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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

vermieden werden muss, durch e<strong>in</strong>e solche Begriffsbildung historische Kont<strong>in</strong>uitäten vielleicht bis h<strong>in</strong>unter zum<br />

alten Perserreich <strong>in</strong> Anspruch zu nehmen, wo dieser Begriff erst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kontrastierung mit neuzeitlichen Herrschaftsmodellen<br />

Europas e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n macht und im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> orientalistischen Rückbezüglichkeiten und vor<strong>der</strong>asiatischen<br />

Adaptionen europäischer Perspektiven erst verfestigt wurde (vgl. wie<strong>der</strong>um Said 1981). Der Begriff <strong>der</strong><br />

orientalischen Despotie impliziert das Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er über den sozialen Fraktionen und Konfliktgruppen<br />

liegenden quasi-staatlichen Herrschafts- und Regelungsebene. Doch gerade das wird heute für <strong>Iran</strong> bestritten:<br />

„Vor allem P. Vieille (1975, 171) hat mit großer E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichkeit dargestellt, dass im <strong>Iran</strong> <strong>der</strong> Staat ke<strong>in</strong>e den<br />

Gesamtzusammenhang regelnde Institution war, son<strong>der</strong>n dass er restlos <strong>in</strong> die dauernde und tödliche Rivalität<br />

<strong>der</strong> Klientelgruppen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gezogen wurde. Wenn dies zutreffend ist, dann s<strong>in</strong>d die Straßenkämpfe das Mittel,<br />

um Machtverhältnisse zwischen den Klientelgruppen <strong>der</strong> Prüfung zu unterziehen. In den Straßenkämpfen 473<br />

zeigt sich, wer den politischen Vorrang hat.“ (Kippenberg 1981.)<br />

Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ist dem aus <strong>Iran</strong> stammenden Autor Gholamassad e<strong>in</strong>e provozierende Begriffsbildung <strong>als</strong><br />

kritische Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit erkannten politisch-gesellschaftlichen Fehlentwicklungen <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> und die damit<br />

verm<strong>in</strong><strong>der</strong>te analytische Distanzierung eher zuzubilligen <strong>als</strong> e<strong>in</strong>em europäischen Orientalisten.<br />

„Edward Saids Orientalismuskritik gab hier entscheidende erste Anstöße. Der Orient wurde über Jahrhun<strong>der</strong>te<br />

h<strong>in</strong>weg – nicht zuletzt mit Hilfe <strong>der</strong> Literatur <strong>als</strong> e<strong>in</strong> Raum radikaler Differenz zu Europa dargestellt. Bis heute<br />

bestimmt diese dichotomische Denkweise alle weiteren Versuche <strong>der</strong> Festschreibung von Kulturen, man denke<br />

nur an die gegenwärtigen Prognosen e<strong>in</strong>es weltweiten Kulturkrieges, e<strong>in</strong>es „Clash of Civilizations“ (Samuel<br />

Hunt<strong>in</strong>gton). Hier werden wesenhafte Kulturdifferenzen unterstellt und noch dazu <strong>in</strong>s Feld <strong>der</strong> politischen<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragen, um sie dort weiter zu polarisieren.“ (Bachmann-Medick 1999.)<br />

Werden die Probleme des Gesellschaftsaufbaus und <strong>der</strong> Sozialen Ungleichheit <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> differenzierter untersucht, so<br />

ergeben sich auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite wesentliche sozi<strong>als</strong>trukturelle Unterschiede zum <strong>in</strong> Europa dom<strong>in</strong>anten Typ <strong>der</strong><br />

Klassen- o<strong>der</strong> Schichtgesellschaft, die sich aus <strong>der</strong> mittelalterlichen Ständegesellschaft im Mo<strong>der</strong>nisierungsprozess<br />

<strong>der</strong> Neuzeit herausgebildet hat 474 , und die bis zu e<strong>in</strong>em gewissen Grade Ergebnis <strong>der</strong> machtdependenten Homogenisierungsprozesse<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Phase <strong>der</strong> Entstehung des mo<strong>der</strong>nen Nation<strong>als</strong>taates, des nation build<strong>in</strong>g, ist.<br />

Zentralisierung und vere<strong>in</strong>heitlichte Hierarchisierung fehlt <strong>der</strong> iranischen Gesellschaft <strong>in</strong> für die Gesellschaften<br />

<strong>der</strong> »Nicht-Staatsgesellschaften« <strong>der</strong> sozio-ökonomischen Peripherien und Semiperipherien typischer Weise<br />

ebenso wie die <strong>in</strong> Europa im Prozess <strong>der</strong> »Mo<strong>der</strong>ne« herausgebildete E<strong>in</strong>deutigkeit <strong>der</strong> Abhängigkeiten des E<strong>in</strong>zelnen<br />

<strong>in</strong>nerhalb se<strong>in</strong>er gesellschaftlichen Kontexte. 475 <strong>Die</strong> gesellschaftlichen »B<strong>in</strong>dungskräfte« <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> s<strong>in</strong>d differenzierter<br />

und mehrschichtiger <strong>als</strong> die <strong>der</strong> Staatsgesellschaften Europas. Nach E. Neubauer unterscheidet Kippenberg<br />

im Zusammenhang mit se<strong>in</strong>er Analyse <strong>der</strong> ‘Ašura-Rituale und ihrer sozialen Funktion und E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung mehrere<br />

Ebenen gesellschaftlicher Kontexte: 476<br />

„1. die Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er Moschee 477 und damit zu e<strong>in</strong>er bestimmten Nachbarschaftsgruppe;<br />

473<br />

<strong>Die</strong> »Straßenkämpfe« <strong>der</strong> ‘Ašura-Rituale, auf die noch zurück zu kommen ist, dienen hier <strong>als</strong> Beispiel dafür, dass die<br />

gesellschaftlichen Konflikte <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> eben nicht durch zentr<strong>als</strong>taatliche Homogenisierung, auch nicht durch despotische<br />

Herrschaft geregelt werden konnten, son<strong>der</strong>n dass es <strong>in</strong>nergesellschaftlicher traditionaler Regelungs- und Konfliktaustragungsformen<br />

bedurfte und bedarf. <strong>Die</strong>s hängt wesentlich damit zusammen, dass <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> die Soziale Ungleichheit mit ihren<br />

immanenten Konfliktpotentialen nicht auf e<strong>in</strong> konsistentes Schichtmuster o<strong>der</strong> auf die Institutionalisierungen des Staates<br />

bezogen werden können, son<strong>der</strong>n wesentlich auf <strong>in</strong>terdependente Ebenen von regionalen Machtbalancen zurückgeführt<br />

werden müssen. Erst <strong>in</strong> diesen Kontexten werden die Abläufe <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> verständlich und die temporär<br />

<strong>in</strong>tegrative Funktion <strong>der</strong> revolutionären Ereignisse ebenso wie die Tatsache, dass mit <strong>der</strong> Etablierung <strong>der</strong> <strong>Revolution</strong>sregierung<br />

– <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n Republik <strong>Iran</strong> – sofort wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Phase gesellschaftlicher Des<strong>in</strong>tegration e<strong>in</strong>geleitet wurde,<br />

die dem Gesellschaftsmodell <strong>der</strong> Vormo<strong>der</strong>ne entspricht.<br />

474<br />

Wobei noch dah<strong>in</strong> gestellt sei, ob dieses Gesellschaftsbild <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gegenwart überhaupt noch Gültigkeit besitzt. Mo<strong>der</strong>ne<br />

zivilisationstheoretische Untersuchungen (vgl. z.B. Breuer 1993, Ziehe 1991 u.a.) erweisen die schrittweise Auflösung traditioneller<br />

Schichtb<strong>in</strong>dungen und e<strong>in</strong>e zunehmende Fragmentierung <strong>der</strong> Gesellschaftsstrukturen im Spannungsfeld von<br />

wachsenden Interdependenzen im Globalisierungsprozess und gegenläufig dazu den wachsenden Individualisierungszumutungen,<br />

die neue Sozialisationsbed<strong>in</strong>gungen und biographische Muster auch <strong>in</strong> den Gesellschaften <strong>der</strong> Industrielän<strong>der</strong>n<br />

evozieren.<br />

475<br />

Gerade diese Abhängigkeiten gehen <strong>der</strong> postmo<strong>der</strong>nen Gesellschaft wie<strong>der</strong> verloren. – Das darf aber nicht zu dem Fehlschluss<br />

führen, dass e<strong>in</strong> »Ende <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne« <strong>in</strong> gesellschaftsstruktureller H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>e Rückentwicklung zu Gesellschaftsformen<br />

vorstaatsgesellschaftlichen o<strong>der</strong> vor<strong>in</strong>dustriellen Typs se<strong>in</strong> könnte; die »neue Unübersichtlichkeit« lagert zeitgeschichtlich<br />

und strukturell <strong>als</strong> e<strong>in</strong> neues Phänomen über den Grundstrukturen <strong>der</strong> Staatsgesellschaft. Da aber <strong>der</strong> klassische<br />

europäische Nation<strong>als</strong>taat angesichts <strong>der</strong> sozio-ökonomischen Globalisierungen zum Anachronismus ohne ausreichende<br />

Funktionalität zu werden droht, bef<strong>in</strong>den sich die Industriestaaten heute generell <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Prozess <strong>der</strong> übernationalen Integrationen<br />

und Interdependenzen und verän<strong>der</strong>n somit die politisch-rechtlichen und ökonomischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Staatsgesellschaft.<br />

476<br />

216<br />

<strong>Die</strong>ser Abschnitt wurde schon exkursorisch zitiert im Abschnitt 3.2..<br />

477<br />

Zur Unterscheidung <strong>der</strong> Freitagsmoschee <strong>der</strong> Stadt und <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>en Moschee, die für e<strong>in</strong>en Teil <strong>der</strong> Bevölkerung o<strong>der</strong><br />

Stadtteil reserviert ist, siehe Grabar (1969). (Anm. H.G.K.).

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