03.06.2014 Aufrufe

Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

selbst heraus, wie <strong>in</strong> später abgebrochene Ansätzen se<strong>in</strong>er Blütezeit im 11. und 12. Jahrhun<strong>der</strong>t die Mutazilia<br />

historische Fundamentierungen ermöglicht o<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Muslime im Exil wie Bassam Tibi o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> selbst <strong>der</strong><br />

früh verstorbene Ayatollah Shirazi es <strong>als</strong> mögliche Perspektive andeuten.<br />

4.4.2.5. <strong>Die</strong> „Frauenfrage“: E<strong>in</strong> ungelöstes Problem <strong>der</strong> eigenen <strong>Politischen</strong> Kultur<br />

Warum wird die Thematik „Frauen im <strong>Iran</strong>“ bei uns <strong>in</strong> hohem Maße emotionalisiert geführt? Ich wage hier die<br />

These, dass dies wenig mit <strong>der</strong> Thematik selbst aber viel mit den Brüchen und Versagungserfahrungen <strong>der</strong> eigenen<br />

Geschichte und <strong>Politischen</strong> Kultur zu tun hat. In unserer Kultur ist durchaus noch e<strong>in</strong> traditioneller latenter<br />

Antiislamismus spürbar, dem wir hier nicht vertiefend nachspüren wollen. Er äußert sich an irrationaler Ablehnung<br />

e<strong>in</strong>er Baugenehmigung für e<strong>in</strong>e Moschee <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gewerbegebiet durch die relativ weit entfernt wohnenden<br />

Anlieger, die gegen e<strong>in</strong>e Kirche <strong>in</strong> ihrem unmittelbaren Wohngebiet natürlich nichts e<strong>in</strong>zuwenden haben. Er äußert<br />

sich vor allem auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ablehnung des Kopftuches türkischer bzw. muslimischer Frauen, die kaum e<strong>in</strong>e Chance<br />

haben, im Staatsdienst und vor allem nicht <strong>als</strong> Lehrer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gestellt zu werden.<br />

Für katholische Nonnen im Schuldienst gilt dies natürlich nicht, denn es gibt ja gültige Konkordate, die hier<br />

die religiöse Neutralität des Staates ganz erheblich e<strong>in</strong>schränken. Dass das Kopftuch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er türkischen Form sehr<br />

unterschiedlichen Codierungen entspricht, wird hier nicht wahrgenommen. Gerade im schulischen Bereich besteht<br />

bei den Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern e<strong>in</strong> großes Bedürfnis nach sachlicher Information und Gespräch über so<br />

genannte „Bekleidungsvorschriften“. Und genau diese Ausweitung des Themas muss erreicht werden.<br />

Es gibt ke<strong>in</strong>e Gesellschaft ohne Normen über „richtige“ (angemessene, sittliche) und „f<strong>als</strong>che“ (unangemessene)<br />

Kleidung; und ke<strong>in</strong>e Gesellschaft kann hier überzeugende „rationale“ Gründe nennen, da Kleidungsvorschriften<br />

grundsätzlich historisch entwickelte kulturelle Normen s<strong>in</strong>d, die immer <strong>der</strong> Kommunikation über<br />

„richtiges Verhalten“ und „soziale Stellung“ <strong>der</strong> Betroffenen dienen. Menschen werden zwangsläufig durch symbolische<br />

Interaktion bewertet und e<strong>in</strong>bezogen. Man muss nur die Codizes kennen und deuten, was bei kulturell<br />

gemischten Gesellschaften nicht leicht ist und zu sozialer Des<strong>in</strong>tegration führen kann.<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler gehen meist von e<strong>in</strong>er unbeschränkten „Freiheit“ des Auftretens und <strong>der</strong> Kleidung<br />

aus. Ihr Konkurrenzkampf um „Markenklamotten“ <strong>als</strong> Teil des Rangwettbewerbs spricht aber objektiv gegen die<br />

subjektive Überzeugung. Und dass man nicht unbekleidet o<strong>der</strong> im Bik<strong>in</strong>i zur Schule kommt, gilt unbefragt <strong>als</strong><br />

selbstverständlich. <strong>Die</strong> postulierte Freiheit ist e<strong>in</strong> Spiel mit Normen und Grenzen, das zur Rollenf<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> eigenen<br />

Person beiträgt. <strong>Die</strong>ses Spiel ist jedoch niem<strong>als</strong> tatsächlich „frei“, son<strong>der</strong>n ordnet sich gesellschaftlichen Fremdzwängen<br />

unter. Das „Kopftuch“ ist daher nur e<strong>in</strong> fremdes Signal, mit dessen sozialer Implikation man nicht<br />

identifiziert werden möchte – es sei denn, dass die türkische Schüler<strong>in</strong> ganz bewusst ihre türkisch-islamische<br />

Identität betonen möchte. Auch dazu hat sie e<strong>in</strong> unbestrittenes Recht.<br />

<strong>Die</strong> subjektive Ablehnung durch die deutsche Gesellschaft wird jedoch zunächst noch verwun<strong>der</strong>licher, dann<br />

aber sozialpsychologisch verständlich, wenn wir uns vor Augen führen, dass die Generation <strong>der</strong> vor dem Ersten<br />

Weltkrieg Geborenen, an die ältere Deutsche <strong>in</strong> <strong>der</strong> Person ihrer Großeltern noch sehr konkrete Er<strong>in</strong>nerungen haben,<br />

recht strikte Bekleidungsvorschriften e<strong>in</strong>hielten, zu denen die Kopfbedeckung beim Verlassen des Hauses<br />

unabd<strong>in</strong>gbar dazu gehörte. Der Verfasser er<strong>in</strong>nert sich gut an ältere bürgerliche Frauen aus se<strong>in</strong>er Familie, die<br />

immer e<strong>in</strong>en Hut mit schwarzem Augenschleier trugen. Gliedmaßen unbedeckt zu lassen war auch zu Hause kaum<br />

denkbar. Erst die Elterngeneration „revoltierte“ dagegen mit Kopftuch bzw. Baskenmütze.<br />

Und die Generation des Verfassers? Er selbst besitzt we<strong>der</strong> Hut noch Mütze und trägt auch ke<strong>in</strong>e Krawatten –<br />

vielleicht ist hier <strong>der</strong> emotionale Protestcharakter noch zu deutlich und wie<strong>der</strong> etwas extravagant im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er<br />

extremen Individualisierung.<br />

Aber die Lockerung <strong>der</strong> „bürgerlichen Kleidungsvorschriften“ seit den 20er Jahren zwischen den Weltkriegen<br />

war ganz bewusst Teil e<strong>in</strong>es Kampfes um soziale <strong>Revolution</strong> und um Frauenemanzipation. <strong>Die</strong> Codierung <strong>der</strong><br />

heutigen bürgerlichen Kleidung <strong>in</strong> Deutschland ist ebenso nur <strong>als</strong> Interpretation des Kampfes um Emanzipation und<br />

des gesellschaftlichen Wandels zu verstehen. Damit wird das Kopftuch grundsätzlich <strong>als</strong> Symbol <strong>der</strong> Unterordnung<br />

und Demütigung verstanden, das es objektiv gesehen nicht ist. 584<br />

Warum s<strong>in</strong>d diese Überlegungen von didaktischer Bedeutung? In <strong>der</strong> Schülerschaft herrscht die unreflektierte<br />

Wahrnehmung vor, dass es <strong>in</strong> Bezug auf Kleidung und Alltagsverhalten <strong>in</strong> <strong>der</strong> eigenen Gesellschaft eher ke<strong>in</strong>e<br />

Vorschriften gäbe; Normen werden entwe<strong>der</strong> situativ verstanden („dem Anlass entsprechend gekleidet zu se<strong>in</strong>“)<br />

o<strong>der</strong> den Bestimmungshierarchien Familie o<strong>der</strong> Schule zugeordnet und mehr o<strong>der</strong> weniger bewusst befolgt. Das<br />

Thema Modezwänge wird zwar <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule <strong>in</strong> den Fächern Politik, Werte und Normen (Ethik), Kunst und Deutsch<br />

punktuell thematisiert, aber eher den sozialen Verhaltenskontexten und weniger dem normativen Zwangsaspekt für<br />

den E<strong>in</strong>zelnen zugeordnet.<br />

Es herrscht <strong>als</strong>o tendenziell e<strong>in</strong>e recht e<strong>in</strong>geschränkte Sicht <strong>der</strong> Realität vor, die das eigene E<strong>in</strong>gebundense<strong>in</strong><br />

beschönigt und e<strong>in</strong>er geglaubten Freiheitsideologie unterwirft. In manchen Fällen geht das sogar Schüler<strong>in</strong>nen und<br />

584<br />

Vgl. die Ausführungen von Fanon zur revolutionären Codierung <strong>der</strong> traditionalen Bekleidung im algerischen Befreiungskampf<br />

<strong>in</strong> Fanon, Frantz, 1969: Aspekte <strong>der</strong> algerischen <strong>Revolution</strong>. edition suhrkamp 337. Frankfurt a. M. {Sociologie<br />

d’une révolution. Paris, 1968, Maspero}.<br />

264

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!