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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Sympathieträger. 226 Über <strong>die</strong> Hintergründe <strong>die</strong>ser widersprüchlichen Tatsache und<br />

über Interessenlagen der im Beispiel handelnden Gruppen zu spekulieren, <strong>ist</strong> verlockend.<br />

Doch vor allem lehrt das Beispiel, dass nicht der Schaden den Schädling<br />

macht, sondern <strong>die</strong> auf den Schaden gelenkte Aufmerksamkeit, vorzugsweise <strong>die</strong><br />

öffentliche oder staatliche. Das Beispiel lehrt weiterhin, dass Schädlinge auch konstruiert<br />

werden können. 227<br />

Wie ein lupus in fabula tauchte Mitte Mai 2006 erstmals wieder seit 170 Jahren<br />

im Südbayerischen ein Braunbär auf, der einige Schafe riss und in Hühner- und<br />

Kaninchenställe eindrang. Der bayerische Umweltmin<strong>ist</strong>er Schnappauf gab daraufhin<br />

den ‚Problembären‛ zum Abschuss frei, weil <strong>die</strong>ser sich in »artfremder Weise«<br />

in der Nähe menschlicher Siedlungen aufhielt und dort Schaden anrichtete. 228 Dabei<br />

wurde <strong>die</strong> Schädlingsdiagnose durch den Vorwurf seines angeblich nicht artgerechten<br />

Verhaltens gestellt und verstärkt und durch das behauptete Gefährdungspotential<br />

gegenüber Sachwerten und Menschen legitimiert. Das Beispiel<br />

macht in drastischer Weise deutlich, dass der Beutetrieb des Bären nur außerhalb<br />

menschlicher Interessen als ‚naturgemäß‛ gilt. Der Bär, in der Presse als ‚Bruno‛<br />

vorgestellt, wurde am 26.6.2006 erschossen. Dem Vorgang unterliegt offenbar ein<br />

Naturkonzept, in dem naturale Risiken vorrangig oder ausschließlich für Menschen<br />

und ihre Interessen minimiert werden sollen. Das Muster fällt damit hinter <strong>die</strong><br />

Bemühungen eines auf ‚gerechten Interessenausgleich‛ ausgerichteten Naturschutzes<br />

<strong>zur</strong>ück und argumentiert in gleicher Weise wie <strong>die</strong> Obrigkeit des 18. und frühen<br />

19. Jahrhunderts. Außerdem <strong>ist</strong> in <strong>die</strong>ser Haltung eine Gewöhnung an einen<br />

Naturzustand erkennbar, in dem das Gefährdungspotential abhanden kam, das in<br />

einer unregulierten Natur besteht. Sarkastisch ließe sich <strong>die</strong>s als ‚Bruno-Syndrom‛<br />

apostrophieren: ‚Natur‛ <strong>ist</strong> dann ‚richtig‛ und ‚schön‛, wenn sich der Mensch in ihr<br />

mit interesselosem Wohlgefallen und ohne gefühlte Gefährdung aufhalten kann.<br />

Es wird sich zeigen, dass in der Vergangenheit zwischen Bär, Maus und Mücke in<br />

der Schädlingsbekämpfung nur ein gradueller Unterschied gemacht worden <strong>ist</strong> und<br />

in allen Entwicklungssta<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> erhebliche Schäden an Pflanzen oder Pflanzenerzeugnissen verursachen<br />

können. Viren und ähnliche Krankheitserreger werden den Mikroorganismen, nicht<br />

durch Schadorganismen verursachte Krankheiten werden den Schadorganismen gleichgestellt«<br />

vgl. Formulierung im Biozidgesetz § 3b,6, siehe unten. Die Durchführung <strong>ist</strong> durch »Grundsätze<br />

für <strong>die</strong> Durchführung der guten fachlichen Praxis« (Bundesanzeiger Nr. 58a vom 24.3.2005) geregelt.<br />

Ein privater Schädlingsbekämpfungsbetrieb führt auf seiner Internetseite ein ‚Zoologisches<br />

System der Schädlinge‛ auf, das Arthropoden und Nagetiere umfasst, <strong>die</strong> in Hygieneschädlinge,<br />

Materialschädlinge, Vorratsschädlinge und Lästlinge unterschieden werden. (http://<strong>die</strong>schaedlingsbekaempfer.com<br />

– zuletzt besucht am 23.5.2006). Die Systematik entspricht gegenwärtigem<br />

Alltagsverständnis.<br />

226 Nach PflSchG § 2,7 <strong>ist</strong> allerdings ihre örtlich mögliche Schädlingsnatur zweifelsfrei.<br />

227 Da <strong>ist</strong> es dann eigentlich erstaunlich, dass <strong>die</strong> so vielen Handlungen und Kulturäußerungen<br />

gegenüber wissenschaftlich aufgeschlossene Europäische Ethnologie (Kulturanthropologie) das<br />

Thema ‚Schädling’ heute nicht in ihrem Zentralkanon hat. Im Lehrbuch von Brednich (1994)<br />

fehlen <strong>die</strong> einschlägigen Stichwörter.<br />

228 Überlegungen zum Fangen des Tieres und zu seiner Überführung in ein Gehege wurden verworfen.

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