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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Natur und Mensch in Mitteleuropa (2007)<br />

8 Hunger und Krankheiten<br />

Zu den Lebensbedingungen der Bevölkerung zählen schließlich Nahrungsversorgung<br />

(Angebote wie Engpässe; Montanari 1993), <strong>die</strong> Bevölkerungsentwicklung<br />

selbst (Geburten- und Sterberaten, Migration) und Kriege.<br />

Kriege bleiben hier als nicht-naturale Katastrophen ausgeblendet. Es <strong>ist</strong> nicht<br />

zu übersehen, dass sie in Bevölkerungskrisen, Hunger und in opportun<strong>ist</strong>ische<br />

Epidemien führen und insoweit auch naturale Auswirkungen haben. Sie sind damit<br />

jedoch eine Folge von primär nicht auf <strong>die</strong> Natur zielender menschlicher Aktivität.<br />

Die Diskussion um Ernteverluste und Heuschreckenverheerungen lässt etwas<br />

in den Hintergrund treten, dass auch Viehseuchen ihren Beitrag <strong>zur</strong> temporären<br />

Verelendung der Bevölkerung le<strong>ist</strong>en. So wird Mitteleuropa im 18. und 19. Jh.<br />

wiederholt von der Rinderpest heimgesucht, deren unmittelbare Folge der wirtschaftliche<br />

Niedergang bäuerlicher Betriebe in den Niederlanden, Deutschland und<br />

Dänemark war, zu deren mittelbaren Folgen aber auch <strong>die</strong> wirtschaftliche Bedrohung<br />

des transkontinentalen Ochsenhandels und <strong>die</strong> Einschränkungen der<br />

Fleischversorgung gehörten.<br />

Sieht man von der objektiven Bestimmungsunsicherheit ab, weil es sich in erster<br />

Linie um subjektive Kategorien handelt, sind Nahrungsknappheit und Hunger<br />

bis ans Ende des 18. Jh. s letztlich Folgen eines ungelösten Transportproblems,<br />

Hungerkatastrophen von gesamt-mitteleuropäischem Ausmaß sind daher Ausnahmen:<br />

1315 – 17, 1571 –74, 1771 – 72 und 1813 – 15. 193 Große Hungersnöte<br />

sind auch deswegen selten, weil Mitteleuropa naturräumlich ein agrarischer Gunstraum<br />

von struktureller agrarwirtschaftlicher Portfolioeigenschaft <strong>ist</strong>. Die häufigeren<br />

lokalen Hungersnöte haben bevölkerungsbiologische Konsequenzen, weil<br />

ihnen Geburtenrückgänge folgen, <strong>die</strong> von lokaler und vergleichsweise kurzer Dauer<br />

und Auswirkung sind. Die Veränderung des generativen Verhaltens seit der<br />

Mitte des 18. Jhs. (der „demographische Übergang“) folgt hingegen keinen naturalen<br />

Determinanten sondern allge<strong>mein</strong>en gesellschaftlichen Veränderungen. 194<br />

Diejenige Quellengruppe, <strong>die</strong> als erste und am authentischsten über den erlittenen<br />

Hunger berichten könnte, <strong>die</strong> in Ausgrabungen gewonnenen Skelette der Menschen,<br />

verweigert sich hier. Zwar sehen wir in der Knochenstruktur Hinweise auf<br />

mögliche Nahrungsengpässe, der Tod aus akutem Hunger <strong>ist</strong> nicht nachweisbar. Tod<br />

durch Unterernährung <strong>ist</strong> letztlich auch ein soziales Geschehen, kein primär phy-<br />

193 Die mitteleuropäischen Hungerereignisse sind nur bis 1317 in Übersicht erreichbar (Curschmann),<br />

für <strong>die</strong> Folgezeiten liegen ähnliche Kompilationen nicht vor. Für <strong>die</strong> vorindustrielle Zeit<br />

<strong>ist</strong> Abel (1972) nach wie vor <strong>die</strong> zentrale Referenz.<br />

194 Auffällig <strong>ist</strong> übrigens, dass in gängigen h<strong>ist</strong>orischen Betrachtungen von einem heimlichen Konzept<br />

einer bestimmten Bevölkerungszahl ausgegangen wird. Thematisiert wird nämlich „Verlust“<br />

und anschließender „Ausgleich“, statt von der biologieüblichen, bewertungsfreien „Änderung der<br />

Bevölkerungszahl“ zu sprechen.<br />

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