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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Schädlinge in Brandenburg (2007)<br />

systematische Unterweisung oder Aufklärung, erfolgt im 18. Jahrhundert eigentlich<br />

nicht. Den Grund hierfür sehe ich einerseits im Fehlen von Schädlingsbilanzierungen.<br />

Immerhin sind <strong>die</strong> »reißenden Thiere« und »Raubvögel« bereits so gut im<br />

Griff, dass sie (wenigstens in Brandenburg) keine wirkliche subjektive Bedrohung<br />

mehr darstellen, objektiv sind sie ohnehin vielfach Antagon<strong>ist</strong>en anderer kleinerer<br />

Schädlinge. Andererseits sind <strong>die</strong> Insekten-Schädlinge noch der Vorstellung der<br />

biblischen Plage zu nahe, noch kommen sie einfach als Unglück über <strong>die</strong> Menschen.<br />

Der Präventionsgedanke <strong>ist</strong> vor dem Hintergrund einer Unglücksvorstellung<br />

oder einer schicksalhaften Erfüllung nur schwer zu denken.<br />

Nur zweimal wird Prävention als leitende Überlegung deutlich: Zum ersten<br />

Mal bei der Biberausrottung an der Oder nach 1765. Es <strong>ist</strong> der befürchtete Schaden<br />

an den neu errichteten Deichen, der <strong>zur</strong> örtlichen Ausrottung der Biber<br />

führt. 319 Zum zweiten Mal in der Praxis der Sperlingsbekämpfung, hierbei jedoch<br />

nicht in idealtypisch gleicher Weise mit dem völligen regionalen Bestandsverlust<br />

wie bei den Bibern. Immerhin weiß man von den Sperlingen, dass sie Erntebestände<br />

des Getreides vollständig unbrauchbar machen können und führt daher einsichtig<br />

eine Kopfsteuer ein. 320 Doch eine Schadensstat<strong>ist</strong>ik sucht man vergeblich. Die<br />

Schadenskalkulation von Kretzschmer 321 <strong>ist</strong> ziemlich singulär. Sie beruht auf angenommenen<br />

Häufigkeitszahlen für Sperlinge, <strong>die</strong> einfach multipliziert werden.<br />

Kretzschmer behauptet in einer ziemlich peniblen, aber willkürlichen Aufstellung,<br />

dass jeder Sperling „4 Thaler 2 Groschen und 3/7 Pfennige an jährlichen Unterhaltkosten“<br />

verursache. „Man nehme nur 1) 100 Städte in jeder 1000 Sperlinge,<br />

thut 100000 Sperlinge 2) 4000 Dörfer in jedem 500 Sperlinge thut 1 Million Sperlinge.<br />

Summa 1.100.000 oder 1 Million hundert tausend Sperlinge. Man rechne nur<br />

<strong>die</strong> Thaler, <strong>die</strong> 2 Gr. und <strong>die</strong> 3/7 Pf. aber nicht, so bekomt man eine Summe von 4<br />

Millionen und viermal hunderttausend Reichs-Thaler heraus.“ (S. 72-73). 322 In der<br />

319 Herrmann (2003).<br />

320 In bestimmten Ämtern/Provinzen hatte jeder Untertan abhängig von seinem Landbesitz eine<br />

bestimmte Anzahl Sperlingsköpfe abzuliefern. Vgl. Herrmann (2003). Diese Kopfsteuer <strong>ist</strong> eine<br />

für <strong>die</strong> zeitgenössische Sperlingsbekämpfung des 18. Jahrhunderts in Mitteleuropa gängige Praxis.<br />

Die ökologische Sinnhaftigkeit <strong>die</strong>ser Bekämpfung lässt sich aus guten Gründen bezweifeln, weil<br />

Sperlinge eben nicht nur vom Getreide leben, sondern selbst anerkannte Schädlingsantagon<strong>ist</strong>en<br />

sind. Die katastrophalen Folgen der Missachtung <strong>die</strong>ses ökologischen Hintergrundes sind an einem<br />

weiteren h<strong>ist</strong>orischen Beispiel zu stu<strong>die</strong>ren, in dem <strong>die</strong> VR China während des ‚Großen<br />

Sprungs’ einen Feldzug u.a. auch gegen Sperlinge führte. Hierzu Shapiro (2001).<br />

321 Kretzschmer (1744), S. 72.<br />

322 Kretzschmer <strong>ist</strong> zunächst ein konventioneller Zeuge für <strong>die</strong> Rechtfertigung der Schädlingsbekämpfung;<br />

hinsichtlich der möglichen Entfernung des Sperlings aus der Kette der Wesen aber<br />

eine unerwartete und ganz seltene explizite Stimme (§ 6, S. 69-70, seiner Arbeit): »Es gibt Difficultäten-Macher<br />

und windigte Critici, welche doch wol etwas einzuwenden haben möchten.<br />

Denn vielleicht kan ein solcher 1) überhaupt einwenden und sagen: Man handele wider des<br />

Schöpfers Willen, wo gedacht, dass ein solcher Sperling ohne des Vaters Wille nicht auf <strong>die</strong> Erde<br />

falle. Doch Antwort: Eben <strong>die</strong>ser HErr hat auch gesaget, dass man 2 [Sperlinge; siehe Matthäus<br />

10,29; BH] um 1 Pf. kauffe, wodurch ihr Werth und Hochachtung ziemlich an den Tag geleget<br />

<strong>ist</strong>. Zudem sind wir ja, als Herren über <strong>die</strong> Creaturen gesetzet, und als Haußhalter in der Natur<br />

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