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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

<strong>in</strong>ungen negiert und verdrängt. Gerade diese dynamische Sicht von Gesellschaft, die schon von Popitz e<strong>in</strong>gefor<strong>der</strong>t<br />

wurde, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> schon erwähnten grundlegenden Arbeit zur Sozialen Ungleichheit nicht von Machtstrukturen o<strong>der</strong><br />

-hierarchien, son<strong>der</strong>n explizit vom Machtprozess und den „Prozessen <strong>der</strong> Machtbildung“ spricht. Mit <strong>der</strong> Realitätssicht,<br />

dass Macht, Herrschaft und Soziale Ungleichheit ke<strong>in</strong>e feststehenden Entitäten, son<strong>der</strong>n Stationen <strong>in</strong> Entwicklungsprozessen<br />

und Balancen s<strong>in</strong>d, verb<strong>in</strong>det sich die grundlegende E<strong>in</strong>sicht, dass e<strong>in</strong> Verständnis dieser Prozesse<br />

nur unter E<strong>in</strong>beziehung <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong> Prozesse <strong>der</strong> gesellschaftlichen Durchsetzung und Legitimierung, <strong>als</strong>o<br />

durch E<strong>in</strong>beziehung mentaler S<strong>in</strong>ngebungen und Topoi <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Kultur möglich ist. Hier berührt sich <strong>in</strong><br />

diskursiver Form soziologische und kulturwissenschaftliche Analyse.<br />

Das soziologische Verständnis <strong>der</strong> Sozialen Ungleichheit zeigt uns das grundsätzliche Problem, mit Diskursen<br />

umzugehen und diese sachgerecht e<strong>in</strong>zuordnen, sehr deutlich. Gerade dadurch, dass diskursorientiertes Arbeiten,<br />

und damit e<strong>in</strong>e diskursive Didaktik, darauf verzichten (müssen), kategoriale und normative Vorentscheidungen zu<br />

treffen, da Kategorien und Normen diskursiv entwickelt, bestätigt und <strong>in</strong> ihrer Gültigkeit umgesetzt werden sollen,<br />

s<strong>in</strong>d zunächst e<strong>in</strong>mal neue Diskurse amorph, unstrukturiert und nicht ersichtlicht dist<strong>in</strong>ktiv. »Gesellschaft, Macht<br />

und Soziale Ungleichheit« müssen daher zunächst diskursiv erschlossen werden, ehe ihre rational-analytische,<br />

kategoriale und didaktische Eignung herausgearbeitet werden können.<br />

Dass mehrfach <strong>der</strong> Grundbegriff <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>als</strong> im rational-analytischen S<strong>in</strong>ne unbrauchbar und ohne<br />

notwendige Trennschärfe gesehen werden muss, 469 verlangt vom gesellschaftlichen Diskurs wesentliche Konkretisierungs-<br />

und Differenzierungsleistungen. E<strong>in</strong> diskursiver Weg dazu ist <strong>der</strong> Versuch e<strong>in</strong>er Verständigung darüber,<br />

welches semantische Umfeld die Kategorie Gesellschaft <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Kultur und des historischen Ortes ihres<br />

Gebrauchs transportiert. Hier wird deutlich, dass nicht nur sozialwissenschaftliche Verständnis- und Def<strong>in</strong>itionsprobleme<br />

evident werden, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> umgangssprachliche Gebrauch des Begriffes »Gesellschaft« im<br />

<strong>in</strong>terkulturellen Vergleich wesentliche Unterschiede aufweist, bis dah<strong>in</strong>, dass adäquate Übersetzungen dieses Begriffes<br />

<strong>in</strong> den Sprachen <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Peripherien und Semiperipherien schwer möglich s<strong>in</strong>d. »Gesellschaft« <strong>in</strong> den<br />

»westlichen Industriestaaten« impliziert e<strong>in</strong> Verständnis e<strong>in</strong>er erkennbaren, strukturierten und durch Zusammengehörigkeitswahrnehmungen<br />

abgrenzbaren Bevölkerung; <strong>in</strong>sofern nähert sich im umgangssprachlichen Bereich <strong>der</strong><br />

Begriff »Gesellschaft« e<strong>in</strong>mal den Begriffen »Volk« und »Nation« und ist zum an<strong>der</strong>en semantisch mit dem <strong>in</strong><br />

Europa historisch gewordenen »Nation<strong>als</strong>taat« eng verbunden (Gesellschaft <strong>als</strong> »Staatsgesellschaft«). In den<br />

Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Peripherien und Semiperipherien muss <strong>der</strong> Begriff »Gesellschaft« auch im Blick von außen her<br />

wesentlich offener und ohne explizite staatliche Konnotation verstanden werden <strong>als</strong> Beschreibung augenblicklicher<br />

Kontexte des Zusammenlebens. An die Stelle <strong>der</strong> staatsgesellschaftlichen Strukturierungen und Hierarchisierungen<br />

<strong>in</strong> Europa und an<strong>der</strong>en Industrielän<strong>der</strong>n, die e<strong>in</strong>e bedenkenswerte Beschreibung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Systemtheorie Luhmanns<br />

f<strong>in</strong>den, treten gentile, kulturelle, religiöse und geschichtliche, d.h. oral vermittelte, Selbstvergewisserungen <strong>als</strong><br />

»B<strong>in</strong>dekräfte <strong>der</strong> Gesellschaft« auf. E<strong>in</strong> <strong>in</strong>terkultureller Diskurs über Gesellschaft wird nicht nur im traditionellen<br />

soziologischen S<strong>in</strong>ne die Machtprozesse und Herrschaftsdurchsetzungen befragen und zum Vergleich br<strong>in</strong>gen,<br />

son<strong>der</strong>n wird ganz entscheidend die unterschiedlichen Selbstvergewisserungen <strong>als</strong>, wie schon gesagt: »B<strong>in</strong>dekräfte<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft« <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>grund rücken. Dass dies <strong>in</strong> hohem Maße reflexive und selbstreferentielle Diskurse<br />

evoziert, ist nach dem Gesagten evident und e<strong>in</strong>e reizvolle Aufgabe für die didaktische Praxis <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong><br />

Bildung.<br />

4.1.3. <strong>Die</strong> Gesellschaft <strong>Iran</strong>s: Soziale Ungleichheit im<br />

»Mo<strong>der</strong>nisierungsprozess«<br />

<strong>Die</strong> Charakterisierung <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>Iran</strong>s durch die europäische Wissenschaft, die für die ältere Zeit hier nicht<br />

eigens referiert werden soll, ist wi<strong>der</strong>sprüchlich und nicht frei von Missverständnissen und Stereotypen. Es fällt auf,<br />

dass die gewählten Kategorien und Charakteristika jeweils ausgehend von e<strong>in</strong>em bestimmten – fachlichen o<strong>der</strong><br />

politischen – Erkenntnis<strong>in</strong>teresse, bestimmte Züge entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> sozioökonomischen Situation o<strong>der</strong> des Herrschaftssystems<br />

<strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>grund gestellt haben.<br />

Es wäre e<strong>in</strong> verfehltes Bild <strong>der</strong> Geschichte, zunächst von relativ festen Völkern und Kulturen auszugehen. Wie<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft selbst, ist vorf<strong>in</strong>dliche Kont<strong>in</strong>uität das Erklärungsbedürftige, prozessuale und fluktuierende<br />

Entwicklungen das zu Erwartende. In diesem S<strong>in</strong>ne ist es schon e<strong>in</strong> historischer Mythos, von e<strong>in</strong>er Geschichte <strong>Iran</strong>s<br />

zu sprechen. Ebenso ist es wenig hilfreich, von e<strong>in</strong>em iranischen o<strong>der</strong> persischen Volk, e<strong>in</strong>er über lange Zeiträume<br />

h<strong>in</strong>weg bestehenden Nation auszugehen. Das trifft die Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> Geschichte des Raumes und <strong>der</strong> Bevölkerung,<br />

die wir heute <strong>Iran</strong> nennen, nicht.<br />

Auch die globale Perspektive birgt realitätsverfälschende ideologische Gefahren, wenn sie statisch o<strong>der</strong><br />

vorwiegend <strong>als</strong> kont<strong>in</strong>uierliche Entwicklung o<strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung begriffen wird. Ob von e<strong>in</strong>em Modell <strong>der</strong> drei<br />

o<strong>der</strong> vier Welten ausgegangen wird, <strong>in</strong> dem <strong>Iran</strong> <strong>der</strong> Status <strong>als</strong> Entwicklungs- o<strong>der</strong> Schwellenland zugewiesen wird,<br />

o<strong>der</strong> ob die zentral-peripheren Suprastrukturen im Weltsystem Wallerste<strong>in</strong>s <strong>als</strong> ausschlaggebend verstanden werden,<br />

<strong>in</strong> denen <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> semiperiphere Region den Inkorporationsprozessen <strong>der</strong> Weltökonomie unterworfen ist, <strong>in</strong> beiden<br />

469<br />

So von E.-A. Roloff im mündlichen Gespräch.<br />

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