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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

ist ihnen nicht zu Kopf gestiegen«. <strong>Die</strong>s ist e<strong>in</strong> Musterbeispiel für e<strong>in</strong>e zwar subjektiv ehrliche, aber dem Sachverhalt<br />

gegenüber <strong>in</strong>adäquate Darstellung.<br />

Für den didaktischen Kontext ist es hier notwendig hervorzuheben, dass Bestseller wie Scholl-Latours »Allah<br />

ist mit den Standhaften« <strong>als</strong> e<strong>in</strong>führende Lektüre für Lehrer und Schüler regelmäßig empfohlen wird und sicherlich<br />

zu den ersten Quellen gehört, wenn Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler Referate über das Thema Islam o<strong>der</strong> <strong>Iran</strong> anfertigen<br />

o<strong>der</strong> sich aus eigenem Interesse o<strong>der</strong> im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Vor- o<strong>der</strong> Nachbereitung des Unterrichts zu Hause über diese<br />

Themen <strong>in</strong>formieren wollen.<br />

Journalistische Darstellungen, unter denen Scholl-Latour durch Kenntnisreichtum, Vielzahl <strong>der</strong> journalistischen<br />

Kontakte und Gesprächspartner und erkennbarem Interesse an se<strong>in</strong>em <strong>Gegenstand</strong> durchaus positiv hervortritt,<br />

bestimmen das Bild, das sich die Öffentlichkeit <strong>in</strong> Europa von den Weltereignissen macht. Dabei wird oft<br />

nicht deutlich genug erkannt, dass die Wahrnehmungsmaßstäbe, die diesen Darstellungen zu Grunde liegen, zu<br />

e<strong>in</strong>em erheblichen Teil den Ressourcen an Deutungsmustern, die die Politische Kultur bereit stellt, – <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Kulturwissenschaft wäre es zu bezeichnen <strong>als</strong> Zeichenarsenal – unüberprüft entnommen s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong>se Ressourcen an<br />

Deutungen und Vorverständnissen umfassen auch den Komplex <strong>der</strong> orientalistischen Stereotypen, denen, wie schon<br />

dargelegt, Said auf <strong>der</strong> Spur ist.<br />

Vertiefen wir dies noch e<strong>in</strong>mal mit e<strong>in</strong>em Zitat aus den gleichen Reiseer<strong>in</strong>nerungen von Scholl-Latour, bei<br />

dem noch deutlicher wird, <strong>in</strong> wie starker Weise Vorerwartungen für die Realitätsbeurteilung e<strong>in</strong>e Rolle spielen<br />

(Hervorhebungen von G.V.):<br />

„Zum erstenmal seit me<strong>in</strong>er Ankunft <strong>in</strong> Nordafrika betrete ich e<strong>in</strong>e Med<strong>in</strong>a ohne die ger<strong>in</strong>gste Beklemmung<br />

und ohne böse Vorahnung. Wie unendlich weit ersche<strong>in</strong>t hier die erstickende Kasbah von Algier. Im<br />

Vorbeigehen fällt mir plötzlich auf, dass über den meisten Buden und maurischen Cafes neben dem Bild des<br />

Staatspräsidenten Bourguiba und den roten tunesischen Fähnchen auch regelmäßig <strong>der</strong> grün-weiße Wimpel<br />

<strong>der</strong> algerischen Befreiungsfront flattert und dass aus sämtlichen Lautsprechern die feierlich beschwörende<br />

Stimme des Radio-Kommentators von Kairo tönt.“ (Scholl-Latour 1983: 262.)<br />

Sehr deutlich kann jetzt im Rückblick gesagt werden, dass sich die emotionalen Reaktionen von Scholl-Latour aus<br />

den Erfahrungen <strong>in</strong> Algier, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stadt im Bürgerkrieg zu se<strong>in</strong>, herleiten – die Kašbah von Algier <strong>in</strong> Friedenszeiten<br />

gehört zu den idyllischen und heimeligen mediterran-islamischen Stadtlandschaften, <strong>der</strong> nur e<strong>in</strong>e Vielzahl<br />

von Märchen, Fabeln, Erzählungen und Gerüchten und die Er<strong>in</strong>nerung an e<strong>in</strong>e blutige Geschichte e<strong>in</strong>en leicht<br />

verruchten Charakter auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorstellungswelt älterer Algerier verleiht –; <strong>der</strong> Text wirkt heute beim Leser aber<br />

an<strong>der</strong>s, das Gefühl des Autors löst sich aus dem situativen Kontext und wird attributiv zum <strong>Gegenstand</strong>, den Städten<br />

Algier und Tunis, damit den Län<strong>der</strong>n Algerien und Tunesien aufgenommen. <strong>Die</strong> Wahrnehmung wechselt unbemerkt<br />

ihren bezeichneten <strong>Gegenstand</strong>.<br />

Aber Scholl-Latour besucht vor allem auch <strong>Iran</strong>. Se<strong>in</strong>e Darstellung <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> ist <strong>in</strong><br />

unserm jetzigen Kontext noch unerheblich. Wichtiger ist hier aufzuzeigen, mit welcher Wahrnehmung er <strong>Iran</strong><br />

begegnet. Bezeichnend ist hier daher vor allem die Schil<strong>der</strong>ung se<strong>in</strong>er ersten E<strong>in</strong>reise nach <strong>Iran</strong> auf dem Landwege<br />

über die Türkei bei Doğubayazit/Maku (Hervorhebungen von G.V.). 45<br />

Aber jetzt war ich im <strong>Iran</strong> angekommen, und die Stimmung hatte sich schlagartig verän<strong>der</strong>t. „Ich saß im<br />

Garten <strong>der</strong> iranischen Grenzstation und beobachtete e<strong>in</strong>en grotesken persischen Polizisten, <strong>der</strong> barfuß mit<br />

hochgekrempelten Hosenbe<strong>in</strong>en wie <strong>der</strong> Storch im Salat durch herrliche Blumenbeete stelzte und se<strong>in</strong>e<br />

Gießkanne leerte. Auf dem Kopf trug er würdevoll e<strong>in</strong>e schwarze Pickelhaube mit blitzen<strong>der</strong> Spitze und dem<br />

goldenen iranischen Löwen. Der persische Grenzkommissar, e<strong>in</strong> stoppelbärtiger Polizist, merkte, wie ich mich<br />

über se<strong>in</strong>en Gärtner amüsierte. »Wir s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e wilden Berserker wie unsere türkischen Freunde nebenan«,<br />

sagte er <strong>in</strong> fließendem Englisch. »Ich stamme aus Schiras, <strong>der</strong> Stadt <strong>der</strong> Rosen und Gedichte. Wenn ich schon<br />

nach Aserbeidschan verbannt b<strong>in</strong>, so will ich wenigstens von Blumen umgeben se<strong>in</strong>.« E<strong>in</strong> zerlumpter <strong>Die</strong>ner<br />

erneuerte ständig den Tee <strong>in</strong> unseren Tassen, während e<strong>in</strong> kurzsichtiger Schreiber mit seltsam verbogenen<br />

Schriftzeichen e<strong>in</strong>e Seite nach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Paß füllte. Der Grenzbeamte erzählte mir von e<strong>in</strong>em<br />

fünfhun<strong>der</strong>tseitigen Gedichtband, den er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>samkeit – umgeben von türkisch und kurdisch<br />

sprechenden Barbaren – verfaßt hatte und strich mit dem Fuß den schweren, handgewobenen Teppich grade.“<br />

(Scholl-Latour 1983: 98.)<br />

Das Sprachniveau entspricht dem e<strong>in</strong>er guten Schülerzeitung; die Ironie <strong>der</strong> Beschreibung sche<strong>in</strong>t Selbstzweck zu<br />

se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>ige Informationen s<strong>in</strong>d dennoch aufzunehmen und zu reflektieren, vor allem die – <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Berichten<br />

immer wie<strong>der</strong> bestätigte und auch vom Verfasser selbst beobachtete – Stereotyphaftigkeit <strong>der</strong> gegenseitigen Wahrnehmung<br />

von Türken und Persern, auch, und das sei hier nur am Rande erwähnt, die beson<strong>der</strong>e Selbstbeschreibung<br />

des Širazi, die e<strong>in</strong>en ganzen Komplex stereotyper Regionalidentitäten <strong>in</strong> Persien anreißt. 46<br />

45<br />

Von e<strong>in</strong>em gewissen Interesse mag hier vielleicht <strong>der</strong> H<strong>in</strong>weis se<strong>in</strong>, dass ich selbst me<strong>in</strong>e erste E<strong>in</strong>reise nach <strong>Iran</strong> 1970 <strong>in</strong><br />

ebenfalls recht ›journalistischer‹ Form <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Reisebericht über e<strong>in</strong>e Reise mit Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler <strong>der</strong> Bismarckschule<br />

Hannover <strong>in</strong> die Türkei 1996 beschrieben habe, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realitätswahrnehmung doch recht deutlich von <strong>der</strong> Darstellung<br />

von Scholl-Latour abweicht (Voigt 1997).<br />

46<br />

Širaz spielt dabei e<strong>in</strong>e ganz beson<strong>der</strong>e Rolle. „Als Širaz noch Širaz war, war Kairo e<strong>in</strong> Vorort von Širaz.“ In an<strong>der</strong>en Regionen<br />

Persiens gelten Širazi <strong>als</strong> arrogant, überheblich und fanatisch. Im Bazar von Širaz traf ich e<strong>in</strong>en LKW-Fahrer aus<br />

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