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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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176<br />

Diskurs der sachverständigen Autoren nach der gehobenen und gelehrten Literatur in<br />

der Hauptsache als aus fünf Diskussionssträngen gespe<strong>ist</strong> dar, 287 den ich nachfolgend<br />

in ganz groben Zügen skizziere. Sie bilden nach <strong>mein</strong>em Urteil <strong>die</strong> Fun<strong>die</strong>rungen der<br />

Schädlingsdiskurse der jeweiligen Eliten und liefern, neben dem volkskultürlich Alltagspraktischen,<br />

das handlungstheoretische Unterfutter der Bekämpfungspraxis. 288<br />

Der erste Strang liegt zunächst noch ganz auf der Linie der magischen Wissenschaft<br />

und symbolischen Ausdeutung der Natur. Als ein einschlägiger zeitgenössischer<br />

Protagon<strong>ist</strong> <strong>ist</strong> Acxtelmeier (1692) auszumachen, der behauptet, überhaupt das erste<br />

Buch über Ungeziefer (‚Unzieffer‛) verfasst zu haben. 289 Immerhin thematisiert er auch<br />

Tiere, <strong>die</strong> nach zeitgenössischem Urteil dem Ungezieferreich angehören. Indes sind<br />

ihm <strong>die</strong>se Tiere nicht (bzw. nicht vordringlich) Subjekte praktischer Erwägung der<br />

Schädlingsbekämpfung, vielmehr sieht er in ihnen vor allem moralisierende Belehrungen<br />

des natürlichen Buches der Offenbarung. In dem Maße, in dem sich <strong>die</strong> Wissenschaft<br />

von solchen magisch-symbolischen Naturdeutungen entfernt und sich rationallogischen,<br />

zunehmend positiv<strong>ist</strong>ischen Erklärungen zuwendet, gerät auch <strong>die</strong>se Sichtweise<br />

allmählich ins Abseits und <strong>ist</strong> – zumindest aus den gelehrten Diskursen – nach<br />

der Mitte des 18. Jahrhunderts weitgehend verdrängt. Ein Refugialraum bot sich im<br />

abergläubischen Bereich und in volkskulturellen Zuschreibungen, von wo aus sie bis<br />

auf den heutigen Tag gelegentlich sichtbar wird. 290<br />

287 Natürlich <strong>ist</strong> <strong>die</strong>s eine retrospektive Diagnose, ein bei h<strong>ist</strong>orischer Forschung grundsätzlich nicht<br />

hintergehbares Faktum. Es <strong>ist</strong> zu allen Zeiten <strong>die</strong> Durchsetzungsmöglichkeit eines Argumentes,<br />

<strong>die</strong> dessen Überleben im gelehrten Diskurs sichert (wohlgemerkt: das <strong>ist</strong> nicht notwendig gleichgesetzt<br />

mit der Richtigkeit eines Argumentes!). Ist ein Argument, aus welchen Gründen auch<br />

immer, nicht durchsetzungsfähig, wird es letztlich aus dem gelehrten Mainstream-Diskurs entfernt.<br />

Ich betrachte also <strong>die</strong> Hauptprotagon<strong>ist</strong>en des Schädlingsdiskurses des 18. Jahrhunderts in<br />

ihrer Wirkung auf <strong>die</strong> Herausbildung und <strong>die</strong> Präzisierung des Schädlingsthemas im Laufe des 18.<br />

und zu Beginn des 19. Jahrhunderts und diagnostiziere <strong>die</strong> Durchsetzung fünf gedanklicher<br />

Hauptlieferanten.<br />

288 Den Grenzfall zwischen Volks- und Elitenkulturen betrachtet Freytag (2003), S. 316 ff, mit einer<br />

für das vorliegende Thema nützlichen Fokussierung.<br />

289 Den früheren Naturgeschichtsbüchern, wie etwa Conrad Gesners Tierbuch, <strong>ist</strong> <strong>die</strong>se bis auf den<br />

Physiologus <strong>zur</strong>ückgehende Tradition der symbolischen Naturbehandlung durchaus geläufig.<br />

Durch Acxtelmeiers Konzentration auf <strong>die</strong>se Themen <strong>ist</strong> sein Werk letztlich wohl dem Umfeld<br />

der emblematischen Literatur zu<strong>zur</strong>echnen.<br />

290 Die Verfolgung <strong>die</strong>ses Aspektes sprengt den Rahmen und <strong>die</strong> Intention <strong>die</strong>ses Aufsatzes. Ich<br />

verweise zum thematischen Einstieg pauschal auf <strong>die</strong> volkskundliche Literatur und auf neuere<br />

Forschungen der Arbeitsgruppe um Wolfram Siemann, München. Den Hinweis auf Karin<br />

Dosch-Muster (1996) verdanke ich Nils Freytag, München. Darin findet sich aus der ersten Hälfte<br />

des 19. Jahrhunderts das Beispiel einer magischen Praktik mit Bannspruch (Spruch 69) gegen<br />

Mäuse in der Scheune (Lagerschädlinge). Vgl. im übrigen Stichwort Ungeziefer im Handwörterbuch<br />

des Deutschen Aberglaubens (1927 – 1942). Eine einschlägige Fundgrube von ‚Sonderbarkeiten’,<br />

deren Praxis bis ins 19. Jahrhunderts verfolgt wird, stellt Cowan (1865) bereit, auf den<br />

mich dankenswerter Weise Karin Barton aufmerksam machte. Dass sich Bannungen gegen Insekten<br />

als magische Praxis bis ins 19. Jahrhundert hielten, we<strong>ist</strong> auch Evans (1906) nach; darin<br />

beachtenswert das Vorwort von N. Humphrey mit weiterführender moderner h<strong>ist</strong>orischer Literatur.<br />

Am Ende wird keine Überlegung <strong>zur</strong> damaligen ‚Wissensgesellschaft’ um ein simples Faktum

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