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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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punkt auch angenommen. Die Auffassung, dass Biologie eine spezifische Form der<br />

philosophischen Weltbewältigung und Weltbildformierung sei, war noch in der Generation<br />

<strong>mein</strong>er akademischen Lehrer selbstverständlich: Portmann, Rensch, Remane,<br />

Büning, wer aus <strong>die</strong>ser Generation hätte nicht seinen Beitrag zu einer Philosophie<br />

der Natur gele<strong>ist</strong>et? 126<br />

Die D<strong>ist</strong>anz zum praktisch-pragmatischen Wissen, das <strong>die</strong> Bereitstellung von<br />

Antworten auf Webersche „Wie-?“-Fragen außerhalb von Weltbildentwürfen betrieb,<br />

war beträchtlich. Noch bei <strong>mein</strong>em Stu<strong>die</strong>nbeginn wurde in der Einführungsvorlesung<br />

des SoSe 1965 von Werner Ullrich (FU Berlin) allen Ernstes bestritten,<br />

dass Zoologen wissen müssten, was Tiere äßen oder welche Krankheiten<br />

sie hätten. Dies, so lernten wir, wobei der abschätzige Unterton unüberhörbar war,<br />

sei Sache von Zoo-Leuten und Veterinären, <strong>die</strong> als „angewandte Wissenschaftler“<br />

<strong>zur</strong> eigentlichen Wissenschaft wenig beitrügen. 127 Die Biologie begriff sich letztlich<br />

als der faszinierende Hort der Philosophie, <strong>die</strong> untersuchte, was <strong>die</strong> Welt bzw. <strong>die</strong><br />

Organismen im Innersten zusammenhält und welche <strong>die</strong> Naturvorfindlichkeiten<br />

mehr als mit jedem apparativen Hilfsmittel allein mit der Kraft der Gedanken<br />

durchdringt. Das war <strong>die</strong> ungebrochene Tradition eines Biologie-Verständnisses<br />

von Lamarck über Darwin und Haeckel bis in <strong>die</strong> Mitte des 20. Jahrhunderts. In<br />

dem Maße aber, in dem <strong>die</strong> ehemals scheel betrachteten Ancilla-Disziplinen der<br />

Biologie, allen voran <strong>die</strong> Mikrobiologie mit ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, institutionellen<br />

und damit wissenschaftspolitischen wie wissenschaftstheoretischen<br />

Einfluss gewannen, in dem Maße wollten oder mussten <strong>die</strong> klassischen Biologien<br />

sich nach der Decke strecken und dem neu definierten Relevanzkriterium folgen.<br />

Anders gesagt, sie hatten <strong>die</strong> Definitionsmacht für <strong>die</strong> „Relevanz der Biologie“ um<br />

<strong>die</strong> 60er/70er Jahre des 20. Jahrhunderts verloren und haben sie bis heute nicht<br />

wieder gewonnen. An ihre Stelle sind längst <strong>die</strong> Vertreter der molekularen Disziplinen<br />

getreten, deren Heilsbotschaften <strong>die</strong> Gesellschaft in Erwartung ewiger Jugend<br />

und Gesundheit bei ge<strong>ist</strong>iger Frische und immerwährendem Wohlstand begierig<br />

aufsaugt. Die organismischen Biologen, <strong>die</strong> sich mit den Tieren und Pflanzen als<br />

sichtbaren Elementen der Natur befassen, spielten eine zunehmend untergeordnete<br />

Rolle, weil sie verdächtigt wurden, altmodischen bzw. obsoleten Fragestellungen<br />

mit unspektakulärem Instrumentar nachzugehen. In <strong>die</strong>ser Situation bildeten Fortschrittskritik<br />

und Umweltskeptizismus der westlichen Zivilisationen einen idealen<br />

gesellschaftlichen Humus, um mit der Sorge über <strong>die</strong> Zukunft des Artenbestandes<br />

126 hierbei handelt es sich keineswegs um ein „deutsches“ Phänomen. In vielen anderen Ländern<br />

hatten Biologen zu <strong>die</strong>ser Zeit ebenfalls eine herausgehobene Bedeutung im allge<strong>mein</strong>en philosophischen<br />

Diskurs. Beispielsweise werden für <strong>die</strong> Durchsetzung der „synthetischen Evolutionslehre“ im<br />

20. Jahrhundert neben Rensch <strong>die</strong> Namen von Mayr, Simpson, Huxley, Stebbins und Dobshansky<br />

genannt [Ulrich Kutschera, Karl J Niklas (2004) The modern theory of biological evolution: an expanded<br />

synthesis. Naturwissenschaften 91: 255–276], <strong>die</strong>, wie z.B. Solly Zuckerman, Medawar und<br />

Haldane, auch als Meinungsführer gesellschaftliches Gehör fanden.<br />

127 Daher <strong>ist</strong> es wenig verwunderlich, dass in den 60er Jahren, als <strong>die</strong> ersten Lehrstühle für „Angewandte<br />

Zoologie“ (sic!) eingerichtet wurden, deren Inhaber folgerichtig erst einmal am „Katzentisch“<br />

der Biologen saßen. Aus <strong>die</strong>sen Anfängen entwickelten sich dann später ökologische Einrichtungen.

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