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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

Bekleidungsnormen wird wahrgenommen <strong>in</strong> Abhängigkeit von <strong>der</strong> Durchsetzung von Individualisierungsvorstellungen,<br />

die für die Psychogenese <strong>der</strong> Staatsgesellschaft typisch s<strong>in</strong>d. 589<br />

Es ist notwendig, den Symbolgehalt von Kleidung gerade <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividualisierten Gesellschaft auch <strong>in</strong>dividuell-differenzierend<br />

zu betrachten. Letztlich ist auch das Bekenntnis zu e<strong>in</strong>er Religion und die öffentliche<br />

Demonstration von Religiosität – abhängig davon, ob sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Übere<strong>in</strong>stimmung signalisierenden Milieu wie<br />

bei e<strong>in</strong>er Fronleichnamsprozession <strong>in</strong> Bayern o<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Diaspora-Situation wie es für den durchschnittlichen<br />

Muslim <strong>in</strong> Deutschland typisch ist – e<strong>in</strong>e gesellschaftliche Funktionalisierung <strong>der</strong> Gruppennormen <strong>in</strong> mehr o<strong>der</strong><br />

weniger bewusstem Bezug auf die übergeordneten Wert- und Verhaltensnormen <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Kultur <strong>der</strong><br />

„Mehrheitsgesellschaft“. Als solches hat die Religiosität sowohl e<strong>in</strong>en affirmativen, emanzipativen, demonstrativen<br />

o<strong>der</strong> eskapistischen Charakter, <strong>der</strong> sich je nach gesellschaftlichem Kontext und <strong>in</strong>dividueller Prädisposition<br />

aktualisieren kann. <strong>Die</strong>se <strong>in</strong>dividuellen Voraussetzungen s<strong>in</strong>d wie<strong>der</strong>um <strong>in</strong>dividuell zu verstehen und abhängig vom<br />

Sozialisationsprozess.<br />

E<strong>in</strong> wesentlicher Aspekt von Religiosität und Symbolischer Interaktion ist auch ihr ritualisierter Charakter.<br />

Innerhalb <strong>der</strong> öffentlichen Diskurse setzt sich immer wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Verfestigung <strong>der</strong> Positionen und <strong>der</strong> Bedeutungsoptionen<br />

durch, die sich damit e<strong>in</strong>er situativen Neubewertung und kritischen Distanzierung entziehen.<br />

Ritualisiertes Alltagsverhalten trägt <strong>in</strong>dividuell durchaus zur Ordnungssicherheit und zur psychischen Stabilität<br />

durch Konfliktreduktion bei, verfestigt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft jedoch gleichermaßen grundlegende soziale Dichotomien<br />

und verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t Konfliktlösungen durch Diskursverweigerung. Gerade das hier diskutierte Beispiel <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Reaktionen auf die „Kopftuch“-Symbolik ist e<strong>in</strong> Musterbeispiel e<strong>in</strong>es solchen verweigerten Diskurses.<br />

Bezeichnend ist dabei, dass diese Verweigerung e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>terkulturellen Konfliktlösung gerade auch vom Staat und<br />

von den politischen Eliten ausgeht, die sich auf Prädispositionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> öffentlichen <strong>Politischen</strong> Kultur stützen<br />

können.<br />

Damit wird deutlich, dass auch <strong>der</strong> öffentliche Diskurs über konkrete Akte <strong>der</strong> symbolischen Interaktion, die<br />

sich im Alltagsverhalten zeigen, letztlich Elemente von Machtprozessen s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> denen die Machtkonkurrenzen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Gesellschaft zum Ausdruck gebracht werden.<br />

Zur „Kopftuchfrage“ s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige grundsätzliche Überlegungen angebracht, die sich auch an zivilisationstheoretischen<br />

Ansätzen orientieren. Lothar Nettelmann hat darüber e<strong>in</strong>en aufschlussreichen Artikel verfasst, 590 den wir<br />

<strong>als</strong> zusätzliches Unterrichtsmaterial für den unterrichtspraktischen Anhang vorschlagen (vgl. „Verzeichnis mit<br />

vorgeschlagenen Unterrichtsmaterialien“. 591<br />

In den vergangenen Jahren hat sich zunehmend e<strong>in</strong>e Diskussion um das Tragen des so genannten<br />

»islamischen« Kopf-tuchs vor allem im staatlichen Bereich entwickelt, zum Beispiel bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stellung von<br />

muslimischen Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> den Schuldienst, aber auch <strong>in</strong> Bezug auf vermutete Aus­grenzungen o<strong>der</strong><br />

familiale Unterdrückungen bei muslimi-schen Schüler<strong>in</strong>nen. <strong>Die</strong>s betrifft wesentlich die westeuropäischen<br />

Gesellschaften aber auch die <strong>in</strong>nerarabische Diskussion, z.B. <strong>in</strong> Ägypten und <strong>in</strong> <strong>der</strong> laizistischen Türkischen<br />

Republik. E<strong>in</strong>en erheblichen politischen Stellenwert beobachten wir <strong>in</strong> Frankreich und Deutschland. Durch<br />

e<strong>in</strong>e Entwicklung <strong>in</strong> Richtung zunehmen<strong>der</strong> und spezifizieren<strong>der</strong> Verrechtlichung drängt die Diskussion <strong>in</strong> den<br />

Raum <strong>der</strong> Schule <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Maße und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise, die es geboten ersche<strong>in</strong>en lassen, die Diskussion<br />

differenziert und sachadäquat zu führen.<br />

Das staatliche – obrigkeitliche – Interesse an e<strong>in</strong>er Fixierung entsprechen<strong>der</strong> Rechtsnormen zielt letztlich auf<br />

die Durchsetzung e<strong>in</strong>er kulturellen Vere<strong>in</strong>heitlichung, e<strong>in</strong>er „Homogenisierung“ <strong>der</strong> Gesellschaft, die die entsprechende<br />

staatliche Herrschaft legitimiert und festigt. Der öffentliche Diskurs hat sich dabei tendenziell<br />

fortentwickelt von <strong>der</strong> bisherigen Ebene, die mit den traditionellen Wert-Kategorien des toleranten<br />

Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft und des kommunikativen Austauschs zwischen<br />

den <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft vorf<strong>in</strong>dlichen unterschiedlichen Kulturen zu beschreiben ist. Es ist dabei nachrangig, <strong>in</strong><br />

wie weit diese Entwicklung Ausdruck und Ergebnis e<strong>in</strong>es ‚normal‘ verlaufenden Diskussionsprozesses ist.<br />

Ebenso möglich ist e<strong>in</strong>e bewusst <strong>in</strong>tendierte Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit e<strong>in</strong>er verän<strong>der</strong>ten Qualität <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Kontexte <strong>in</strong> Wechselwirkung mit <strong>in</strong>nergesellschaftlichen Spannungen zwischen etablierten<br />

Bevölkerungsgruppen e<strong>in</strong>erseits und Außenseitern an<strong>der</strong>erseits wie z.B. <strong>in</strong> Frankreich.<br />

Nettelmann führt aus, dass <strong>der</strong> problematische Interpretationsansatz, <strong>der</strong> zu weit ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>liegenden Ergebnissen<br />

zwischen e<strong>in</strong>er sozialwissenschaftlich-historischen und e<strong>in</strong>er aktualistisch-politischen führt, <strong>in</strong> dem une<strong>in</strong>deutigen<br />

und <strong>in</strong>terpretationsbedürftigen Charakter des Symbols bzw. des Bedeutungscodes alltäglicher Verhaltensorientierungen<br />

liegt.<br />

589<br />

590<br />

591<br />

Wesentliche Ausführungen f<strong>in</strong>den sich dazu bei Breuer 1993, Engler 1993 und vor allem Wouters 1994<br />

Veröffentlicht <strong>in</strong> „politik unterricht aktuell“ Heft 1/2003. »Interkulturelle Konflikte«. S 1-10. Hannover, 2004.<br />

ISSN 0945-1544<br />

Vierte Unterrichtskonzeption: Material 08a. Wissenschaftspropädeutisches Arbeiten am Beispiel <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>Iran</strong><br />

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