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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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100 Me<strong>ist</strong>erwerke (2010)<br />

Subebene der Bildbedeutung <strong>ist</strong> eben auch jene, in der hier ein wohlhabender<br />

Gehäusebesitzer seine Schätze, seine Spekulationsobjekte auslegt, denn <strong>die</strong>se<br />

Naturkuriosa wurden teuer gehandelt. Heute würde ein calvin<strong>ist</strong>ischer Protestant<br />

andere Statussymbole abbilden, heiraten oder vor <strong>die</strong> Villa stellen, aber heute wie<br />

damals erfolgte <strong>die</strong>s im Stolz über seinen wirtschaftlichen Erfolg, der zumindest<br />

damals in der niederländischen Variante des Protestantismus als Ausdruck des<br />

göttlichen Wohlgefallens galt. 771<br />

Die me<strong>ist</strong>en der im Blumenarrangement Brueghels enthaltenen Neophyten<br />

stammen noch aus der Alten Welt, überwiegend dem mediterranen Raum bis nach<br />

Kleinasien. Das wird sich mit den Darstellungen des 17. Jhs. stark zugunsten der<br />

amerikanischen und pazifischen Komponenten verschieben. Doch bereits um<br />

1500 verarbeitet Jheronymus Bosch im „Garten der Lüste“ erste exotische Früchte<br />

aus den eben entdeckten Amerikas. 772<br />

Das Blumenstillleben verdeutlicht auch, was in vielfacher Hinsicht durch<br />

Dahlien und andere prachtvolle Blumen noch verstärkt werden sollte. Europa war<br />

vor 1500 viel weniger farbig, weil zahlreiche uns heute geläufige Zierpflanzen in<br />

Wahrheit Neophyten sind. Den Europäern vor 1500 konnte das nicht bewußt sein,<br />

und uns <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Vorstellung unmöglich, wie es sich mit <strong>die</strong>sem relativen Farbdefizit<br />

wohl lebte. Freude am Naturbunten hatte man sicher auch vor 1500. Detailgetreu<br />

hatten z. B. <strong>die</strong> Brüder Limburg im Stundenbuch des Duc du Berry <strong>die</strong> roten und<br />

blauen Tupfer der <strong>Acker</strong>unkräuter im Getreide festgehalten, und Walther von der<br />

Vogelweide freute sich lange davor an den Wiesenblumen, <strong>die</strong> das mit der<br />

besungenen Dame ge<strong>mein</strong>same Lager bildeten und schmückten.<br />

Einige der bei Brueghel abgebildeten Gartenblumen werden sich in der Nachfolgezeit<br />

als „Gartenflüchter“ allmählich auch in Arealen etablieren, in denen sie,<br />

obwohl <strong>die</strong> Pflanze selbst ein mitteleuropäisches Vorkommen zeigte, zuvor wahrscheinlich<br />

nicht vertreten waren, wie z. B. heutige Wildvorkommen von Päonien<br />

(Pfingstrosen) in Franken oder Bartnelken in Schleswig-Holstein. Andere Blumen<br />

des Brueghelschen Gemäldes, wie z. B. Narzissen, Schachbrettblumen,<br />

Türkenbundlilien, Märzenbecher (Knotenblume), Primeln, repräsentieren heute<br />

oftmals als Ensemble-Elemente <strong>die</strong> Reste verwilderter Zierpflanzenbestände<br />

aufgelassener Herrschaftsgärten und Friedhöfe. Sie sind, als sogenannte<br />

„Stinzenpflanzen“, oftmals <strong>die</strong> letzte Nachweismöglichkeit alter Gartenanlagen<br />

und bei den Landschaftspflegern entsprechend gesuchte Hinweisgeber.<br />

Die Zahl der indigenen europäischen Pflanzenarten in Deutschland wird auf<br />

ca. 2800 geschätzt. Seit der Neolithisierung kamen 165 etablierte Arten bis 1500<br />

hinzu, während sich 315 Neophyten nach 1500 erfolgreich etablieren konnten. Die<br />

Zahl der nicht etablierten Neophyten (also ohne menschliche Pflege nicht<br />

771 Es <strong>ist</strong> übrigens darauf hingewiesen worden, dass <strong>die</strong> Tulipomanie der Niederlande nicht recht<br />

denkbar gewesen wäre ohne <strong>die</strong> allge<strong>mein</strong>en politischen Entwicklungen und <strong>die</strong> endgültige Sicherung<br />

des Protestantismus durch schwedische Kriegserfolge und diplomatische Verhandlungen zwischen<br />

1631 und 1635.<br />

772 Z. B. <strong>die</strong> Frucht der Martyniaceae Ibicella lutea, der Teufelskralle.<br />

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