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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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chen Leitbilddiskussionen <strong>ist</strong>. Konstante Zustände ex<strong>ist</strong>ieren in der Natur nicht.<br />

Weder im Naturzustand noch im Kulturzustand gibt es eine Artenkonstanz, eine<br />

Individuenkonstanz, eine Flächenkonstanz oder eine Prozesskonstanz. Daher geraten<br />

Naturleitbilder in Konflikt mit den realen Abläufen. Die Diskussion um den<br />

Problembär Bruno im Frühsommer 2006 führte das Dilemma in exemplarischer<br />

Weise vor. Populär gilt eine „Natur“ dann als „richtig“ und „schön“, wenn sich der<br />

Mensch in ihr mit interesselosem Wohlgefallen, ästhetisch befriedigt 386 und ohne<br />

gefühlte Gefährdung aufhalten kann. Dies <strong>ist</strong> unverfälschtes Erbe der Aufklärung,<br />

in der <strong>die</strong> Natur vielfältig, bis in <strong>die</strong> Ästhetik hinein, ökonomisiert wurde, dem<br />

selbst in Bayern mit dem Nationalpark Bayerischer Wald längst eine alternative<br />

Sicht auf Natur entgegengestellt <strong>ist</strong>. Ein Nationalpark <strong>ist</strong> nun allerdings eine Art<br />

begehbares Museum, 387 wobei im konkreten Beispiel selbst noch unentschieden <strong>ist</strong>,<br />

ob <strong>die</strong> Vergangenheit oder <strong>die</strong> Zukunft musealsiert wurde.<br />

Der Konflikt um <strong>die</strong> Vorsteuerung von Naturkonzepten wird erst dann gelöst sein,<br />

wenn Rhein, Elbe und Oder endlich wegen der Menschen, <strong>die</strong> in den Flußauen<br />

siedeln, ihr Flussbett nicht mehr verlassen.<br />

386 Die eminent wichtige Frage nach dem „Naturschönen“ beschäftigt nicht erst seit Kants Setzung<br />

vom ästhetischen „interesselosen Wohlgefallen“ <strong>die</strong> Gemüter. Tatsächlich <strong>ist</strong> sie zentral für das<br />

Problem der Naturkonzepte, lange schon vor Walther von der Vogelweide. Die Verfolgung des<br />

Themas <strong>ist</strong> einer anderen Darstellung vorzubehalten. Ich verweise hier lediglich auf den Satz von<br />

Adorno „Schön <strong>ist</strong> an der Natur, was mehr erscheint, denn was es buchstäblich an Ort und Stelle<br />

<strong>ist</strong>“ (2003, S. 111). Der Satz und sein (langatmiges) Umfeld bedeutet in der Substanz nicht notwendigerweise<br />

<strong>die</strong> Rückkehr zum voraufklärerischen Naturverständnis. Er variiert <strong>mein</strong>er Einsicht nach<br />

vielmehr lediglich <strong>die</strong> alte Entdeckung von Epiktet († um 140 n. Chr.), wonach es nicht <strong>die</strong> Dinge<br />

wären, welche <strong>die</strong> Menschen verstörten, sondern <strong>die</strong> Meinungen über <strong>die</strong> Dinge. Die Meinungen<br />

über <strong>die</strong> Dinge der Natur wandeln sich, aber Meinungen über Natur sind als solche untrennbar mit<br />

ihr verbunden. Deshalb <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Natur selbst, d.i. <strong>die</strong> Meinung darüber, was denn „Natur“ sei und wie<br />

sie zu bewerten wäre, selbstverständlich ein zeit- und epochenabhängiges Kulturprodukt.<br />

387 Die Diskussion wäre etwas anders zu führen, wenn es in Europa eine philosophische Tradition<br />

von „wilderness“ gäbe, wie sie sich in Amerika in der Nachfolge Emersons und Thoreaus herausbildete.<br />

Eine ironische Facette <strong>ist</strong> dabei allerdings, dass Thoreaus zeitweiliger Ausstieg aus der Gesellschaft<br />

und sein Leben in Walden praktisch in Sichtweite <strong>zur</strong> Stadt Concord erfolgte und nach rund<br />

zweieinhalb Jahren im September 1847 mit einem Defizit von etwas mehr als $ 25 endete (Thoreau<br />

1979). Was für eine Pointe: wilderness als ökonomisch subventionierter ge<strong>ist</strong>iger Luxus.

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