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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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74<br />

Leute, <strong>die</strong> inflationär heruntergekommene Herrenspeise zu essen. 177 Das Hamburgische<br />

Staatsarchiv, das <strong>die</strong> Verordnungstexte auch aus der Zeit kennen sollte, über<br />

<strong>die</strong> Krünitz berichtet, <strong>ist</strong> nicht in der Lage, eine einschlägige Quelle zu benennen<br />

und hat bislang auch keinen Anhalt für ihre ehemalige Ex<strong>ist</strong>enz. Klaus Schwarz 178<br />

hat mit viel Mühe und Sorgfalt <strong>die</strong> Dienstbotengeschichte verfolgt und kommt zu<br />

dem verblüffenden Urteil: urban legends. H<strong>ist</strong>orisch richtig <strong>ist</strong> vielmehr, dass Lachs<br />

vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert eine (durchgehend) teure Herrenspeise <strong>ist</strong>.<br />

Zwischen 1620/30 und 1670/80 stieg aus bislang unbekannten Gründen in<br />

Deutschland <strong>die</strong> Zahl der gefangenen Lachse. Entsprechend sank der Preis. In der<br />

Folgezeit entstand <strong>die</strong> Legende, der Edelfisch sei ehedem selbst von Dienstboten<br />

verabscheut worden. Der angebliche Überdruss der Dienstboten <strong>ist</strong> in keiner zeitgenössischen<br />

Quelle (gilt z. Zt. für Deutschland) belegt, wird aber immer wieder<br />

behauptet. 179<br />

Dass solche Schwankungen im Fischbestand vorkommen, möglicherweise in<br />

Abhängigkeiten von großen Zyklen der Meeresströmungen, Salinität und Wassertemperatur,<br />

<strong>ist</strong> h<strong>ist</strong>orisch belegt. Die Fischer aus Br<strong>ist</strong>ol folgen den Fischschwärmen,<br />

<strong>die</strong> vor der Ausbreitung des polaren Wassers ausweichen, bereits 1470/80 bis<br />

in den Bereich der Neufundlandbank. Der Kabeljaufang kommt Ende des 17.<br />

Jahrhunderts zwischen Island und den Faröer völlig zum Erliegen (1685 bis 1704).<br />

Ursächlich sollen Meeresströmungen und Klimaverschiebungen sein. 180 Welche<br />

Auswirkungen solche Schwankungen auf den Lachs hatten, <strong>ist</strong> <strong>mein</strong>es Wissens<br />

bisher nicht untersucht, aber im 18. Jahrhundert scheint <strong>die</strong> Diskrepanz zwischen<br />

Lachsfang und allge<strong>mein</strong>er Erwartung aufgefallen zu sein. Schwarz zitiert eine<br />

Quelle über das Lachsvorkommen in der Saale „Lachs <strong>ist</strong> in der Saale in so großen<br />

Mengen gefangen worden, dass <strong>die</strong> Dienstboten sich zuletzt geweigert haben, ihn<br />

zu essen...“ und stellt <strong>die</strong>ser Angabe <strong>die</strong> Fangquoten bei Bad Kösen gegenüber, wo<br />

zwischen 1567 und 1600 in 17 Jahren überhaupt keine und nur in 9 Jahren drei<br />

oder mehr Lachse gefangen wurden. Die durchschnittliche Fangquote errechnet<br />

sich also über <strong>die</strong> 33 Jahre am Ende des 17. Jahrhunderts mit ganzen 3 Exemplaren<br />

pro Jahr. Tatsächlich sagt selbst eine solche Quote noch wenig über <strong>die</strong> Lachshäufigkeit<br />

aus, weil der Lachs zume<strong>ist</strong> an Wehren gefangen wurde. Damit ergibt<br />

sich eine höhere Fangwahrscheinlichkeit bei niedrigem Wasserstand und eine geringere<br />

Wahrscheinlichkeit bei höherem. Die Fangquote <strong>ist</strong> also mindestens ebenso<br />

ein Indikator für den mittleren Wasserstand wie für <strong>die</strong> Lachshäufigkeit, wenn<br />

nicht eher sogar einer für das erstere. Man müsste daher <strong>die</strong> Fangquoten von am<br />

177 siehe Fußnote 47.<br />

178 Klaus Schwarz, Der Weserlachs und <strong>die</strong> bremischen Dienstboten, Bremisches Jahrbuch Bd.<br />

74/75, (1995/96), S. 134–173 und Klaus Schwarz, Nochmals: der Lachs und <strong>die</strong> Dienstboten, Bremisches<br />

Jahrbuch 77, (1998), S. 277–283.<br />

179 sonderbarerweise beklagen sich in all <strong>die</strong>sen Geschichten, ob es nun um Lachs, Krebs oder Hasen<br />

geht, <strong>die</strong> Dienstboten immer nur über eine Belästigung mit „Herrenspeise“. Nirgends wird auch nur<br />

ein Gesindevertrag erwähnt, nachdem es nicht öfter als 3 mal in der Woche Kohlsuppe geben dürfe.<br />

War Kohl etwa vor 200 Jahren viel seltener als heute, zumindest seltener als Lachs?<br />

180 Hubert Horace Lamb, Klima und Kulturgeschichte, Reinbek 1989, Seiten 208, 239, 241, 249.

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