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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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de Bestimmungen ergehen nach dem Zweiten Weltkrieg. 74. Für den Schutz eines<br />

knappen Dutzends Brutpaare in der Priegnitz hat <strong>die</strong> Bundesbahn nach der Wiedervereinigung<br />

viele Millionen DM aufgewendet. 75<br />

Ein paradoxes Schicksal erlitt der Medizinischen Blutegel (Hirudo medicinalis).<br />

Eigentlich ein Ektoparasit der Wirbeltiere (und damit auch ein Schädling der Haustiere<br />

und des Menschen), hatte der Blutegel bis gegen Ende des 19.Jh. in Mitteleuropa<br />

nach dem Muster des „nützlichen Ungeziefers“ einen festen Platz in der<br />

Schulmedizin. Nicht etwa durch seine Bekämpfung, sondern durch seinen Massenverbrauch<br />

zu medizinischen Zwecken (und verstärkt sicher auch durch <strong>die</strong><br />

parallelen Einschränkungen seines Lebensraumes), galt er um 1900 als „vollkommen<br />

ausgerottet“. In Deutschland war er 1909 an nur drei Standorten nachweisbar.<br />

76 Herter konnte 1937 bereits wieder immerhin 130 Fundorte benennen. Zur<br />

Zt. wird der Medizinische Blutegel nicht in der L<strong>ist</strong>e der Gefährdeten Tiere<br />

Deutschlands geführt. 77<br />

Führen radikale Bekämpfung (Trappe) und überproportionale Wertschätzung<br />

(Blutegel) für den Schädling in den Status des beschützten Tieres, gilt für den<br />

Schädling Sperling (Passer domesticus), dass ihm in letzter Zeit <strong>die</strong> für sein Überleben<br />

in unseren Breiten erforderliche ganzjährige Zufütterung, wie sie <strong>zur</strong> Zeit der vorindustrialisierten<br />

Landwirtschaft allenthalben gegeben war, abhanden gekommen<br />

<strong>ist</strong>. Was der Bekämpfungswahn des 18.Jh. nicht erreichte, besorgt eine vollmechanisierte<br />

Landwirtschaft, <strong>die</strong> – als Kollateralschaden – dem Sperling <strong>die</strong> Körner<br />

vorenthält. Jetzt werden <strong>die</strong> letzten seines Stammes zum „Vogel des Jahres“ (2002)<br />

und mutieren zum gehätschelten Symbol einer städtischen Biophilie.<br />

Man <strong>ist</strong> versucht zu glauben, dass <strong>die</strong> schließlichen Schutzbemühungen um<br />

ehemalige Schädlinge Ausdruck eines Skrupels angesichts einer drohenden Ausrottung<br />

darstellten. 78 Hier ergibt sich, gleichsam aus einem „Feldversuch“, eine Quan-<br />

74 vgl. Johannes Klose: Aspekte der Wertschätzung von Vögeln in Brandenburg: Zur Bedeutung der<br />

Artenvielfalt vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Math.-Nat. Diss., Göttingen 2004, S. 126 - 136<br />

75 Leider „gibt es im Bahnkonzern offenbar keine Dokumentation mehr zu <strong>die</strong>sem Thema“ (Auskunft<br />

der DB per Mail am 26.5.2005) Nach zeitnahen Presseberichten könnten für bis zu 50 Großtrappen<br />

bis zu 70 Mio. DM aufgewendet worden sein. Es wäre eine interessante Frage, ab wieviel<br />

Millionen Arbeitslosen <strong>die</strong> volkswirtschaftlichen Aufwendungen für den Unterhalt der Trappenpopulation<br />

von der Allge<strong>mein</strong>heit als unvertretbar empfunden werden. Im Gegensatz hierzu fehlt ein<br />

Beispiel, in dem ein Schädling mit einem ähnlichen Aufwand in einer ähnlich kleinen Region systematisch<br />

bekämpft worden wäre.<br />

76 Konrad Herter: Der medizinische Blutegel und seine Verwandten. Wittenberg 1998. S. 68-69. Roy<br />

Sawyer: Leech Biology and Behaviour. Oxford 1986, Vol. II, S. 571 passim.<br />

77 Margret Binot, Rüdiger Bless, Peter Boye, Horst Gruttke, Peter Pretscher: Rote L<strong>ist</strong>e gefährdeter<br />

Tiere Deutschlands. Bundesamt für Naturschutz 1998 (Schriftenreihe für Landespflege und Naturschutz<br />

H. 55). Nach FFH-RL, Anlage V, kann seine Entnahme aus der Natur aber geregelt sein<br />

[www.bfn.de/03/030306_egel.pdf, zuletzt besucht am 18.8.2005].<br />

78 Eine solche Annahme unterstellt, dass Schädlingsbekämpfung im Einzelfall nicht auf <strong>die</strong> Entfernung<br />

aus der Artendiversität zielt, sondern auf eine kontrollierte Minimalpopulation auf einer musealisierten<br />

Parzelle bzw. auf biologisch-numerisch unfunktionale Bestände in der Fläche.

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