br />

geme<strong>in</strong>samen Essay über das ‚emotionale Fundament <strong>der</strong> Nationen‘; auf e<strong>in</strong> verb<strong>in</strong>dliches Gefühl h<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>szenierte Geschichte <strong>als</strong>o, geeignet, ‚Identität, Kont<strong>in</strong>uität und Geme<strong>in</strong>schaft‘ zu bilden. <strong>Die</strong> <strong>der</strong>art ‚erfundene‘<br />

Nation ist untrennbar mit <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> Unabhängigkeit und <strong>der</strong> Ablehnung von frem<strong>der</strong> Herrschaft<br />

verbunden. Wenn es für die häufig zerstrittenen europäischen Nationen e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Fe<strong>in</strong>d gab (schon<br />

seit dem Ende des Römischen Reiches, das, <strong>als</strong> ‚heilig‘ getauft, se<strong>in</strong>e verb<strong>in</strong>dende Kraft noch lange behielt<br />

und folgerichtig bei <strong>der</strong> Herausbildung <strong>der</strong> Nationalmythen ke<strong>in</strong>e Rolle spielte), so ist es <strong>der</strong> Islam, <strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

immerh<strong>in</strong> neun <strong>der</strong> vertretenen Nationen die Rolle des grundbösen Fe<strong>in</strong>ds übernimmt. Natürlich bei den<br />

Österreichern, Serben, Griechen, aber auch bei den Spaniern. <strong>Die</strong> Türken vor Wien – das war nur <strong>der</strong> letzte<br />

Akt e<strong>in</strong>er versuchten Landnahme, die rund ums Mittelmeer viele Jahrhun<strong>der</strong>te <strong>als</strong> Drohung gegenwärtig war.“<br />

Aus diesen Überlegungen ergeben sich zusammenfassend e<strong>in</strong>ige E<strong>in</strong>sichten, die für die Untersuchung <strong>der</strong><br />

Gesellschaftsgeschichte den Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Semiperipherien und für die wissenschaftliche Fundierung <strong>der</strong> Untersuchung<br />

<strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> ausschlaggebend se<strong>in</strong> können.<br />

<br />

<br />

<br />

In den globalen sozio-ökonomischen und politischen Zentren, <strong>in</strong> denen sich historisch gesehen <strong>der</strong> Nation<strong>als</strong>taat<br />

und die Staatsgesellschaft <strong>als</strong> grundlegen<strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierungs- und Homogenisierungsschub entwickelt<br />

hat, ist, hervorgerufen durch die <strong>in</strong> größere Räume <strong>in</strong>tegrierenden ökonomisch-politischen Prozesse<br />

<strong>der</strong> Globalisierung und Universalisierung, die Leistungsfähigkeit des isolierten souveränen Nation<strong>als</strong>taates zur<br />

Bewältigung fundamentaler Probleme und Aufgaben überfor<strong>der</strong>t. Daraus ist die Konsequenz zur Bildung<br />

größerer regionaler E<strong>in</strong>heiten gezogen worden, <strong>der</strong>en gesellschaftliche Entsprechung noch nicht deutlich<br />

geworden ist. Strukturell-historisch ist das durchaus vergleichbar mit den Integrationsbewegungen <strong>der</strong><br />

vor<strong>in</strong>dustriellen und feudalen, vor allem dezentralen Herrschaft zum Nation<strong>als</strong>taat.<br />

Je<strong>der</strong> grundlegende politische Paradigmenwandel, wie immer er auch begründet und hervorgerufen ist, hat tief<br />

greifende Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Figurationen und Machtgleichgewichte. Je<strong>der</strong> Wandel hat<br />

damit »Gew<strong>in</strong>ner« und »Verlierer«. In <strong>der</strong> Zeit unserer Massenkommunikation tritt dieser »Verlierer« stärker<br />

<strong>in</strong>s öffentliche Bewusstse<strong>in</strong> und wird damit auch für Machtause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen konkurrieren<strong>der</strong> Eliten<br />

verfügbar. So entsteht das umfassende Bewusstse<strong>in</strong> vom Staatsversagen und Politikversagen, das weniger<br />

reale Gegebenheiten <strong>als</strong> ideologische Diskurse repräsentiert. Vergrößerung <strong>der</strong> politischen E<strong>in</strong>heiten bedeutet<br />

erhöhte Integrationserfor<strong>der</strong>nisse für die Gesellschaft. <strong>Die</strong>s zu erreichen und durchzusetzen ist die Funktion<br />

von Homogenisierungsprozessen. War <strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> nation<strong>als</strong>taatlichen Homogenisierung die Durchsetzung<br />

von nationalen Symbolen, Mythen und e<strong>in</strong>er sich vere<strong>in</strong>heitlichenden Zivilisation, vor allem aber die<br />

Durchsetzung e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Nation<strong>als</strong>prache, liegen die Schwerpunkte <strong>der</strong> heutigen supranationalen<br />

Integrationsanfor<strong>der</strong>ungen auf <strong>der</strong> Metaebene von Globalisierung <strong>der</strong> Technologie, <strong>der</strong> ökonomischen<br />

Austauschregeln, <strong>der</strong> technischen Metasprachen, vor allem aber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Universalisierung <strong>der</strong> europäischen<br />

›nation build<strong>in</strong>g‹–Prozesse und <strong>der</strong> mit ihr verbundenen rechtlich-politischen Wertkategorien. Gerade dieser<br />

Kontext wird für uns <strong>in</strong> unserer Beschäftigung mit <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> bedeutsam.<br />

Ungleichzeitigkeit <strong>der</strong> Entwicklungen und Ko<strong>in</strong>zidenz <strong>der</strong> gesellschaftlichen Reaktionen bestimmt das Bild<br />

e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>terkulturellen Vergleichs <strong>der</strong> Staatenbildungsprozesse <strong>in</strong> Europa und <strong>in</strong> den Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

Semiperipherien. Hatte die »Dritte-Welt-Bewegung« <strong>der</strong> 60er und 70er Jahre noch die Hoffnung e<strong>in</strong>er<br />

kulturell autochthonen Entwicklungsperspektive für die von <strong>der</strong> europäischen Kolonialherrschaft befreiten<br />

170<br />

171<br />

E<strong>in</strong>e neuere unterrichtsbezogene Untersuchung zum Thema „Mythen“ f<strong>in</strong>det sich bei: Voigt, Gerhard / Nettelmann,<br />

Lothar, 2012: Mythen: Reflexionen und Beispiele. politik unterricht aktuell, Heft 2012<br />

Anm. G.V.: Es handelt sich hier um »Gehilfen <strong>der</strong> Herrschaft«, von Popitz, 1968, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Werk „Prozesse <strong>der</strong><br />

Machtbildung“ <strong>als</strong> »Hilfsorgane <strong>der</strong> Macht« bezeichnet. <strong>Die</strong> ambivalente Rolle <strong>der</strong> Intelligenz im Machtprozess,<br />

e<strong>in</strong>mal <strong>als</strong> <strong>in</strong> den eigenen Lebensperspektiven von <strong>der</strong> Herrschaft abhängig, zum an<strong>der</strong>en <strong>als</strong> <strong>in</strong> ihrem Wert für jede<br />

Herrschaft von bestimmten Herrschaftskontexten unabhängig und letztlich <strong>in</strong> den verfügbaren »Produktionsmitteln«<br />

d.h. <strong>in</strong> ihrer Intelligenz und Kompetenz nicht zu enteignen (nur zu vernichten) und <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne für die Herrschaft<br />

immer suspekt und potentiell subversiv, wäre e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>gehen<strong>der</strong>en Untersuchung wert.<br />

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