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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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h<strong>ist</strong>orischen Quelle werden. Aber selten wird es seine Zeugnishaftigkeit als Abbildung<br />

sein können, <strong>die</strong> einem Bild umwelth<strong>ist</strong>orische Qualität verleiht. Wie <strong>die</strong> Leser eines<br />

Textes <strong>die</strong>sen erst durch das Lesen hervorbringen und je dessen Bedeutung freilegen,<br />

so sind Bilder ohne ihren Betrachter bedeutungslos. Der Betrachter erst verleiht dem<br />

Bild Bedeutung, erkennt in ihm den für ihn gültigen metaphorischen Gehalt, erliegt<br />

den durch Farbe und Gegenstand ausgelösten subjektiven emotionalen Zuständen und<br />

domestiziert seine Eindrücke durch <strong>die</strong> Einbringung kultureller, gegebenenfalls rational-logischer<br />

kulturh<strong>ist</strong>orischer Deutungsmuster. Immerhin gilt „<strong>die</strong> Form der Abbildung<br />

[als] <strong>die</strong> Möglichkeit, dass sich <strong>die</strong> Dinge so zueinander verhalten, wie <strong>die</strong> Elemente<br />

des Bildes.“ 736 Das Bild <strong>ist</strong> zugleich unmittelbare und d<strong>ist</strong>anzierte, vielfach gebrochene<br />

Realität. Es <strong>ist</strong> kein h<strong>ist</strong>orisches Dokument, aber es belegt ein Geschehen, es<br />

verknüpft das bislang Unverknüpfte, es suggeriert oder nimmt ontologische Gewissheit.<br />

In einer Bildbetrachtung tritt Ernst Cassirers Diagnose vom Menschen als dem<br />

animal symbolicum besonders deutlich zutage, wie er sie in jenem Kapitel gefasst hat, das<br />

sich direkt auf Jakob von Uexküll, dem Entdecker der biologischen „Umwelt“, bezieht:<br />

„Der Mensch kann der Wirklichkeit nicht mehr unmittelbar gegenübertreten; er kann sie nicht mehr<br />

als direktes Gegenüber betrachten. Die physische Realität scheint in dem Maße <strong>zur</strong>ückzutreten, wie<br />

<strong>die</strong> Symboltätigkeit des Menschen an Raum gewinnt. Statt mit den Dingen hat es der Mensch nun<br />

gleichsam ständig mit sich selbst zu tun. So sehr hat er sich mit sprachlichen Formen, künstlerischen<br />

Bildern, mythischen Symbolen oder religiösen Riten umgeben, daß er nichts sehen oder erkennen kann,<br />

ohne daß sich <strong>die</strong>ses artifizielle Medium zwischen ihn und <strong>die</strong> Wirklichkeit schöbe.“ 737 Deshalb <strong>ist</strong><br />

ein Bild noch weit vielschichtiger als <strong>die</strong> Wirklichkeit, <strong>die</strong> sie abbildet oder abzubilden<br />

vorgibt. Und genau deswegen sind Bilder erkenntnisproduzierende Objekte, sie sind<br />

Metaquellen. Und sie folgen absolut den umwelth<strong>ist</strong>orischen Leitbegriffen, <strong>die</strong> für das<br />

Göttinger Verständnis stehen: Rezeption und Rekonstruktion. Das Bild reflektiert als künstlerisches<br />

Produkt seiner Zeit und seines Me<strong>ist</strong>ers <strong>die</strong> Rezeption des Dargestellten. Die<br />

Rekonstruktion wird sich bemühen, den Gehalt des Dargestellten zu prüfen. In der<br />

Beobachtung des Künstlers findet sich <strong>die</strong> „Beobachtung zweiter Ordnung“, 738 <strong>die</strong> ein<br />

Kernelement auch des Umwelth<strong>ist</strong>orischen <strong>ist</strong>.<br />

Der nachfolgende Essay <strong>ist</strong> ein Plädoyer für <strong>die</strong> Nutzung von Bildern <strong>zur</strong> Freilegung<br />

und Gewinnung umwelth<strong>ist</strong>orischer Einsichten. Es könnte den Grundstein liefern<br />

für eine umwelth<strong>ist</strong>orische Bildersammlung, einen umwelth<strong>ist</strong>orischen Bilderkanon,<br />

an dem beispielhaft das Grundsätzliche wie auch das jeweils Neue aus den sich<br />

mehrenden Einsichten und dem Verständnis der umwelth<strong>ist</strong>orischen Zusammenhänge<br />

gesehen und vermittelt werden können. Die Gelehrten könnten sich über das erste<br />

halbe Hundert Bilder streiten und verständigen, und jeder Leser würde den Kanon um<br />

736 Wittgenstein, Satz 2.151 (Seite 15) – Wittgenstein hat eine Reihe von Setzungen über Bilder (d. i.<br />

mehrheitlich über unsere Vorstellungen von Bildern) formuliert, <strong>die</strong> thematisch sehr ergiebig sind.<br />

Verwiesen sei auf <strong>die</strong> Satzfolge 2.1 bis 2.225<br />

737 Cassirer, S. 50<br />

738 Die „Beobachtung zweiter Ordnung“ stammt aus dem kybernetisch orientierten Konstruktivismus<br />

(Heinz von Foerster) und <strong>ist</strong> sehr schnell in soziologische Generaltheorien einbezogen worden. So<br />

hat auch Niklas Luhmann sie in seine Systemtheorie integriert, weshalb er häufig als „Entdecker“<br />

oder Begriffsschöpfer der „Beobachtungen höherer Ordnungen“ missverstanden wird. – Eine kennenswerte<br />

Einführung in den philosophischen Konstruktivismus Heinz von Foersters bei L. Segal.

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