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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Krebse, Lachs und Hasenbraten (2006)<br />

Kombiniert man einen natural<strong>ist</strong>ischen Fehlschluss mit dem h<strong>ist</strong>orischen Rückgriff,<br />

hat man eine praktisch unbesiegbare Waffe der politischen Biologie. Im Balkankrieg<br />

hieß es in geschichtsfälschender Weise über das Kosovarer Amselfeld:<br />

„Wo Serbische Knochen begraben sind, <strong>ist</strong> serbisches Land.“ 143 Andere Kombinationen<br />

sind u.a. leider aus der deutschen Geschichte bekannt; Beispiele lassen sich<br />

aber auch aus anderen Regionen der Welt beibringen. Neben solchen entsetzlichen<br />

Vorfällen nimmt sich eine Episode fast lächerlich aus, <strong>die</strong> dennoch <strong>die</strong> Wirkungsmächtigkeit<br />

politisch-biologischer Fehlschlüsse illustriert. Rudolf Virchow wehrte<br />

sich gegen <strong>die</strong> unwissenschaftlich-chauvin<strong>ist</strong>ische Schmähung des französischen<br />

Anthropologen Armand de Quatrefage, der nach dem Deutsch-Französischen<br />

Krieg 1871 behauptete, dass <strong>die</strong> Preußen in Wahrheit Abkömmlinge der Finnen<br />

seien. Quatrefages Behauptung muss nun in unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner<br />

eigenen These begriffen werden, wonach <strong>die</strong> heutigen dolichocephalen Europäer<br />

als physisch und ge<strong>ist</strong>ig überlegene höhere Entwicklungsstufe des Menschen aus<br />

einer den Lappen verwandten brachycephalen Urbevölkerung hervorgegangen<br />

wäre. 144 Quatrefages polemisches Diktum war, von Mitteleuropa her betrachtet,<br />

u.a. deshalb so pikant, weil sich <strong>die</strong> gebildete Welt seit Lavater nicht vorstellen<br />

konnte, dass <strong>die</strong> Theodizee im damals für hässlich gehaltenen Schädel eines Lappen<br />

gedacht werden könnte. 145<br />

Die Vokabel „h<strong>ist</strong>orisch“ hat in bestimmten Bereichen <strong>die</strong> Funktion, nicht nur<br />

Legitimationsgründe beizubringen sondern auch als Richtgröße für „das von der<br />

Natur Vorgesehene“ zu <strong>die</strong>nen. „Von Natur aus“ heißt hier: zu dem Zeitpunkt, zu<br />

dem der Mensch noch nicht spürbar eingriffen hatte. Dieser Zeitpunkt liegt immer<br />

und eindeutig in der Vergangenheit, und <strong>die</strong>se <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Ära der „h<strong>ist</strong>orischen Biodiversität“.<br />

Offenbar soll man sich h<strong>ist</strong>orische Diversität als eine Artendiversität bei a-,<br />

oligo-, meso-hemerobem Einfluss vorstellen. 146 Die Idee <strong>ist</strong> eindeutig: Der h<strong>ist</strong>orische<br />

Rückgriff geschieht in der Hoffnung auf das von Natur aus ge<strong>mein</strong>te, selbstverständlich<br />

a-hemerobe Datum, das den archimedischen Bezugspunkt liefern und<br />

damit handlungsleitende Qualität für <strong>die</strong> Gegenwart, z.B. den Naturschutz, haben<br />

soll. Auch hierbei wird letztlich auf ein Element der Idee der Kette der Wesen<br />

<strong>zur</strong>ückgegriffen, nach deren Vorstellung das Aussterben von Arten unmöglich<br />

143 Olaf Rader, Grab und Herrschaft. Politischer Totenkult von Alexander dem Großen bis Lenin,<br />

München 2003, S. 17 ff.<br />

144 vgl. Chr<strong>ist</strong>ian Andree, Rudolf Virchow. Leben und Ethos eines großen Arztes, München 2002, S.<br />

122 ff.<br />

145 <strong>die</strong> Vorstellung vom Zusammengehen körperlicher und moralischer Schönheit <strong>ist</strong> ebenfalls ein<br />

Produkt der Leibniz/Wolffschen Vorstellung von der besten aller Welten und damit in der Vorstellung<br />

der Kette der Wesen eingeschlossen. Eine hervorragende Analyse des Themenkomplexes bei<br />

Hans R. Brittnacher, Der böse Blick des Physiognomen, in: Der falsche Körper. Beiträge zu einer<br />

Geschichte der Monstrositäten, hg. von Michael Hagner, Göttingen 1995, Seiten 127–146. Dort auch<br />

das Lavater-Zitat zum Lappen-Schädel [S. 134].<br />

146 Hemerobie: Gesamtheit der durch den Menschen bedingten Einflüsse in einem Ökosystem. Nach<br />

dem Grad des Kultureinflusses auf <strong>die</strong> Lebensräume lassen sich <strong>die</strong>se einteilen in: a-, oligo-, meso-,<br />

eu-, poly-, metahemerob. [Matthias Schaefer, Wörterbuch der Ökologie, Heidelberg-Berlin, 2003].<br />

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