03.06.2014 Aufrufe

Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

3. <strong>Die</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>in</strong> Zeiten <strong>der</strong> <strong>Revolution</strong><br />

s<strong>in</strong>d, gerne <strong>als</strong> E<strong>in</strong>stiegs- und Motivationsphasen benutzt werden. Nur drückt sich hier ke<strong>in</strong>eswegs das Interesse aus,<br />

was sich <strong>in</strong> den Begründungen des Themas für den Schulunterricht durch die befragten Lehrer feststellen ließ.<br />

Das Schüler<strong>in</strong>teresse ist mit dem Schlagwort »Exotik« und »Abenteuer« zu umreißen. <strong>Die</strong> psychologischen<br />

H<strong>in</strong>tergründe dieser Interessen, beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pubertät, sollen hier nicht näher aufgerollt werden, es genügt <strong>der</strong><br />

H<strong>in</strong>weis, dass sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zuwendung zur Exotik Verdrängungsprozesse eigener unbewältigter Konflikte<br />

manifestieren, dass – hier auch ideengeschichtlich – <strong>in</strong> <strong>der</strong> Figur des »guten Wilden« e<strong>in</strong>e Projektion eigener<br />

tabuisierter Bedürfnisse und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Figur des »Barbaren« o<strong>der</strong> »Unterentwickelten« die une<strong>in</strong>gestanden Angst vor<br />

<strong>der</strong> Verletzlichkeit <strong>der</strong> eigenen Person und Identität ausdrückt. Unreflektiert diese Schülerbedürfnisse zu befriedigen<br />

und sie <strong>als</strong> »Sachmotivation« zu verkennen, hieße, <strong>der</strong> Schule die Rolle e<strong>in</strong>es Fluchtweges aus <strong>der</strong> Realität<br />

zuzuweisen. <strong>Die</strong> Naivität, mit <strong>der</strong> sich die Schulgeographie diesem Motivationskonflikt zuwendet, erfor<strong>der</strong>t m.E. e<strong>in</strong><br />

Überdenken <strong>der</strong> Rolle dieses Faches im Gesamtcurriculum.<br />

<strong>Die</strong>se Situationsdarstellung <strong>der</strong> didaktischen Dritte-Welt-Begründungen lässt sich wie folgt zusammenfassen:<br />

1. <strong>Die</strong> fachliche Begründung des Themas »Dritte Welt« für den Schulunterricht ist diffus und nicht h<strong>in</strong>reichend;<br />

<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Ansätze s<strong>in</strong>d grundsätzlich erfor<strong>der</strong>lich.<br />

2. <strong>Die</strong> Manipulationspotentiale <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Themenvermittlung s<strong>in</strong>d nicht h<strong>in</strong>reichend deutlich erkannt und<br />

daher gefährlich; dies trifft allgeme<strong>in</strong> auf traditionelle erdkundliche Realitätsdeutungen zu.<br />

3. E<strong>in</strong>e unkritische Wertevermittlung geht an den unmittelbaren Schülerbedürfnissen wie auch den Aufgaben <strong>der</strong><br />

Schule vorbei; moralisierende Themenbegründungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>adäquat.<br />

4. <strong>Die</strong> strukturelle Parallele zwischen den kommunikativen und rezeptiven Problemen <strong>der</strong> »Dritte-Welt-Didaktik«<br />

und <strong>der</strong> notwendigen Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> gesellschaftlichen Diskurse ist herauszuarbeiten.<br />

5. <strong>Die</strong> Dritte-Welt-Perspektive darf nicht <strong>als</strong> isolierbares schulisches Thema verstanden werden, son<strong>der</strong>n bildet<br />

die Struktur- und Wahrnehmungsprobleme im gegenwärtigen Globalisierungsprozess ab.<br />

6. Differenzierung und Distanz s<strong>in</strong>d notwendige Voraussetzung <strong>der</strong> Rezeption <strong>der</strong> Dritte-Welt-Problematik,<br />

<strong>der</strong>en Begrifflichkeit grundsätzlich revidiert werden sollte. 452<br />

So entsteht im schulischen Diskurs über die »Dritte Welt« die Gefahr <strong>der</strong> schieren Reproduktion gesellschaftlicher<br />

Vorurteile vor allem im Geographieunterricht, die mit e<strong>in</strong>igen Stichworten nur kurz angedeutet werden sollen und<br />

die an an<strong>der</strong>er Stelle ausführlicher zu erörtern s<strong>in</strong>d:<br />

1. E<strong>in</strong>e kulturelle Überlegenheitslegende wird vermittelt.<br />

2. <strong>Die</strong> historische Perspektive wird eurozentrisch verzerrt (vgl. Leiris, 1977, S.53 ff.; Ki-Zerbo, 1979, S.23 ff.).<br />

3. E<strong>in</strong> auch <strong>in</strong>nergesellschaftlich wirksamer ethnisch-rassischer Vorurteilskomplex wird aktiviert (vgl.<br />

Gottschalch, 1977, S.35 ff.; Malcolm X, 19689 S.172 f.).<br />

4. Es entsteht e<strong>in</strong> <strong>in</strong>dustriegesellschaftlicher Entwicklungsbegriff, dessen Normierung auch <strong>in</strong>nergesellschaftlich<br />

die Suche nach nicht- o<strong>der</strong> nach<strong>in</strong>dustriellen Perspektiven e<strong>in</strong>schränkt (die daran anknüpfende umfangreiche<br />

Literatur über Ökologie und Industriekultur soll hier nicht aufgeführt werden).<br />

Im Politikunterricht liegen nach den vorliegenden Unterrichtsmaterialen und normativen Vorgaben die Probleme<br />

etwas an<strong>der</strong>s, wobei zu berücksichtigen ist, dass von Unterrichtszeit und zugewiesener Bedeutung des Unterrichtsstoffes<br />

die Dritte-Welt-Thematik den Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern vor allem im Erdkundeunterricht vermittelt wird.<br />

Der Politikunterricht neigt zur stark verallgeme<strong>in</strong>ernden Themenbehandlung zum Thema »Dritte Welt«, <strong>in</strong>dem<br />

Dritte-Welt-Theorien – vor allem die Dependenz-Theorie – abgearbeitet, kaum je aber historisch-soziologisch<br />

distanziert werden. <strong>Die</strong> schon angesprochene Ambivalenz <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>teressen-Orientierung tritt im Politikunterricht<br />

mit allen immanenten Problemen noch deutlicher <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>grund <strong>als</strong> im sich eher auf abstrakt-fachliche<br />

Positionen zurückziehenden Erdkundeunterricht. E<strong>in</strong> Thema wie <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> würde im<br />

konventionellen Politikunterricht ohneh<strong>in</strong> nur punktuell unter Aktualitäts-, Menschenrechts- o<strong>der</strong> ‚Krieg und<br />

Gewalt‘-Perspektive aufgegriffen werden. <strong>Die</strong> Erfahrungen im Politikunterricht zeigen gerade wegen dieser<br />

punktuellen Interessenorientierung die Neigung, an die Stelle <strong>in</strong>tensiverer kontextuell-prozessualer Aufarbeitung<br />

ganz allgeme<strong>in</strong> von regionalen Themen die sofortige Diskussion <strong>der</strong> Probleme zu setzen. Das ist e<strong>in</strong> pädagogischer<br />

Nonsens, da er das Gegenteil von Aufklärung und Emanzipation – es se<strong>in</strong> denn <strong>der</strong> »Emanzipation von <strong>der</strong> Realität«<br />

– setzt und <strong>als</strong> Grundlage <strong>der</strong> Diskussion normative und stereotype Setzungen affirmativ verstärkt o<strong>der</strong> bestenfalls<br />

die »Me<strong>in</strong>ungsheterogenität« <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lerngruppe deutlich macht und gegebenenfalls im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> »Me<strong>in</strong>ung <strong>der</strong><br />

Lehrkraft« homogenisiert. Sehr deutlich wird durch diesen – vielleicht etwas polemisch vorgetragenen – E<strong>in</strong>wurf,<br />

dass die schulische Unterrichtssituation nicht durch beliebige Diskussionsanlässe strukturiert werden kann, son<strong>der</strong>n<br />

dass im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er verän<strong>der</strong>ten Kommunikationskultur Diskussionen <strong>als</strong> substantielle Bestandteile von übergeordneten<br />

Diskursen verstanden und vermittelt werden müssen.<br />

<strong>Die</strong> Behandlung des Themas »Dritte Welt« ohne kritische Berücksichtigung <strong>der</strong> genannten Gefahren wäre e<strong>in</strong><br />

antiaufklärerischer Akt, <strong>der</strong> den Verfassungsgeboten und den Schulgesetzen zuwi<strong>der</strong> läuft.<br />

452<br />

An die Stelle <strong>der</strong> pauschalen Glie<strong>der</strong>ung und Kategorisierung <strong>in</strong> »Drei« bis »Fünf Welten« o<strong>der</strong> rechtliche E<strong>in</strong>ordnungen<br />

<strong>der</strong> UN wie LDC, LLDC, MSAC, sollten variablere und prozessoffenere begriffliche Kategorien treten, wie sie z.B.<br />

Wallerste<strong>in</strong> vorgeschlagen hat. Das Peripherienkonzept hat den Vorteil, dass zentral-periphere Disparitäten gleichzeitig auf<br />

verschiedenen Ebenen <strong>als</strong> globale Disparitäten, Peripherisierungsprozesse und Herausbildung B<strong>in</strong>nenperipherien im prozessualen<br />

Kontext untersucht und beschrieben werden können.<br />

203

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!