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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Schädlinge in Brandenburg (2007)<br />

für eine mythenbeladene Kompensation als <strong>die</strong> lächerlich erscheinende Furcht vor<br />

dem Mäuslein.<br />

Mitteleuropa <strong>ist</strong>, von den Zugvögeln abgesehen, frei von saisonalen Tierzügen.<br />

Dem Alltagsverständnis fehlt also in gewisser Hinsicht <strong>die</strong> Erfahrung im Umgang<br />

mit plötzlich auftretenden großen Tierzahlen. Treten hier Tiere in Massen<br />

auf, geschieht es allerme<strong>ist</strong> <strong>zur</strong> Unzeit und am falschen Ort. Es lehrt <strong>die</strong> Erfahrung,<br />

dass es sich in solchen Fällen nahezu ausschließlich um gravierende ‚Störungen‛<br />

von Gleichgewichtszuständen handelt, vor denen <strong>die</strong> Menschen Grund haben,<br />

sich zu fürchten. 338 Das gilt auch für <strong>die</strong> größeren Zugvögel, <strong>die</strong> auf ihrer Durchreise<br />

in Deutschland rasteten und natürlich Nahrung aufnahmen. Das machte u.a.<br />

sowohl aus Kranichen wie Wildgänsen gefürchtete Saatschädlinge. Sie waren deshalb<br />

auch als Frühlingsboten nicht sonderlich willkommen. Noch komplexer wird<br />

es, wenn alte, regionale Vorstellungen über das unerklärliche Verschwinden der<br />

Kleinvögel während des Winters (Vogelzug) in ihrer Verknüpfung mit der Schädlingsfrage<br />

bedacht werden: Die Vögel verwandelten sich im Winter in Mäuse, weshalb<br />

sie in Scheunen so häufig wären. 339<br />

Lassen sich Begegnungen mit naturräumlich gebundenen Insektenschwärmen<br />

(Feuchtgebiete) durch Meidung solcher Areale umgehen, <strong>ist</strong> das massenhafte Auftreten<br />

von forstschädlichen oder landwirtschaftsschädlichen Insekten in der Zeit<br />

vor der chemischen Insektenbekämpfung praktisch ein schicksalhaftes Ereignis.<br />

Warum sollte nicht, was immer nur Hilfe gegen sie verspräche, auch versucht werden?<br />

Und wenn nichts hilft, kann wenigstens eine ge<strong>mein</strong>schaftliche Handlung das<br />

psychologische Moment der individuellen wie allge<strong>mein</strong>en Ohnmacht mildern.<br />

Auch <strong>die</strong>s <strong>ist</strong> ein Blickwinkel, aus dem sich das Handeln vor 250 Jahren verstehen<br />

lässt.<br />

Die Sperlingsbekämpfung wird in einzelnen preußischen Provinzen nachdrücklich<br />

umgesetzt (s.o.) und <strong>ist</strong> damit das einzige Beispiel für <strong>die</strong> Verfolgung<br />

eines kleinen Vogels als Schädling. 340 Unter den größeren Vögeln sind <strong>die</strong> Raubvögel<br />

durchgängig stark verfolgt worden. Ihre antagon<strong>ist</strong>ische Funktion tritt offenbar<br />

in der Wahrnehmung der Herrschaft hinter <strong>die</strong> (unterstellten, nicht belegten) Jagdschäden<br />

<strong>zur</strong>ück. Negative Erfahrungen mit Rabenvögel, <strong>die</strong> zu mehreren in Kooperation<br />

z. B. einzelne Schafe zu töten vermögen, sowie Saatschäden sind wohl<br />

der Hintergrund für <strong>die</strong> Verfolgung von Krähen und Raben. Da Krähen auch als<br />

Pökelfleisch Verwendung fanden, ergänzten sich ein weiteres Mal unterschiedliche<br />

Interessen in der Verfolgung des vordergründig selben Zieles. Obwohl beliebte<br />

338 Ein geeignetes Beispiel liefert der Masseneinfall etwa des Seidenschwanzes in das winterliche<br />

Mitteleuropa, der als Prodigium galt und dem Vogel bezeichnende Beinamen eintrug (siehe Kinzelbach<br />

1995). Herrn Chr<strong>ist</strong>ian Rohr, Salzburg, verdanke ich den Hinweis auf Massenauftreten<br />

von Bergfinken als Prodigium (siehe Hilgers 2005).<br />

339 Nach Kinzelbach (2005) S.21, der den Schlesischen Arzt Schwenckfeld (1603) zitiert, nach dessen<br />

Angabe <strong>die</strong>se Vorstellung damals in Schlesien und Sachsen verbreitet waren.<br />

340 Zu den katastrophalen ökologischen Konsequenzen einer überregionalen Sperlings-(Singvogel)-<br />

Bekämpfung vgl. Shapiro (2001).<br />

197

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