06.01.2013 Aufrufe

"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

98<br />

siologisches (ein eindrucksvolles Dokument zu <strong>die</strong>sem Bedingungsgefüge bei Virchow,<br />

1849). Und <strong>die</strong> Ernährungslage ganzer Bevölkerungsschichten <strong>ist</strong> am Skelett<br />

bisher nicht untersucht. Aber es gibt Hinweise aus der neueren Wirtschaftsgeschichte,<br />

<strong>die</strong> Rekrutendaten des 18. und 19. Jh. untersucht und dabei zu erstaunlichen<br />

Befunden kommt. Es zeigt sich, wobei Verallge<strong>mein</strong>erungen zu vermeiden<br />

sind, dass selbst ausreichende Nahrungsproduktion nicht gleichbedeutend mit ihrer<br />

lokalen Verfügbarkeit <strong>ist</strong>. Das <strong>ist</strong> zwar seit den Zeiten, seit denen Abgabenpflicht<br />

für landwirtschaftliche Produkte eingeführt wurde, bekannt, erreicht aber mit den<br />

schnellen Transportmitteln des 19. Jh. eine überraschende Steigerung des Problems<br />

für <strong>die</strong> produzierende Bevölkerung. Der Markt schöpft ab, so daß sich <strong>die</strong> produzierende<br />

Bevölkerung nicht im Ernährungsoptimum befindet (Baten 1999;<br />

Schuster 2005). 195 Ob <strong>die</strong> Körperhöhen insgesamt nicht nur konjunkturellen Faktoren<br />

folgen sondern auch klimatischen longue-durée-Effekten, kann man bisher nur<br />

vermuten (Abb.4).<br />

Die Allianz von Hunger und opportun<strong>ist</strong>ischen Krankheiten <strong>ist</strong> offensichtlich.<br />

Aber für Nahrungsknappheit gilt nicht notwendig, dass alle Bevölkerungsschichten<br />

gleichermaßen davon betroffen sind. Auch hier <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Quellenlage schwierig (für<br />

das Spätmittelalter Dirlmeier 1988; Wollasch 1988). Erste Erfolge bei der Eindämmung<br />

der großen Volksseuchen setzen mit Impfungsmaßnahmen gegen Pocken<br />

am Ende des 18. Jh.s ein. Hygienisierungs- und Antiseptizierungskampagnen,<br />

vor allem des fortgeschrittenen 19. Jh.s, zeitigen ihrerseits einige Erfolge, der<br />

Durchbruch wird allerdings erst mit den Fortschritten der pharmazeutischen Chemie,<br />

den Antibiotika und konsequenter Impfpolitik im 20. Jh. erreicht. Allge<strong>mein</strong><br />

galt eine soziale Ungleichheit vor dem krankheitsbedingten Tod. Wer arm war (als<br />

Chiffre für schlechte Ernährungs- und Hygienelage, unwürdige Wohnverhältnisse,<br />

mangelhafte Lebensperspektive), hatte eine geringere Lebenserwartung. Zwar trafen<br />

Infektionskrankheiten gleichermaßen Arm wie Reich, aber ihre Folgen konnten<br />

doch in den sozialen Umfeldern ganz unterschiedlich gemildert werden.<br />

Man könnte vor allem im Hunger einen push-Faktor für Migration und Auswanderungen<br />

sehen. Die individuelle Binnenmobilität war in Europa, mindestens<br />

dort, wo sie herrschaftlich möglich war, immer hoch. Dass größere Bevölkerungsgruppen<br />

innerhalb Europas migrieren, hat seine Ursache nicht im Ausweichen vor<br />

Elementarschäden, sondern vor sozialen Bedingungen. Die Zahlen <strong>die</strong>ser Migrantengruppen<br />

werden allge<strong>mein</strong> überschätzt, sie haben aber sozialgeschichtlich usw.<br />

außerordentlich nachhaltige Wirkungen. Das gilt auch bevölkerungsbiologisch, z.B.<br />

für <strong>die</strong> preußischen Hugenotten. Sie liegen in ihrer Gesamtfruchtbarkeit unter dem<br />

preußischen Durchschnitt, übertreffen <strong>die</strong>sen aber in der Überlebenszahl ihrer<br />

Kinder.<br />

195 Man denke z.B. an <strong>die</strong> ewigen Hungerkrisen in Irland, trotz der dortigen hohen landwirtschaftlichen<br />

Produktivität. Ursächlich war hier der koloniale Export nach England.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!