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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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3. <strong>Die</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>in</strong> Zeiten <strong>der</strong> <strong>Revolution</strong><br />

und an<strong>der</strong>en. Dass auch die <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> letztlich nicht die dargestellten gesellschaftlichen und<br />

habituellen Entwicklungsrückstände gegenüber den notwendigen und gefor<strong>der</strong>ten Mo<strong>der</strong>nisierungsschüben <strong>in</strong> den<br />

Griff bekommen hat und sich ähnlicher politischer Unterdrückungsmechanismen bedient, ist angesichts <strong>der</strong> von uns<br />

erörterten gesellschaftlichen Situation <strong>in</strong> semiperipheren Räumen wie <strong>Iran</strong> nicht überraschend.<br />

„<strong>Die</strong> Geistlichkeit war <strong>als</strong> e<strong>in</strong>e Komponente <strong>der</strong> revolutionären Kräfte an <strong>der</strong> Durchsetzung <strong>der</strong> ersten<br />

islamischen – Verfassung (1906) beteiligt, die dem Volk Grundrecht zusicherte. Auch heute ist die<br />

fortschrittliche Geistlichkeit e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Träger <strong>der</strong> demokratischen Opposition <strong>in</strong> <strong>Iran</strong>.“ 357<br />

Mit <strong>der</strong> Krise <strong>der</strong> Šah-Herrschaft vergrößerten sich <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> die sozialen und regionalen Disparitäten. <strong>Die</strong> sich <strong>in</strong> den<br />

Städten durchsetzende soziale Stratigraphierung war durchaus e<strong>in</strong> Zeichen <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>der</strong> iranischen<br />

Gesellschaft, aber auch e<strong>in</strong> Teil des sich ständig erhöhenden <strong>in</strong>neriranischen Spannungsniveaus. <strong>Die</strong> damit<br />

verbundenen massiven Dissonanzerfahrungen führten zum Bewusstwerden des Scheiterns <strong>der</strong> bisherigen<br />

Herrschaftsform und <strong>der</strong> mit ihr verbundenen »Weißen <strong>Revolution</strong>«. Jetzt fand durch die zunehmende Politisierung<br />

<strong>der</strong> Opposition gegen das Šah-Regime das statt, was dieses bisher propagandistisch postuliert hatte, die Mo<strong>der</strong>nisierung<br />

und Transformation <strong>der</strong> iranischen Gesellschaft. Damit verbunden war aber auch die sich dramatisch verstärkende<br />

Krise des traditionellen ruralen sozioökonomischen Sektors <strong>der</strong> iranischen Gesellschaft, <strong>der</strong> zu Versorgungskrisen<br />

und e<strong>in</strong>er zunehmenden Peripherisierung <strong>der</strong> ländlichen Gebiete und zur verstärkten B<strong>in</strong>nenmigration<br />

führte.<br />

„<strong>Die</strong> Demonstrationszüge fanden zum größten Teil <strong>in</strong> Industriestädten statt, wie Täbriz, Isfahan, Abadan<br />

(traditionell hoch <strong>in</strong>dustrialisierte Arbeitsstadt; <strong>in</strong> Abadan wurde ab 1909 die erste Raff<strong>in</strong>erie <strong>der</strong> Welt gebaut,<br />

seit 1911 produziert man dort Erdöl<strong>der</strong>ivate) und Schiraz. Bei allen genannten Städten handelt es sich um<br />

Handwerks- Industrie- und Arbeitszentren; nicht um religiöse Stätten... <strong>Die</strong> Wirtschaftspolitik des Schah-<br />

Regimes sah vor, aus e<strong>in</strong>em überwiegend landwirtschaftsorientierten Staat e<strong>in</strong>e Industrienation zu machen.<br />

<strong>Die</strong>ses Vorhaben ist im Ansatz gescheitert... Vor zehn Jahren noch vermochte <strong>Iran</strong> sich selbst zu ernähren, ja<br />

sogar kle<strong>in</strong>er Mengen Agrarprodukte zu exportieren. Heute wird jedoch <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Lebensmittel<br />

importiert... E<strong>in</strong>e zusätzliche Belastung <strong>der</strong> iranischen Wirtschaft kommt aus <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziellen Krise des<br />

Landes. <strong>Die</strong> f<strong>in</strong>anzpolitischen Pläne <strong>der</strong> Zentralbank zur Bekämpfung <strong>der</strong> Inflation (Jahresrate zwischen 20<br />

und 40 Prozent) führen zu Geldknappheit <strong>in</strong> den Basaren, zur enormen Steigerung <strong>der</strong> Z<strong>in</strong>sen privater<br />

Geldverleiher und Börsenspekulanten und schließlich zum Bankrott <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>en und mittleren Industriezweige...<br />

Das Erdöl, Nationalreichtum <strong>Iran</strong>s (Erdöle<strong>in</strong>kommen von 22-25 Milliarden Dollar pro Jahr) wird<br />

durch rücksichtslose Ausnutzung verschwendet, wie zum Beispiel durch den Ankauf von Waffen für mehr <strong>als</strong><br />

40 Milliarden Dollar <strong>in</strong>nerhalb von 7 Jahren. <strong>Die</strong>se Waffenkäufe haben e<strong>in</strong>e akute Zahlungskrise hervorgerufen,<br />

zumal die Öle<strong>in</strong>nahmen sanken, weil Großabnehmer jetzt sparen.“ 358<br />

Für die Vorphase <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> ist es wichtig, die sozialpsychologischen und massenpsychologischen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> vor allem städtischen Gesellschaft zu verstehen. Symptomatische Zugänge s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

dieser Zeit aus den Medien durchaus zu entwickeln.<br />

<strong>Die</strong> schon genannte Politisierung <strong>der</strong> Opposition und ihrem für <strong>Iran</strong> neuen Schritt <strong>in</strong> die Öffentlichkeit weist<br />

auf Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Kultur <strong>der</strong> städtischen Gesellschaft h<strong>in</strong>. Wie Kippenberg (1981: 243-248) und<br />

Hooglund (1981: 258-259), die an an<strong>der</strong>er Stelle <strong>in</strong>tensiver ausgewertet werden, nachweisen, ist jedoch auch hier<br />

e<strong>in</strong> Anknüpfen an traditionale Realitätssichten und die starke und für diese Region typische Ritualisierung des<br />

Alltagsverhalten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neudeutung des »Martyriums des Husse<strong>in</strong>« und <strong>der</strong> damit verbundenen politischen Funktionalisierung<br />

<strong>der</strong> ’Ašura-Rituale gegeben und für die Durchschlagkraft <strong>der</strong> politischen Aktion notwendig gewesen.<br />

Partiell tritt jedoch vor allem <strong>in</strong> Tehran an die Stelle <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> iranischen šiitischen <strong>Politischen</strong> Kultur<br />

dom<strong>in</strong>ierenden Ritualisierung des Alltags, die verbunden ist mit <strong>der</strong> Unterdrückung und Zügelung von spontanem<br />

und unmittelbar emotionalem Verhalten und mit dem religiös legitimierten »Verbergen« eigener Überzeugungen<br />

und Ziele, e<strong>in</strong> extrovertierteres politisches Massenverhalten, das zunehmend aggressive Züge annimmt.<br />

Das bereitet e<strong>in</strong>e neue kulturelle Frontstellung vor, die die folgende <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> und das Ziel <strong>der</strong><br />

Re-Islamisierung <strong>der</strong> Gesellschaft ermöglicht und legitimiert: die »Abwehr des fremden E<strong>in</strong>flusses«.<br />

„<strong>Die</strong> Deutschen sehen sich nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schußl<strong>in</strong>ie. Vor allem Briten und Amerikaner werden von Auslän<strong>der</strong>fe<strong>in</strong>dlichkeit<br />

betroffen. Beson<strong>der</strong>s Amerikaner werden immer wie<strong>der</strong> beschimpft, angerempelt, bespuckt...<br />

„Haut ab, wir brauchen euch nicht! Ihr Amis macht uns kaputt, ihr zerstört unsere Kultur und unsere Gesellschaft!<br />

Haut endlich ab!“ Beim Banken- und K<strong>in</strong>osturm am 5. November stand auch e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> britischen<br />

Botschaft <strong>in</strong> Flammen. <strong>Die</strong> amerikanische Vertretung wurde nur durch den Schutz <strong>der</strong> Armee vor dem gleichen<br />

Schicksal bewahrt, aber an <strong>der</strong> deutschen, die zwischen den beiden Gebäuden liegt, zogen die Demonstranten<br />

vorbei. Da flog nicht e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Ste<strong>in</strong>. „Wir s<strong>in</strong>d die Händler <strong>der</strong> Welt“, begründet Dr. Wulff Mart<strong>in</strong>,<br />

<strong>der</strong> Geschäftsführer <strong>der</strong> Deutsch-iranischen Industrie- und Handelskammer <strong>in</strong> Teheran, die relative Beliebtheit<br />

se<strong>in</strong>er Landsleute. „Politik betreiben wir hier nur <strong>als</strong> Wirtschaftspolitik“. Mit e<strong>in</strong>em Volumen von mehr <strong>als</strong><br />

sechs Milliarden Mark ist <strong>Iran</strong> heute gleich nach den USA <strong>der</strong> zweitgrößte deutsche Exportmarkt außerhalb<br />

357<br />

Frankfurter Rundschau 1978-08-28.<br />

358<br />

ibid.<br />

171

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