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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Innerfachliches (2011)<br />

dings offen. Popper hatte ehedem über ähnliche hol<strong>ist</strong>ische Erklärungsansätze der<br />

Biologie ein einleuchtendes, aber vernichtendes Urteil abgegeben. 829<br />

Meine Kompetenz bezieht sich ursprünglich formal auf eine spezialisierte Anthropologie,<br />

also eines disziplinär erarbeiteten Wissens, namentlich <strong>die</strong> Bereiche der<br />

„präh<strong>ist</strong>orischen“ und „h<strong>ist</strong>orischen Anthropologie“. Besonders letztere <strong>ist</strong> berüchtigt<br />

für ihre (disziplinäre) Konturlosigkeit. Sie <strong>ist</strong> auch bekannt dafür, dass sie<br />

sich einer Suche nach den archimedischen Punkten des Menschen und ausgerechnet<br />

in der Biologie verweigert, dabei aber unter kulturwissenschaftlicher Meinungsführerschaft<br />

gelegentlich vergisst, dass Menschen zunächst und auch biologische<br />

Wesen sind. Dennoch scheint mir der einzig gangbare Weg in eine Zukunft anthropologischer<br />

Wissenschaft <strong>die</strong> konsequente Verfolgung transdisziplinärer Fragestellungen.<br />

Es <strong>ist</strong> kein Geheimnis, weil ich <strong>die</strong>s bereits mehrfach geäußert habe,<br />

dass ich das Projekt „biologische Anthropologie“ als teilweise bis <strong>zur</strong> Unproduktivität<br />

abgegrast und weitgehend ohne künftige Anschlussfähigkeiten beurteile. 830<br />

Allein <strong>die</strong> Tatsache, welchen z. T. dramatischen Inhaltswechsel einerseits und<br />

welche thematischen Einengungen <strong>die</strong>se biologische (physische) Anthropologie in<br />

ihren deutschsprachigen Lehrbüchern nach einer Phase eklektiz<strong>ist</strong>ischhypertropher<br />

inhaltlicher Ausuferung Mitte der 80er Jahre erfahren hat, 831 <strong>ist</strong> ein<br />

Hinweis auf das fehlende sichere fachliche Selbstverständnis, auf <strong>die</strong> fehlende innerfachliche<br />

Kohärenz, und damit letztlich auch ein Hinweis auf <strong>die</strong> Beliebigkeit,<br />

mit der Fachvertreter <strong>die</strong> Inhalte ihres Faches bestimmen und den von ihnen verwendeten<br />

Stoff systematisieren. Diese Beschreibung verdichtet sich zu einer gerechtfertigten<br />

Diagnose durch den Umstand, dass das zuletzt veröffentlichte<br />

deutschsprachige Lehrbuch 832 keine wissenschaftstheoretische Abgrenzung des<br />

829 Popper 1989, S. 83. Popper geht für <strong>die</strong> Erläuterung der „Falsifizierbarkeit“ von einer verbreiteten<br />

verhaltensbiologischen Theorie aus, an der er vorführt, dass <strong>die</strong>se dem von ihm formulierten Anspruch<br />

an wissenschaftliche Eigenschaften nicht erfüllt: „… ‚Alle menschlichen Handlungen sind<br />

ego<strong>ist</strong>isch, von Selbstinteresse gesteuert; und jene Handlungen, <strong>die</strong> es scheinbar nicht sind, werden im<br />

selbstischen Interesse unternommen, sich selbst, oder anderen als selbstlos zu erscheinen.’ Diese<br />

Theorie <strong>ist</strong> weit verbreitet: sie hat behavior<strong>ist</strong>ische, psychoanalytische, utilitar<strong>ist</strong>ische, vulgärmarx<strong>ist</strong>ische,<br />

religiöse (‚sich das Himmelreich ver<strong>die</strong>nen’) und wissenssoziologische (‚Erkenntnis <strong>ist</strong> von<br />

Interesse gesteuert’) Varianten. Es <strong>ist</strong> klar, dass <strong>die</strong> Theorie und alle ihre Varianten nicht falsifizierbar<br />

sind: Sie sind pseudowissenschaftliche Ideologien.“<br />

830 Herrmann 2001 - Eine ähnliche Diagnose bei Bittner 2004 – Die ältere Diagnose vom „Theoriedefizit<br />

der deutschen Anthropologie“ reflektiert durchaus damalige selbstkritische Einsicht eines Teils<br />

der deutschsprachigen Anthropologen. Sie geht <strong>zur</strong>ück auf eine Diskussionsrunde bei der Werner-<br />

Reimers-Stiftung, Bad Homburg, am Beginn der 80er Jahre, in deren Verlauf <strong>die</strong>se Formulierung von<br />

Eike Winkler (Wien) aufgebracht wurde. Den anschließenden Versuch neuartige Standortbestimmungen<br />

fachlicher Ausrichtungen zu formulieren und umzusetzen, hat es <strong>mein</strong>er Wahrnehmung<br />

nach in der deutschsprachigen Anthropologie nur in Göttingen und - mit Anlehnung an politische<br />

Umfelder – in Wien gegeben.<br />

831 Das gilt mutatis mutandis auch für ausländische Lehrbücher, obwohl sich das erkenntn<strong>ist</strong>heoretische<br />

Defizit dort nicht in gleicher Schärfe zeigt. Global gesehen we<strong>ist</strong> <strong>die</strong>s auf Auflösungserscheinungen<br />

eines Fachs hin und bestätigt <strong>mein</strong>e oben geäußerte Endzeitdiagnose.<br />

832 Grupe et al. 2005. – Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich benutze das zitierte Lehrbuch als<br />

Beispiel, an dem ich <strong>mein</strong>e Überlegung illustrieren kann. Meine andersartige Auffassung bedeutet<br />

nicht, dass es mir am Respekt vor der Arbeitsle<strong>ist</strong>ung der Fach-Kolleginnen mangele.<br />

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