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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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192<br />

Tat käme es dabei kaum mehr auf <strong>die</strong> Pfennige an, <strong>die</strong> sich nur auf rd. 1637 Taler<br />

aufsummieren, damit aber immer noch dem Jahresdurchschnittslohn von 32 Tagelöhnern<br />

in Berlin um 1750 entsprochen hätten. 323 Kretzschmer bege<strong>ist</strong>ert sich so<br />

sehr für seine Sache, dass er ohne jede objektive Grundlage behauptet, <strong>die</strong> Sperlinge<br />

und Maulwürfe würden in Preußen mehr Schaden anrichteten, als der jährliche<br />

Unterhalt der gesamten königlichen Kavallerie koste. 324<br />

Reicht <strong>die</strong>se Art des Alarmismus zunächst noch aus, <strong>die</strong> Sperlingssteuer bis<br />

weit in <strong>die</strong> zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts in den Herrschaften Mitteleuropas<br />

einzutreiben, gelangen allmählich Stimmen zu Gehör, <strong>die</strong> Zweifel an solchen Berechnungen<br />

äußern:<br />

Man will berechnet haben, daß ein Sperling im Durchschnitt des Jahres einen<br />

Gulden Getraide und Feldfrüchte verzehre, und daß in einem Lande von dreyhundert<br />

Dörfern sechs Millionen Sperlinge befindlich wären, also <strong>die</strong> Menge<br />

jährlich für sechs Millionen Gulden Schaden thäte. Daß <strong>die</strong>se Rechnung falsch<br />

sey, sieht jeder nur oberflächliche Beobachter ohne <strong>mein</strong> Erinnern, daß ich im<br />

Zimmer sechs Sperlinge, <strong>die</strong> das ganze Jahr nichts als Getraide fressen, für einen<br />

Gulden ernähren will. Und wie in aller Welt sollen in dreyhundert Dörfern sechs<br />

Millionen Sperlinge kommen? das müsste ja das Land der Sperlinge seyn. Es mag<br />

aber <strong>die</strong>se Beobachtung auch noch so unrichtig seyn, so <strong>ist</strong> es doch gewiss nöthig,<br />

daß man gar zu großer Vermehrung der Sperlinge Einhalt zu thun suchen<br />

muss. Es <strong>ist</strong> daher auch in vielen Ländern ein Landgesetz da, daß jeder Einwohner<br />

jährlich zwey Sperlingsköpfe liefern muss. 325<br />

Tatsächlich aber steht <strong>die</strong> Idee des potentiellen Schadens auch hinter Anordnungen<br />

bezüglich größerer ‚Schädlinge‛, <strong>die</strong> auf den staatlichen Abschussl<strong>ist</strong>en stehen:<br />

Iltis, Ottern, Füchse, Wölfe, Raubvögel. Es mögen zwar <strong>die</strong> Motive zum Abschuss<br />

der jeweiligen Arten unterschiedlich sein und sich letztlich immer durch herrschaftlich-jagdliches<br />

Interesse begründet finden, immerhin wird ihnen aber kollektiv ein<br />

Schädlichkeitspotential unterstellt. Interessant <strong>ist</strong> an <strong>die</strong>sen Beispielen aber <strong>die</strong><br />

Frage der Definitionsmacht für <strong>die</strong> Schädlingskategorie. Diese Frage führt in ihrer<br />

Perspektive zu Interessenlagen und damit zu den Gewinnern und den Verlierern.<br />

Unklar <strong>ist</strong> mir <strong>die</strong> Situation bezüglich der ‚Gewinner‛ des Schädlingsdiskurses.<br />

Tatsächlich wird aber <strong>die</strong> zeitgenössische Naturwissenschaft über <strong>die</strong> Schädlingsfrage<br />

eine Allianz mit der Staatslehre eingehen können und somit einen Gewinner<br />

stellen. 326 Die Branche der Schädlingsbekämpfer resp. ihre Vorläufer gehört, was<br />

ihre Anteile aus der magischen Wissenschaft anbelangt, sicher zu den Verlierern.<br />

Sie wird erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts unter anderen Namen wieder reüs-<br />

bestellet, dass wir dasjenige, was uns schädlich, abschaffen, vertilgen und ausrotten, und hingegen<br />

das, was uns nützet, anschaffen und vermehren sollen. Und wer weiß denn, ob ihnen nicht eben nur solange<br />

<strong>die</strong> Zeit, sie in unsern Landen zu dulten, bestimet <strong>ist</strong>?« [Hervorhebung von BH].<br />

323 Schultz (1992) S. 156.<br />

324 Kretzschmer (1744), S. 64.<br />

325 Bechstein (Bd. 2, 1791) S. 393.<br />

326 Siehe oben Kap. 2.1.

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