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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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436<br />

Jahre nach dem Ersten Erntedankfest in der neuen Welt geschrieben, das im<br />

Herbst 1621 stattfand, nachdem <strong>die</strong> Pilgerväter ihre erste erfolgreiche Ernte in der<br />

Neuen Welt eingebracht hatten, <strong>die</strong> sie ohne <strong>die</strong> Hilfe der Wampanoag nicht hätten<br />

erleben können, weil <strong>die</strong>se ihnen über manchen Nahrungsengpass hinweggeholfen<br />

hatten. Nahm Dudley vor 1631 kaum Tauben wahr, erschienen sie nun in<br />

großen Schwärmen, worüber er sein offenbares Erstaunen ausdrückt. Doch <strong>ist</strong><br />

seine Beobachtung, <strong>die</strong> ziemlich zeitgleich von Thomas Mather (1637) gestützt<br />

wird, 807 völlig kons<strong>ist</strong>ent mit dem rekonstruierten Prozessgeschehen: <strong>die</strong> Taubenschwärme<br />

des 17., 18. und 19. Jhs. sind ein anthropogenes Produkt und vorher<br />

nicht in gleicher Weise ex<strong>ist</strong>ent. Sie sind anthropogen in ihrer unvorstellbaren<br />

Größe. Sie waren aber auch bereits anthropogen auf eine bestimmte, weitaus geringere<br />

Häufigkeit durch <strong>die</strong> Aktivitäten der präkolumbischen Indianer festgelegt.<br />

Es gibt keinen Weg, <strong>die</strong> „natürliche“ Häufigkeit der Wandertaube vor dem Eintreffen<br />

des Menschen in Nordamerika abzuschätzen.<br />

Sicher haben sie ihre h<strong>ist</strong>orisch bekannten Brutgebiete erst nach der Eiszeit<br />

vom südlichen Nordamerika her besetzt und mussten sich von Beginn an mit einer<br />

Nahrungskonkurrenz mit den ebenfalls neu angekommenen Menschen auseinandersetzen.<br />

Das wäre populationsbiologisch ein besonders spannender Sachverhalt,<br />

weil Menschen dann seit Beginn der Nacheiszeit zu den populationsbegrenzenden<br />

Faktoren für <strong>die</strong> Tauben gezählt hätten, wie Klima, Nahrung, Krankheiten und<br />

Raubfeinde. Die Frage nach der theoretisch „natürlichen Populationsgröße“ der<br />

Tauben wäre damit allerdings in doppelter Hinsicht unsinnig. In solchen Konstrukten<br />

steht „natürlich“ regelhaft für „menschenfrei“. Sie <strong>ist</strong> einmal unsinnig,<br />

weil <strong>die</strong>se Frage so tut, als würden in einem menschenfreien System Populationsschwankungen<br />

nicht vorkommen. Sie <strong>ist</strong> ein weiteres Mal unsinnig, weil <strong>die</strong> Frage<br />

auf den ahemeroben Zustand zielt, der Begriff der Hemerobie aber nicht im Hinblick<br />

auf <strong>die</strong> Randbedingungen des sogenannten „Naturzustandes“ formuliert<br />

wurde. Menschen, deren Ökonomie das Sammeln, Fangen, Jagen und Aneignen<br />

<strong>ist</strong>, ernten ihre Schweifgebiete zunächst mit keiner anderen Intensität ab, mit der<br />

sonstige Top-Predatoren oder Nahrungsnetzknoten ihren Lebensraum nutzen.<br />

Der Begriff der Hemerobie <strong>ist</strong> sinnvoll nur an den Menschen der produzierenden<br />

Wirtschaftsweise zu binden. 808<br />

807 Mather steuert ebenfalls ein Zitat am Bildrand bei Walton Ford bei. Ausführlicher als in Schorger<br />

1955 wird Mather in Schorger 1938 zitiert.<br />

808 Der „Hemerobie“-Begriff <strong>ist</strong> sinnvoll nur, wenn er den Grad der „Abweichung vom potentiell<br />

natürlichen Zustand“ durch menschliche Kulturwirkung beschreiben soll. Da der Mensch einerseits<br />

nicht kulturfrei gedacht werden kann, andererseits in seiner Stammesgeschichte aber auch Naturnutzungen<br />

aufwies, <strong>die</strong> von denjenigen nicht-menschlicher Prädatoren oder Sammler nicht abwich, <strong>ist</strong><br />

auf <strong>die</strong>se Zustände der „Hemerobie“-Begriff nicht anwendbar. Hier offenbart sich ein weiterer Mangel<br />

biologischer Definitionsarbeit: Worin bestünde dann <strong>die</strong> Abweichung vom „potentiell natürlichen<br />

Zustand“ (offenbar im Gegensatz zum beobachteten Realzustand, dem signifikante menschliche<br />

Einflussnahme unterstellt wird), wenn beide Organismen (also Mensch und Taube) gleichzeitig in den<br />

postglazial menschen- wie taubenfreien Raum vorgedrungen sind und der Mensch keine produzierende<br />

Wirtschaft betrieben hätte? Mensch und Taube wären unter solchen Bedingungen „gleichwertige“<br />

Konkurrenten. Ab wann <strong>ist</strong> dann der Zustand in Kategorien der Hemerobie beschreibbar?

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