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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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H<strong>ist</strong>orisierung der Schädlingsbekämpfung (2006)<br />

tifizierungsmöglichkeit für gesellschaftlichen Wertewandel. 79 Eine vertiefte umwelth<strong>ist</strong>orische<br />

Analyse müsste <strong>die</strong>sem Aspekt besondere Aufmerksamkeit widmen<br />

und <strong>die</strong> Beispiele systematisch sammeln. Dabei müsste auch nach Belegen dafür<br />

gesucht werden, dass Schädlinge dauerhaft aus dem Artenspektrum entfernt wurden,<br />

ohne dass sie je einen Schutzstatus erreicht hätten. Das scheint gegenwärtig<br />

nur für den Erreger der Pocken zuzutreffen.<br />

6 Risiken und Schäden<br />

Vor der Erfindung von Pestiziden bestand <strong>die</strong> Abwehr praktisch nur in Strategien<br />

<strong>zur</strong> Reduktion der Abundanzen durch Wegfangen und mechanischem Töten einzelner<br />

Individuen. 80. An <strong>die</strong>sem Muster der physischen Entnahme orientieren sich<br />

auch im alten Agrarregime <strong>die</strong> Steuern bzw. Anreizsysteme <strong>zur</strong> Kollektivbekämpfung<br />

bzw. –prävention. Das konnte zeitaufwendig sein und zu negativen Kosten-<br />

Nutzen-Bilanzen führen. Bekannt sind einschlägige Klagen bekämpfungspflichtiger<br />

Bauern (s. u.). 81<br />

Dass Risikokalkulationen in Zusammenhang mit Schädlingen eine Voraussetzung<br />

für wirtschaftliche Überlegungen sind, belegt ein weiteres Mal Krünitz. Er<br />

zitiert einen Ökonomen Peter Kretschmar, der 1744 vorgerechnet habe, dass 3<br />

Mio. Sperlinge 4.4 Mio. Taler Schaden anrichten und führt Überlegungen vor, nach<br />

denen sich Spatzen wie <strong>die</strong> sprichwörtlichen Kaninchen vermehrten. 82 Für eine<br />

gedachte Dorf-Gemarkung mit 800 Sperlingspärchen ergeben sich rechnerisch im<br />

Jahr insgesamt 20.000 Sperlinge. „Hat ein Amt nur zehn Dörfer und ein Land etwa<br />

30 Ämter, so finden sich in einem solchen Lande etwa 6 Millionen Sperlinge in<br />

79 Die hierin angelegte Problematik kann für pur<strong>ist</strong>ische Argumentationslinien dann besonders verzwickt<br />

werden, wenn dem kollektiven Gedächtnis entfällt, dass ein Schädling nicht zum autochthonen<br />

Artenspektrum gehört, sondern als Kulturfolger eingewandert <strong>ist</strong>, wie z.B. der Sperling oder der<br />

Feldhamster. In solchen Fällen steht Burians Esel vor der Klage über den Verlust des Schädlings<br />

einerseits und der Freude über <strong>die</strong> Wiederherstellung eines konservativen Artenspektrums andererseits.<br />

Der Kern des Problems liegt also in den normativen Grundlagen der Biodiversitätsdiskussion,<br />

eines weiteren vernachlässigten Problems der <strong>Umweltgeschichte</strong>.<br />

80 Insgesamt keine sehr effizienten Strategien. Heuschreckenlarven wurden u.a. in Gräben getrieben<br />

und zertreten, <strong>die</strong> Eiere aufwendig gesammelt und z.T. mit kochendem Wasser überschüttet<br />

81 Herrmann, Entvölkerung der Landschaft<br />

82 Krünitz, Lemma Sperling, S. 205 - Derartige Berechnungen nehmen m.E. ihren Anfang in zahlentheoretischen<br />

Erwägungen, wie jenen von Leonardo Pisano gen. Fibonacci, der 1202 am Beispiel der<br />

potentiellen Nachkommenschaft eines Kaninchenpaares <strong>die</strong> Regel für <strong>die</strong> nach ihm benannte Zahlenfolge<br />

formuliert. Wenngleich Fibonacci von biologisch zweifelhaften Setzungen ausging (Kaninchen<br />

haben immer paarweisen Nachwuchs, sie werden einen Monat nach ihrer Geburt geschlechtsreif und<br />

sie sind innerhalb des Betrachtungszeitraumes weder unfruchtbar noch sterblich), ermöglicht das von<br />

ihm gefundene Rechenprinzip letztlich eine Überschlagskalkulation für mögliche Schadensausmaße.<br />

Der Nachwuchs eines Kaninchenpaares beträgt danach innerhalb zweier Jahre 59.084 Paare. Mir<br />

scheint es naheliegend, Fibonaccis Ableitung auch aus dem Blickwinkel möglicher Schadenskalkulationen<br />

zu betrachten und in ihr das praktische Hilfsmittel zu erkennen, zumal Kaninchenplagen schon<br />

aus römischer Zeit bekannt waren (vgl. Robert Delort: Der Elefant, <strong>die</strong> Biene und der heilige Wolf.<br />

München 1987). Jedenfalls liegt seit Fibonaccis Kalkül <strong>die</strong> mögliche ökonomische Dimension einer<br />

ungehinderten Schädlingsvermehrung offen zutage.<br />

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