06.01.2013 Aufrufe

"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

70<br />

hohen Mittelalter muss in Mitteleuropa zu einem Anstieg der Arten- und Individuenzahlen<br />

in Lebensge<strong>mein</strong>schaften der geöffneten Landschaft geführt haben: hier<br />

wird es heute sicher mehr Spinnen- und Ameisenarten geben als vor Tausend Jahren.<br />

Andererseits sind <strong>die</strong> Lebensraumangebote für Amphibien und Reptilien kontinuierlich<br />

dezimiert worden, am me<strong>ist</strong>en wohl durch <strong>die</strong> großflächigen Meliorationsmaßnahmen<br />

des 18. und 19. Jahrhunderts. Durch anthropogene Lizenzen bzw.<br />

Nischen wird sich auch zumindest eine höhere Besatzdichte bei kulturfolgenden<br />

Arten eingestellt haben, aber auch bei allge<strong>mein</strong> opportun<strong>ist</strong>ischen Folgearten, z.B.<br />

dem grünlandgebundenen Weißstorch, dessen Verbreitung ganz sicher eine Folge<br />

menschlicher Wirtschaftsweise war. 162 Ein sehr eindruckvolles Beispiel deduktiver<br />

Rekonstruktion hat der Entomologe Ordish für das langsame Aussterben des<br />

Schwarzgefleckten Bläulings (Maculinea arion) in Kent durch <strong>die</strong> Konzentration des<br />

wilden Thymians in den Kräutergärten seit dem 16. Jahrhundert erarbeitet. 163<br />

Durch umfangreiche Bemühungen ex<strong>ist</strong>ieren neuerdings wieder einzelne Vorkommen<br />

des Schmetterlings in Großbritannien. 164<br />

Obwohl es sich bei den genannten Beispielen um besonders eindrucksvoll<br />

quantifizierbare Angaben handelt, gilt unserer Einsicht nach durchaus allge<strong>mein</strong>,<br />

dass sich aus archivalischen Quellen recht gute, wenn auch nur auf einzelne Tiergruppen<br />

begrenzte Angaben zu Arten- und Individuenzahlen ableiten lassen. Allerdings<br />

<strong>ist</strong> <strong>die</strong> Beibringung solcher Zahlen mit einem hohen Aufwand an Archivarbeiten<br />

verbunden. Aber das eigentliche Problem mit h<strong>ist</strong>orischen Beständen liegt<br />

bislang nicht in ihrer relativen Unsicherheit, sondern vielmehr in der vorgeblichen<br />

Sicherheit, mit der Vertreter bestimmter Interessen oder Gruppen oder auch gelehrte<br />

Autoren behaupten, relative oder absolute Zahlen zu besitzen. Die me<strong>ist</strong>en<br />

<strong>die</strong>ser Zahlenangaben verdanken sich aber keiner systematischer Sammelarbeit,<br />

sondern stellen unzulässige Verallge<strong>mein</strong>erungen großzügigster Plausibilitätserwägungen<br />

dar, um nicht „gelehrtem Raten“ zu sagen.<br />

In der Tat kennt man zwar Abschussl<strong>ist</strong>en für Seeottern, Gemsen und Para<strong>die</strong>svögel<br />

oder das Datum, an dem z.B. <strong>die</strong> letzte Stellersche Seekuh oder <strong>die</strong><br />

Dronte (Dodo) oder der Riesenalk erlegt wurden, aber Angaben über deren ehemalige<br />

Populationen bzw. Metapopulationen über längere Zeiträume liegen nicht<br />

oder bestenfalls als nicht überprüfte Phantasiezahlen vor.<br />

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass alle Welt fest an den Mythos zu<br />

glauben und unkritisch an ihm festzuhalten scheint, wonach es früher von allem<br />

mehr gegeben habe. Wobei man dem Mythos selbst aufsitzt, wenn <strong>die</strong> Frage auf das<br />

„mehr“ ausgerichtet wird, statt auf <strong>die</strong> Frage, „ob es andere Häufigkeiten“ gab?<br />

162 ich danke Herrn Kollegen Matthias Schaefer, Leiter der Abtlg. Ökologie im ge<strong>mein</strong>samen Institut,<br />

für seine Geduld und <strong>die</strong> längeren Gespräche über <strong>die</strong>se Sachverhalte, in denen <strong>mein</strong>e Vorstellungen<br />

reifen konnten.<br />

163 George Ordish, Geschichte eines Gartens: vom 16. Jahrhundert bis <strong>zur</strong> Gegenwart, Frankfurt,<br />

1989, S. 29ff.<br />

164 Jeremy Thomas, The return of the large blue butterfly, British Wildlife 1(1989),<br />

S. 2�– 13.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!