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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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66<br />

Hinweise auf Artenzahlen und Individuenhäufigkeiten können aus zahlreichen<br />

Quellengattungen der h<strong>ist</strong>orischen Naturwissenschaften und jeder sonstigen Quelle,<br />

<strong>die</strong> über h<strong>ist</strong>orische Geschehnisse berichtet, rekonstruiert werden. Nach unseren<br />

Erfahrungen 156 lässt sich kein h<strong>ist</strong>orischer Quellentyp ausschließen, wenngleich<br />

bestimmte Quellengattungen schwerpunktmäßig in Frage kommen. Dabei <strong>ist</strong> einsichtig,<br />

dass alle Quellengattungen hinsichtlich Aussagefähigkeit über Artenzahlen<br />

und Individuenhäufigkeiten methodische und inhaltliche Begrenzungen aufweisen<br />

müssen.<br />

Die Mehrzahl der in gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskussionen bemühten<br />

Zahlenvorstellungen bezieht sich hingegen auf eine anonyme und scheinbare Gewissheit,<br />

nach der es „früher“ (wann immer das auch war) von allem „in der Natur“<br />

(was immer das auch war) „mehr“ (wieviel auch immer) gegeben habe. In aller<br />

Regel fehlen aber einfach <strong>die</strong> erforderlichen h<strong>ist</strong>orischen Bestandszählungen, oder<br />

ihre Quellen sind bislang unerschlossen, auf <strong>die</strong> sich solche Behauptungen gründen<br />

müssten. Ein deutscher Liedermacher (Reinhard May) weiß z. B. ganz genau, dass<br />

„es keine Maikäfer mehr“ gibt. Möglicherweise <strong>ist</strong> sein Wohnort Berlin nicht das<br />

Vorzugsrevier von Melolontha, denn man darf daran zweifeln, dass seine politischökologische<br />

Botschaft in den hessischen Forsten südlich Frankfurts oder etwa in<br />

bestimmten Gebieten Polens, in denen das Insekt ein aktuell gefürchteter Schädling<br />

<strong>ist</strong>, geteilt würde. Vielmehr verhilft ein solches Chanson einem allge<strong>mein</strong>en<br />

Unbehagen über „Naturbedrohung“ und der scheinbar von allen gleichermaßen<br />

geteilten Erfahrung zum Ausdruck, wonach es auch „in der Natur immer schlechter“<br />

werde. Nur wenige Arten verschwinden jedoch wirklich, andere werden räumlich-numerisch<br />

umverteilt. Dass selbst bei a-hemerobem Zustand der Gesamtbestand<br />

der Arten und ihrer Individuen dem zeitlichen Wandel unterliegt, entgeht der<br />

zume<strong>ist</strong> aufgeregt geführten Diskussion allzu leicht. 157<br />

Quellen, <strong>die</strong> zum h<strong>ist</strong>orischen Artenbestand befragt werden könnten, sind vor<br />

allem <strong>die</strong> herrschaftlichen Erlasse und archivierten Verwaltungsakten seit dem 17.<br />

Jahrhundert, unter denen z.B. Fang- und Abschussl<strong>ist</strong>en Aufschluss gebend sein<br />

können. Im Folgenden beschränke ich mich auf lediglich drei Beispiele einer ansonsten<br />

ausufernden Belegl<strong>ist</strong>e:<br />

Gewässerökologie und Binnenfischerei, Berlin 2003, (3. Stechlin Forum 2002), S. 53–62. hier <strong>ist</strong><br />

daran zu erinnern, dass auch <strong>die</strong> satirische Parabel über Candides Reise nach Eldorado, <strong>die</strong> als Element<br />

der Kritik Voltaires am Leibniz-Wolffschen Weltentwurf gesehen werden muss, sich letztlich<br />

<strong>die</strong>sem Topos verdankt. Dieser Weltentwurf liefert für <strong>die</strong> Kette der Wesen den größten Teil ihrer<br />

theoretischen Fun<strong>die</strong>rung. Damit schließt sich also eine Betrachtungskette, <strong>die</strong> sich selbstreferentiell<br />

immer wieder auf <strong>die</strong>selben Ep<strong>ist</strong>eme bezieht. – Zu Candide: Voltaire, Candid oder <strong>die</strong> Beste aller<br />

Welten, Stuttgart 1998.<br />

156 <strong>die</strong>se Erfahrung gründet sich auf unser Forschungsprojekt „Rekonstruktion h<strong>ist</strong>orischer Biodiversität<br />

aus archivalischen Quellen“ Forschungsvorhaben im BMBF-BIOLOG - Schwerpunkt von<br />

2000–2003. Beteiligt an dem Vorhaben waren neben dem Verfasser noch Peter Steinsiek und Antje<br />

Jakupi; Veröffentlichung in Vorbereitung.<br />

157 keinesfalls soll der Eindruck entstehen, dass ich gegen Naturschutzbemühungen polemisiere.<br />

Diese sind weder Gegenstand noch Adressat <strong>die</strong>ses Aufsatzes.

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