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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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einer Reihe, einer scala naturae, <strong>die</strong> dem alltäglichen Animismus zu voraufklärerischer<br />

Stärke verhilft. So kann sich der plötzlich verantwortliche Mensch auch<br />

leichter zu einem scheinbaren Verständnis des Prozesses verhelfen, dessen Verantwortung<br />

er übernommen hat, obwohl er ihn nicht im Detail überblickt. Wer mit<br />

den Steinen sprechen kann, wer <strong>die</strong> Seele in der Ruhe über den Wipfeln oder in der<br />

über <strong>die</strong> Hügel ausgestreuten Natur erkennt, bewegt sich in Wahrheit in den gradual<strong>ist</strong>ischen<br />

Kategorien der scala naturae. Der sorglose Umgang mit „Biodiversität“<br />

le<strong>ist</strong>et am Ende auch der Rückkehr in <strong>die</strong> vorwissenschaftliche Zeit Vorschub, in<br />

der das Alltäglich-Profane dann Zeichenhaftigkeit erlangt. Das ungebremste, unkontrollierte<br />

Schlagwort von der Biodiversität hat damit letztlich den New Age<br />

Philosophien und Heilslehren zugearbeitet.<br />

3 Etwas Neues unter der Sonne?<br />

Linné kannte gerade so um <strong>die</strong> 4000 Tierarten. 131 Konservative Schätzungen gehen<br />

heute von 30 Mio. Tierarten aus, progressive von 100 Mio. und mehr. Beschrieben<br />

<strong>ist</strong> davon ein Bruchteil.<br />

Mit <strong>die</strong>sem Beispiel lässt sich eine weitere Krise des Diversitätsdenkens beleuchten:<br />

Nicht alle Tiere können in absehbarer Zeit gleich gut bekannt sein, manche<br />

würden nur mit einem solchen Aufwand gefunden und untersucht werden<br />

können, dass man nicht systematisch nach ihnen suchen wird. Das Problem liegt<br />

nun offen: Gehören Tiere, <strong>die</strong> wir weder kennen noch von denen wir nicht einmal<br />

ahnen, in <strong>die</strong> Biodiversität hinein? Angenommen, solche Tiere würden leben und<br />

aus der Evolution verschwinden, ohne jemals vom Menschen wahrgenommen<br />

worden zu sein, so könnten wir über sie nur so reden wie über alles andere, was<br />

wir nicht kennen: Nämlich gar nicht, weil wir von ihnen nichts wissen. Tiere, <strong>die</strong><br />

wir nicht kennen, gehören (mindestens in pragmatischer Hinsicht) auch nicht <strong>zur</strong><br />

„Biodiversität“. Wer <strong>die</strong>s bestreitet, kehrt augenblicklich zum Konzept der Kette<br />

der Wesen <strong>zur</strong>ück, weil für ihn nicht <strong>die</strong> wirklichen Plätze sondern <strong>die</strong> denkbaren<br />

entscheidend sind. Deshalb <strong>ist</strong> mindestens ein theoretischer Anspruch des Biodiversitätskonzepts<br />

unerfüllbar: Wer <strong>die</strong> Biodiversität im Sinne des Totalbegriffs schützen<br />

will 132, begibt sich auf einen ähnlich mystischen Weg, wie derjenige, der das<br />

Übel der Welt auf sich nehmen will.<br />

Thomas Kuhn hat für Regeln und Annahmen, <strong>die</strong> den kleinen wie den großen<br />

wissenschaftlichen Revolutionen vorgeordnet seien, den Begriff des Paradigmas<br />

131 Alfred Schilder, Wie viele Tierarten gibt es?, in: Forschungen und Fortschritte 24 (1948) S. 42–45.<br />

132 spätestens mit dem „Übereinkommen über <strong>die</strong> biologische Vielfalt“ (Biodiversitätskonvention) als<br />

Ergebnis der UN-Konferenz von Rio de Janeiro 1992 hat <strong>die</strong> Biodiversität auch eine institutionalisierte<br />

Naturschutzseite. Auf der Konferenz für Umwelt und Entwicklung wurde das Konzept der<br />

nachhaltigen Entwicklung als internationales Leitbild anerkannt und <strong>die</strong> Agenda 21 als zentrales<br />

Ergebnis verabschiedet.<br />

Siehe auch: UNEP ( V.E. Heywood, R.T. Watson, Eds), Global Biodiversity Assessment. Cambridge<br />

1995.

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