06.01.2013 Aufrufe

"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Rekonstruktion h<strong>ist</strong>orischer Biodiversität (2003)<br />

bestreiten, indem sie ihm zunächst einredet, Leben sei ohne das Risiko der Rekombination<br />

möglich. Aber <strong>die</strong> gesellschaftlichen Konsequenzen der totalen Naturaneignung,<br />

<strong>die</strong> sich durch <strong>die</strong> molekularen Techniken in den nächsten Jahrzehnten<br />

ergeben, werden dazu führen, dass sich niemand mehr seiner selbst als akzeptierter<br />

Bedingung in der Gesellschaft sicher sein kann. Nach dem Verlust einer<br />

religiösen Weltsicht werden wir damit auch <strong>die</strong> profane Sicherheit verlieren, dass<br />

jeder einzelne von uns seinen Ort in „der Natur“ hätte, einen um unserer selbst<br />

willen zugewiesenen Platz. Die Biologie schickt sich an, <strong>die</strong> Menschenrechte zu<br />

überwinden, <strong>die</strong> eine Überwindung der konkreten Natur darstellten (<strong>die</strong> Überwindung<br />

des durch Geburt zugewiesenen gesellschaftlichen Platzes durch <strong>die</strong> Vorstellung<br />

von der Verwirklichung der angelegten Möglichkeiten), Nach der Überwindung<br />

der Menschenrechte durch <strong>die</strong> molekulare Biologie wird <strong>die</strong> konkrete Natur<br />

wieder zum Maß gesellschaftlichen Handelns gemacht (indem <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

eines krankheitsbergenden Genoms nach gesellschaftlichen Vorstellungen vom<br />

richtigen Menschen therapiert wird). Wenn <strong>die</strong> Gesellschaft auch an <strong>die</strong>ser Stelle<br />

nicht <strong>die</strong> erforderlichen Wachstumsverweigerungen festschreiben wird, erscheint<br />

mir ein Diktat oder gar eine Diktatur von Medizintechnik und Molekularbiologie<br />

unvermeidlich. Welche Fragen werden dann an <strong>die</strong> Biodiversität (des Menschen)<br />

gestellt werden?<br />

Die biophile Verantwortungshaltung gegenüber der Artenfülle verdankt sich<br />

also nicht demütiger Grundhaltung, sondern der aufgeregten Angst, der Mensch<br />

(stillschweigend gehen wir vom euro-amerikanischen Kulturmenschen aus) könne<br />

auf eine fatale Weise seines bisher Erreichten verlustig gehen. Die ver<strong>mein</strong>tlich<br />

demütige Anerkennung des Ex<strong>ist</strong>enzrechtes aller bestehenden Arten <strong>ist</strong> keine aus<br />

dem Prozess der Naturabläufe selbst ableitbare Einsicht, sondern ein konservierter<br />

naturtheologischer Gedanke, wie er in der Idee der Kette der Wesen, <strong>die</strong> LOVEJOY<br />

(1933 [1993]) so eindrucksvoll nachzeichnete, angelegt war. Soweit mir bekannt,<br />

gilt nämlich <strong>die</strong> Frage, wie viele Arten ein Ökosystem bzw. wie viele Arten ein<br />

bestimmtes Ökosystem ausmachen bzw. wie viele oder welche Arten in einem<br />

Ökosystem fehlen könnten, ohne dass seine grundsätzliche Qualität geändert würde,<br />

unter Ökologen als offen. Auch <strong>die</strong> Annahme, eine hohe Diversität bedeute<br />

hohe ökologische Stabilität, gilt zumindest nicht als gesichert, wenn nicht sogar als<br />

falsch. Wenn nun Ökosystemwissenschaftler <strong>die</strong> Diversität grundsätzlich als<br />

scheinbar paradoxes Ergebnis von Nahrungsknappheit erkennen, läuft <strong>die</strong>s in der<br />

gedanklichen Konsequenz sogar auf grundsätzliche Verträglichkeit von Diversitätsverlust<br />

hinaus, weil Wettbewerbsabnahme <strong>die</strong> Ressourcenlage verbessert.<br />

Die grundsätzliche Anerkennung eines alle Arten umfassenden Ex<strong>ist</strong>enzrechtes<br />

setzt den Menschen in einen offenkundigen Gegensatz zu allen anderen Lebewesen,<br />

denen bei ihrer Lebensausübung das Ex<strong>ist</strong>enzrecht anderer Arten nicht vorgehalten<br />

wird. Ein solcher Vorwurf <strong>ist</strong> für <strong>die</strong> innerhalb eines sich selbst organisierenden<br />

Prozesses stehenden Organismen auch absurd. Erst durch das menschliche<br />

Interesse und <strong>die</strong> Konstruktion einer „Verantwortung“ wird Biodiversität überhaupt<br />

wahrnehmbar, wissenschaftlich wie gesellschaftlich vermittelbar und damit<br />

17

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!